Jahrzehntelanger Konsens wankt Chef von Frankreichs Republikanern plant Bündnis mit Le Pen
11.06.2024, 17:00 Uhr Artikel anhören
Eric Ciotti (r.) suchte bereits im März die Nähe von Marine Le Pen.
(Foto: picture alliance / abaca)
Klar ist in Frankreich derzeit nur, dass die Nationalversammlung aufgelöst und am 30. Juni neu gewählt wird. Der Chef der Republikaner, Ciotti, versucht bereits ein Bündnis zu schmieden - mit Le Pen. Ein Affront, für den ihn die RN-Chefin lobt. Aus dem eigenen Lager bekommt er heftigen Gegenwind.
Der Chef von Frankreichs Konservativen hat sich für ein Bündnis mit dem rechtspopulistischen Rassemblement National (RN) ausgesprochen, der als klarer Sieger aus der Europawahl hervorgegangen ist. "Wir brauchen ein Bündnis mit dem RN und seinen Kandidaten, wobei wir wir selbst bleiben müssen", sagte der Vorsitzende der Republikaner (LR), Eric Ciotti, dem Fernsehsender TF1. "Wir sagen dieselben Dinge, also hören wir doch auf, künstlich eine Opposition aufzubauen", so Ciotti weiter. Er vollzog diesen Schritt mit Blick auf die von Präsident Emmanuel Macron angesetzten Neuwahlen zur Nationalversammlung, die am 30. Juni und 7. Juli stattfinden.
Ziel des Bündnisses sei, bei der Wahl genug Sitze zu bekommen, um weiterhin eine Fraktion bilden zu können. Die Republikaner bräuchten eine Art Allianz, und das ist es, was er dem RN anbiete. Er gestand ein, dass seine Partei, die sich seit Jahren in der Abwärtsspirale befindet, alleine keine Chance gegen das Präsidentenlager und das Linksbündnis hat. Konkret sagte Républicains-Chef Ciotti, er wolle, dass es in gewissen Wahlkreisen für Abgeordnete seiner Partei keine Gegenkandidaten des RN gebe. "Das ist, was die große Mehrheit der Wähler möchte", betonte der Chef von Les Républicains.
In der Nationalversammlung gehörten bislang 61 Abgeordnete zur Fraktion der Républicains. RN zählte 88 Abgeordnete. Auch zusammen genommen hatten beide Fraktionen damit weniger Abgeordnete als das Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron mit 250 Abgeordneten. Für die absolute Mehrheit sind 289 Sitze im parlamentarischen Unterhaus nötig. Wie sich die Gewichtung bei der Neuwahl verschieben könnte, ist noch nicht abzusehen. Sollte ein anderes Lager als das von Macron die absolute Mehrheit bekommen, wäre der Präsident gezwungen, einen Premierminister aus dessen Reihen zu ernennen.
Zusammenarbeit war lange hochumstritten
Marine Le Pen, Gründerin des RN und dessen Fraktionsvorsitzende in der Nationalversammlung, sprach von einer "mutigen Entscheidung" und vom "Verantwortungsbewusstsein" Ciottis. Le Pen sagte weiter, der seit "vierzig Jahren angeblich bestehende 'Cordon Sanitaire', der uns viele Wahlen hat verlieren lassen", sei gerade dabei zu verschwinden. Sie bezog sich mit dem Begriff darauf, dass ein Zusammengehen mit den Rechtspopulisten für die meisten Parteien in Frankreich in den vergangenen Jahrzehnten tabu war.
Eine mögliche Zusammenarbeit mit dem RN ist bei Frankreichs Konservativen seit Langem hochumstritten. Mehr in der politischen Mitte verankerte LR-Politiker haben bereits angekündigt, dass sie einen Schritt in Richtung RN nicht gutheißen würden. Nach Ciottis Ankündigung gab es bereits erste Forderungen nach dessen Rücktritt, etwa vom Fraktionsvorsitzenden der Konservativen in der Nationalversammlung, Olivier Marleix. Der Parteivorsitzende spreche nur für sich selbst. Bereits zuvor hatte der konservative Regionalpräsident von Hauts-de-France, Xavier Bertrand, gemahnt: "Die DNA der republikanischen Rechten ist niemals das Extreme, niemals der Front National, niemals Marine Le Pen." Kritiker werfen Ciotti schon länger vor, immer wieder die Grenze zwischen Rechten und Rechtsnationalen verschwimmen zu lassen.
Republikaner: teils populistisch, aber pro Europa
Die Républicains sind eine Traditionspartei der bürgerlichen Rechten und stehen für eine wirtschaftsfreundliche Politik und eine Stärkung der inneren Sicherheit. Trotz in Teilen populistischer Strömungen sehen sie sich als prinzipiell proeuropäische Partei.
Le Pen hatte in den vergangenen Jahren versucht, ihre Partei - die Nachfolgerin des von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen gegründeten Front National (FN) - nach und nach salonfähig zu machen und etwas näher an die Mitte zu rücken. Dennoch fordert die Partei etwa weniger Mitsprache von Brüssel und eine migrationsfeindliche Politik.
Bei der Europawahl am Sonntag erzielte der RN einen Wahltriumph und wurde mit Abstand stärkste Kraft. Die Partei mit dem Spitzenkandidaten Jordan Bardella kam auf mehr als doppelt so viele Stimmen wie die Liste Macrons. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte daraufhin die Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen angesetzt. In einer ersten Meinungsumfrage nach der Europawahl wurden dem RN die meisten Stimmen vorausgesagt, eine absolute Mehrheit würde die Partei allerdings verfehlen.
Quelle: ntv.de, als/AFP/rts/dpa