
Umgeben von modernster, aber auch anfälliger Technik: Soldaten im Inneren eines Schützenpanzers Puma. (Aufnahme von 2006)
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Schneller, zielgenauer, besser vernetzt: Der "Puma" sollte so ziemlich alles können und entpuppt sich - nicht erst jetzt - als Totalausfall. Kann der Fokus bei Waffenkäufen neu gerichtet werden? Gut wäre: weniger fancy, dafür fit.
18 von 18 - so dicke kommt es selten. Für den eigenen Ruf ist es fatal, wenn sich das Versagen des modernsten Bundeswehr-Schützenpanzers "Puma" in einem derart griffigen Mengenverhältnis zusammenfassen lässt. Was bei der WM 2014 das "7 zu 1" über den Zustand der brasilianischen Seleção aussagte, das wird für eine ganze Weile das "18 von 18" für die Bundeswehr bleiben. Die Aussage "Die Bundeswehr steht blank da" von Heeresinspekteur Alfons Mais am 24. Februar dieses Jahres getätigt, zu zwei Zahlen verdichtet.
Der Offenbarungseid kommt nicht unerwartet. Wer sich in den vergangenen Monaten mit Kommandeuren der Bundeswehr austauschte, konnte bereits erahnen, dass die Truppe wohl eher nicht mit dem technisch ausgefeiltesten Panzer weltweit in die "Speerspitze" der NATO Response Force, die "Very High Readyness Joint Task Force" (VJTF) ziehen würde.
Jedenfalls bezweifelte man das offen auf Kommandeursebene im Heer, da der "Puma" sich schon in der Vergangenheit als deutlich zu anfällig gezeigt hatte, um einer solchen Belastung standzuhalten. Schließlich übernimmt die Bundeswehr die Führung des multinationalen Hauptquartiers, das Spezialoperationen im gesamten NATO-Gebiet plant und durchführt.
Dass es nun binnen Tagen zum Totalausfall kam, hat gleich mehrere Gründe. Zum einen besteht bei einem technisch hochentwickelten System fast immer das Problem, dass es zu Lasten der Robustheit geht. Doch als der SPD-Mann Peter Struck als Verteidigungsminister 2002 den "Puma" bestellte, standen andere Dinge im Vordergrund: Noch unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001 sollte der neue Schützenpanzer unbedingt in der Luft transportierbar sein, um theoretisch auch bei weiter entfernten Gefechten, etwa im Nahen Osten, einsetzbar zu sein.
Mögliche Kriegseinsätze in Europa aber gerieten bei den Verantwortlichen 13 Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der Sowjetunion bereits in den Hintergrund. Was auf dem Gefechtsfeld entscheidet, nämlich eine Technik, die Ausdauer hat und auf die sich die Truppe blind verlassen kann, spielte bei der Entscheidung für den Puma eine untergeordnete Rolle. Entscheidender war und blieb auch bei Strucks Nachfolgern, ob sie nun Jung, zu Guttenberg, von der Leyen oder Kramp-Karrenbauer hießen, der Superlativ, mit dem man - auch nach außen - punkten kann.
"Deutschland will es immer mit 'Goldrand' haben"
Der technisch höchstentwickelte Schützenpanzer der Welt musste es sein, und dann brauchte er noch eine Handvoll elektronischer Extra-Finessen nur für die Deutschen. Es ist dieser grundsätzliche Anspruch, über den die deutsche Sicherheitspolitik im Jahr 2022 so sichtbar stolpert. "Wir wollen immer Goldrand-Lösungen, das Beste vom Besten", sagt Militärexperte Wolfgang Richter im Gespräch mit ntv.de, doch dafür zahlt die Bundeswehr nach seiner Einschätzung einen hohen Preis, auf gleich mehreren Ebenen.
Problem eins: "Dieser letzte Schliff, der oberhalb einer guten Qualität liegt und zur Spitzenqualität führt, kostet oft das Dreifache von dem, was ein etwas einfacheres System kosten würde." Deutschland zahlt also hohe Summen für seine Waffen - auch im Falle des "Puma" stieg der Preis über die Jahre durch viele Umrüstungen immer weiter, bis etwa auf das Doppelte des ursprünglich veranschlagten Budgets. Dafür bekommt man ausgefeilte Technik, aber in geringer Menge.
Die geringe Menge ist eine Folge von Problem zwei: Bis ein so filigranes System wirklich funktioniert, braucht es viele Jahre der Entwicklung, nochmal weitere Jahre in der Beschaffung, die dann in einige Jahre der Erprobung übergehen - beim Puma begleitet von Preissteigerungen, technischen Problemen, dadurch Verzögerungen bei der Auslieferung, erneuten Preissteigerungen, und so weiter. "Wenn man ein so hochwertiges System wie den 'Puma' anschafft, bedeutet das auch, dass dieses System vorher noch nicht erprobt worden ist", sagt Richter, der für die Stiftung Wissenschaft und Politik forscht. "Es wird eine Reihe von Kinderkrankheiten haben, bevor man sagen kann, das System sei voll einsatzbereit."
Keine Frage, dass die Anforderungen an einen Schützenpanzer nicht trivial sind: im Gelände, auf Kette, bei Steigung und Gefälle, und auch mit Wasser muss das Fahrzeug bis zu einem gewissen Grad zurechtkommen. Bei Schnelligkeit und Wendemanövern soll die Kanone möglichst stabil stehen. Dazu muss der Schützenpanzer die Mannschaft schützen, gegen Minen, direkten Beschuss oder auch Artilleriesplitter. Schließlich soll der Panzer vernetzt fahren, im Verbund mit anderen Einheiten, wozu ein Lagebild nötig ist, das elektronisch zur Verfügung stehen soll.
Instandhaltung - wurde an die Industrie abgegeben
Wenn alles funktioniert, ein Gerät mit enormen Fähigkeiten. Doch ab welchem Punkt die Technik tatsächlich bereit für den Einsatz ist, stellt sich erst heraus, wenn der Panzer bei der Truppe in Gebrauch ist. Genau dabei aber fielen nun 18 von 18 Pumas aus. Was direkt zu Problem drei überleitet: der mangelnden Instandhaltung.
Hochwertige Rüstungstechnik bietet viele Fähigkeiten bei gleichzeitig möglichst einfacher Bedienung. Das führt jedoch dazu, dass der Bediener bei einem Ausfall des Systems kaum noch reagieren kann. Man braucht Instandsetzung vor Ort. Die Bundeswehr hat einen großen Teil ihrer Logistik für die Heeresinstandhaltung allerdings an die Industrie abgegeben. Dort werden die Systeme gewartet und repariert.
Solche Art Logistik funktioniert, jedoch nur so lange, wie die Technik nicht tatsächlich zum Einsatz kommen muss. Die Möglichkeit eines ernsthaften Kampfeinsatzes jedoch ist unter den diversen Ressortleiterinnen und -leitern im Verteidigungsministerium über die Jahre aus dem Blick geraten.
"Wir haben jetzt aber eine andere Weltlage", sagt Sicherheitsexperte Richter. "Wir brauchen jetzt Systeme, die mit Blick auf Höchststandards vielleicht nicht die 100 Prozent erreichen, sondern nur 95 Prozent, die dafür aber mit Masse und verlässlich zur Verfügung stehen." Das sei es, was im Gefecht entscheide. Dazu braucht die Bundeswehr wieder eigene Instandsetzungsteams, die, wenn die Truppe im Gelände steht, kaputte Technik hinter den Gefechtslinien repariert, und das in kürzester Zeit.
Weniger Superlative, weniger Abhängigkeit von der Industrie, dafür eine Rückkehr zu Kompetenz und Logistik bei der Instandhaltung. Und über allem muss der Fokus auf der Einsatzbereitschaft im Gefecht liegen: große Herausforderungen für die Bundeswehr, die Energie und Reformwillen verlangen. Um all das anzuschieben, ist ein so markiges Totalversagen wie das "18 von 18" vergangener Woche vielleicht nicht der schlechteste Startpunkt.
Quelle: ntv.de