Ukrainischer Vorstoß bei Kursk Wagenknecht sieht bei Einsatz deutscher Waffen "rote Linie" überschritten
08.08.2024, 17:27 Uhr Artikel anhören
Der Einsatz deutscher Panzer wie dem Marder auf russischem Gebiet ist umstritten.
(Foto: REUTERS)
In der Region Kursk sind ukrainische Truppen auf russisches Gebiet vorgedrungen. Das Verteidigungsministerium in Moskau behauptet, an dem Vorstoß seien auch deutsche Schützenpanzer beteiligt. Während die FDP darin kein Problem sieht, bezeichnet BSW-Chefin Wagenknecht dies als "hochgefährliche Entwicklung".
Nach dem Vorstoß ukrainischer Truppen in das westrussische Gebiet Kursk dauern die Kämpfe in der Grenzregion nach Angaben aus Moskau den dritten Tag in Folge an. "Bis zu tausend" ukrainische Soldaten sowie dutzende Panzer und gepanzerte Fahrzeuge sind nach russischen Angaben seit Dienstag an dem Angriff beteiligt. Die Washingtoner Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) schrieb in einer Erklärung von "nachweislich bis zu zehn Kilometern", nach Angaben des russischen Militärbloggers Juri Podoljaka rückte die Ukraine sogar um mehr als 25 Kilometer vor.
Wie das ISW weiter schrieb, deuteten das "derzeit bestätigte Ausmaß und die Lage der ukrainischen Vorstöße im Gebiet Kursk (...) darauf hin, dass die ukrainischen Streitkräfte mindestens zwei russische Verteidigungslinien und eine Stellung durchbrochen haben". Demnach zielt die Ukraine auf einen wichtigen Versorgungsstützpunkt der russischen Armee nahe der acht Kilometer von der Grenze entfernten Stadt Sudscha.
Bei der Operation sollen auch mindestens drei deutsche Schützenpanzer des Typs "Marder" beteiligt sein, berichtet die "Bild"-Zeitung unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium. Demnach belegt Moskau die Behauptung mit Drohnenaufnahmen.
Angeblich zeigen diese, wie deutschen Panzer von russischen Kamikazedrohnen attackiert werden. Es ist jedoch nicht möglich, die russischen Angaben unabhängig zu prüfen. Im Krieg spielen Desinformation und Propaganda eine zentrale Rolle. Ukrainische Regierungsvertreter haben sich bisher nicht zum Umfang der Operation geäußert.

Der Bildschirmausschnitt aus einem vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlichten Video soll einen Raketenangriff auf die militärische Ausrüstung der ukrainischen Streitkräfte im Grenzgebiet in der Nähe der Oblast Kursk zeigen.
(Foto: picture alliance / Anadolu)
Faber: Ukraine kann deutsche Waffen bei Kursk einsetzen
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marcus Faber, sieht indes kein Problem darin, wenn die Ukraine von Deutschland gelieferte Waffen für ihren aktuellen Vorstoß auf russischem Gebiet nutzt. "Mit der Übergabe an die Ukraine sind es ukrainische Waffen", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Das gelte "für jegliches Material", auch den Kampfpanzer Leopard 2.
"Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist das Territorium beider Staaten Kriegsgebiet", erläuterte Faber seine Position. "Der Einsatz der Waffen unterliegt den Bestimmungen des Völkerrechts." Auch der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter bezeichnet den ukrainischen Vorstoß in Kursk als "selbstverständlich völkerrechtlich im Sinne des Selbstverteidigungsrechts zulässig".
Zudem sei dieser "militärstrategisch sinnvoll", sagte Kiesewetter dem "Tagesspiegel". Damit könne "der Druck auf die Front an anderen Stellen genommen werden, weil Russland Kräfte in Kursk bindet beziehungsweise dorthin verlegen muss", so der CDU-Politiker.
Stegner: "Kein genereller Strategiewechsel"
Der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner äußert sich zurückhaltend zum möglichen Einsatz deutscher Waffen bei dem ukrainischen Vorstoß. "Was die Verteidigung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg betrifft, galt im Grenzbereich eine Ausnahmesituation, als die Stadt Charkiw in größter Bedrängnis gegen Angriffe jenseits der nahen Grenze verteidigt werden musste", sagt Stegner dem "Handelsblatt". "Das implizierte keinen generellen Strategiewechsel, was den Umgang mit aus Deutschland gelieferten Waffen betrifft." Die Bundesregierung hatte der Ukraine nach langer Debatte Ende Mai erlaubt, von ihr gelieferte Waffen gegen Ziele in Russland einzusetzen. Dies bezog sich allerdings nur auf das russische Grenzgebiet zur Region Charkiw.
Deutschland hat der Ukraine seit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg im Februar 2022 18 Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 geliefert. Hinzu kommen neben Luftverteidigungssystemen, Drohnen und vielen weiteren Rüstungsgütern auch 120 Schützenpanzer vom Typ Marder und - zusammen mit Dänemark - 58 Leopard 1.
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte der Lieferung von Kampfpanzern erst nach monatelangem Zögern Anfang 2023 zugestimmt. Voraussetzung für ihn war, dass dies nicht im deutschen Alleingang erfolgt, sondern insbesondere die USA als wichtigster NATO-Partner ihrerseits Kiew Kampfpanzer zur Verfügung stellen. Der Kreml kritisiert vehement die westlichen Waffenlieferungen an Kiew, behauptet aber gleichzeitig, dass sie keine Auswirkungen auf den Kriegsverlauf haben würden.
Wagenknecht: "Rote Linie" überschritten
BSW-Parteichefin Sahra Wagenknecht warnt vor dem Einsatz deutscher Waffen bei dem Vorstoß ukrainischer Soldaten auf russisches Gebiet. "Das ist eine hochgefährliche Entwicklung", sagte Wagenknecht den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Der Bundeskanzler muss mit dem ukrainischen Präsidenten telefonieren und verlangen, dass keine deutschen Waffen bei den Vorstößen auf russisches Territorium zum Einsatz kommen", forderte die BSW-Vorsitzende.
Kanzler Olaf Scholz habe zwar das Versprechen abgegeben, dass Deutschland nicht Kriegspartei werde. Aber: "Erst gab er die Genehmigung, dass die Ukraine mit deutschen Waffen auf russisches Territorium schießen darf", kritisierte Wagenknecht. "Billigt die Bundesregierung jetzt auch, dass die Ukraine mit deutschen Waffen nach Russland vordringt? Das wäre die nächste rote Linie, die überschritten wird."
Laut Wagenknecht hätte damit die Bundesregierung gegenüber der deutschen Öffentlichkeit gelogen. Es sei versprochen worden, "dass Steuergeld und Waffen aus Deutschland nicht für solche Angriffe geliefert werden", so die BSW-Chefin. Die Bundesregierung ziehe Deutschland "immer tiefer in den Krieg hinein", fügte sie hinzu. "Die Gefahr eines großen europäischen Krieges wird damit immer größer."
Wagenknecht und das BSW dringen auf ein rasches Ende des Krieges in der Ukraine. Dabei fordern sie jedoch nicht einen Abzug der russischen Truppen aus dem Land. Vielmehr werden der Ukraine Zugeständnisse an den Aggressor nahegelegt. Sanktionen gegen Russland wegen dessen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der Besetzung ukrainischen Territoriums lehnt das BSW ab.
Birthler: Positionen des BSW "wie vom Kreml diktiert"
Die frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Akten, Marianne Birthler, hat das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) als Plattform für russische Propaganda in Deutschland eingestuft. "Die Positionen des BSW zur Ukraine klingen, als seien sie vom Kreml diktiert" - zum Wohlgefallen von Russlands Präsident Wladimir Putin, sagte Birthler dem Berliner "Tagesspiegel" vom Mittwoch. Dieser werde durch das BSW "bei seinem schmutzigen Geschäft unterstützt".
"Frau Wagenknecht verbreitet die Legende, dass Russland gegen einen 'Faschismus' in der Ukraine kämpft", sagte Birthler weiter. "Das ist Kreml-Propaganda", hob sie hervor. Die Ukrainer kämpften vielmehr um Freiheit und Demokratie, und genau das störe den Kreml. "Putin kämpft ja in Wahrheit weder gegen Faschismus noch gegen die NATO, sondern gegen die Freiheit, die sich in Gestalt der Ukraine seinen Grenzen nähern könnte", sagte die Grünen-Politikerin.
Inhaltlich sieht die frühere Bundesbeauftragte in der Außen- und der Migrationspolitik eine große Nähe zwischen BSW und AfD. Dabei werde teils auf in Ostdeutschland noch vorhandene Traditionen zurückgegriffen. Birthler nannte "die Feindseligkeit gegenüber dem Westen, insbesondere gegen Amerika". Diese "gab es schon bei Hitler, die DDR hat das fortgesetzt", sagte sie.
Quelle: ntv.de, gut/AFP/AP