Politik

Trumps Plan für Europa"Was da in der US-Sicherheitsstrategie steht, ist Kremlsprech"

08.12.2025, 19:23 Uhr
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Präsident Trump und seine Frau am Sonntag bei der Ankunft zu einer Gala im Kennedy Center in Washington. (Foto: picture alliance / newscom)

Neu ist es nicht, was die US-Regierung in ihre Sicherheitsstrategie geschrieben hat, das meiste hat man schon von Donald Trump oder seinen Leuten gehört, sagt USA-Experte Thomas Jäger. Radikal ist es dennoch: Trump sieht die Europäische Union als Gegner, der zerstört werden muss. "Eigentlich fehlt nur der Satz, dass Russland sich in der Ukraine ja bloß verteidigt", sagt Jäger. "Ansonsten sind das genau die Punkte, die man im Kreml auch so aufsagen könnte."

ntv.de: Wie häufig geben sich die USA eine neue Nationale Sicherheitsstrategie?

Thomas Jäger: Es ist üblich, dass die Vereinigten Staaten ihre Sicherheitsstrategie immer wieder neu aufsetzen. Das geschieht unregelmäßig. Die letzte wurde 2022 veröffentlicht, davor gab es fünf Jahre keine neue. Einerseits dient sie als Selbstvergewisserung für die eigene Administration. Andererseits kommuniziert sie nach außen, damit die Welt eine Vorstellung von der außenpolitischen Linie der USA hat. Insofern ist nicht überraschend, dass die Trump-Regierung mit einem solchen Papier an die Öffentlichkeit geht. Ob das am Ende aber eine Leitlinie für diesen erratischen Präsidenten ist, das ist völlig offen.

In der Sicherheitsstrategie heißt es, Europa drohe die "zivilisatorische Auslöschung". Was ist damit gemeint?

Damit ist gemeint: Europa steht das Schicksal ins Haus, das Trump für die USA abgewendet hat. Das reklamiert er ja für sich: Er ist der Retter der Vereinigten Staaten, ohne ihn wären die USA von einer in "Invasion" überrollt worden. Genau das fordert er für Europa.

Trumps Regierung verkündet seit Monaten, dass Europa so werden soll wie die Trump-USA, in denen die Demokratie zurückgebaut wird und die Medienmacht in den Händen von immer weniger Konzernen liegt. Trump versucht, MAGA als MEGA nach Europa zu exportieren - Make Europe Great Again. Mit einem Unterschied: Das europäische MEGA wäre zersplittert, weil die Europäische Union abgeschafft werden soll. Dann hätten die USA es mit kleinen Staaten zu tun, die man alle in die eigene Richtung drängen und beeinflussen kann.

Die EU wird in der Sicherheitsstrategie an nur einer Stelle genannt, und zwar im Kontext von allem, was aus MAGA-Sicht falsch läuft in Europa, darunter sogar sinkende Geburtenraten.

In der politischen Klasse der USA ist es mutmaßlich noch Konsens, dass die EU bei aller Kritik besser ist als ein Europa, in dem wieder der Revisionismus Platz greift. Aber Trump sieht die EU als etwas an, das zerstört werden muss. Er hat gesagt, die EU sei nur gegründet worden, um die USA auszunutzen. Was Elon Musk gerade gesagt hat, entspricht genau diesem Geist.

Musk hat aus Ärger über EU-Strafen für sein Netzwerk X geschrieben: "Die EU sollte abgeschafft und die Souveränität an die einzelnen Länder zurückgegeben werden, damit die Regierungen ihre Bevölkerung besser vertreten können."

Der Schutz der US-Digitalkonzerne ist ein Schlaglicht dieser Sicherheitsstrategie: Die überlegene Macht der USA soll genutzt werden, um Geschäfte zu machen. Als Ganzes ist die EU in der Lage, bestimmte Regulierungen durchzusetzen. Belgien oder Litauen, selbst Deutschland, könnten sich gegen die USA und die Macht ihrer Konzerne kaum wehren.

Laut US-Sicherheitsstrategie gibt "der wachsende Einfluss patriotischer europäischer Parteien Anlass zu großem Optimismus". Welche Parteien sind da gemeint?

Die Rechtsradikalen. Aber auch das ist längst offen kommuniziert worden: "Nur die AfD kann Deutschland retten", hat Elon Musk im Bundestagswahlkampf gesagt. Schon vor zehn Jahren hat Trumps erster Stabschef Steve Bannon versucht, die Trump-Bewegung nach Europa zu bringen. In einem italienischen Kloster wollte er die Zentrale der nationalpopulistischen Rechten gründen. In dieser Hinsicht ist auch Trumps Bemerkung zu verstehen, in Europa nenne man ihn den "Präsidenten von Europa": Er definiert, was MAGA ist, aber auch, was MEGA ist.

Sie haben gesagt, Trumps Ziel sei ein Rückbau der Demokratie. Welche Art von Demokratie meint Trump?

Die Art von Demokratie, die Trump mit Blick auf die USA meint, ist diejenige, wo er als Präsident aufgrund seiner Direktwahl durch das Volk alle Kompetenzen besitzt und es keine ausgleichenden Kontrollen und Gegenkräfte geben darf. Er allein bestimmt alles, das ist sein Verständnis von "Demokratie" - in Anführungszeichen, denn normalerweise lebt Demokratie davon, dass Macht kontrolliert wird, dass es Gegenkräfte gibt, dass unterschiedliche Kräfte Kompromisse finden müssen. Nicht von ungefähr ist Trumps Lieblingseuropäer Viktor Orban, gleich hinter Wladimir Putin.

An den Stellen in der Sicherheitsstrategie, die sich auf Russland beziehen, geht es um die Konflikte der Europäer mit Russland; von Differenzen zwischen den USA und Russland ist nicht mal andeutungsweise die Rede.

Auch das ist etwas, das wir spätestens seit Trump 28-Punkte-Plan schwarz auf weiß haben, was man aber schon vorher erkennen konnte: Die Vereinigten Staaten sehen sich als Vermittler zwischen Nato und Russland, als Staat, der zusammen mit Russland Sicherheitsstrukturen für Europa aushandeln will - ohne Europa zu beteiligen. Und auch bei den "Verhandlungen" über den russischen Krieg gegen die Ukraine ist deutlich, was das zentrale Interesse der USA ist: Der Krieg muss beendet werden, um Geld zu verdienen. Es ist das immer gleiche Muster: Trump will die amerikanische Macht einsetzen, um eine politische Ordnung zu schaffen, die allein den Zweck hat, Geld zu verdienen.

Putins Sprecher sagte, die Veränderungen der US-Strategie "stehen weitgehend in Übereinstimmung mit unserer Vision". Ist das nur Propaganda oder besteht diese Übereinstimmung tatsächlich?

In Trumps erster Amtszeit wurden China und Russland noch als Bedrohung für die USA angesehen. Davon ist jetzt keine Rede mehr, im Gegenteil: Russland wird als Staat dargestellt, mit dem man ins Geschäft kommen muss. Aus russischer Sicht ist die neue Sicherheitsstrategie ein klares Entgegenkommen. Die Ängste der Europäer vor Russland werden darin als irrational dargestellt. Eigentlich fehlt nur der Satz, dass Russland sich in der Ukraine ja bloß verteidigt. Ansonsten sind das genau die Punkte, die man im Kreml auch so aufsagen könnte - bis hin zu den Ursachen für die angebliche europäische Krise: die sinkende Geburtenrate.

Moment, die Geburtenraten in den USA und vor allem in Russland sinken doch auch.

Aber die Familienpolitik in den USA und in Russland haben einen ideologisch ähnlichen Hintergrund. Und beide jammern über den angeblich verkommenen Westen, der nicht in der Lage sei, seine nationale Identität zu aufrechtzuerhalten. Was in der Sicherheitsstrategie der Trump-Regierung über den Verlust der europäischen Identität und des europäischen Selbstbewusstseins steht, das ist Kremlsprech.

Norbert Röttgen hat die neue Sicherheitsstrategie als "zweite Zeitenwende" bezeichnet. Hat er recht?

Das kann man so nennen. Die erste Zeitenwende war die Bedrohung Europas durch Russland. Die zweite Zeitenwende, das ist die mangelnde Unterstützung aus den USA, auf die man sich so lange verlassen hat. Die neue Sicherheitsstrategie der USA ist ein Bruch mit 80 Jahren amerikanischer Außenpolitik gegenüber Europa. Wenn man das "zweite Zeitenwende" nennt, muss man aber hinzufügen, dass die Folgen der ersten noch nicht verstanden wurden.

Der amerikanische "Kriegsminister" hat Deutschland in einer Liste der vorbildlichen Verbündeten genannt, die ihre Verteidigungsetats aufstocken. Was ist ein Lob von Pete Hegseth wert?

Erst mal nichts. Diese Reihung, in der Deutschland auf Israel, Südkorea und Polen folgt, zeigt schon, dass dahinter keine Konzeption steht. Hier wurden einfach Staaten herausgegriffen, die ihre Verteidigungsausgaben erhöht haben. Das ist ein Interesse, das die Amerikaner schon lange äußern, und das ist auch im europäischen Interesse. Das ist einer dieser Punkte, wo sich die Europäer an die eigene Nase fassen müssen: Dass sie es über so viele Jahre vernachlässigt haben, ihre Verteidigungsfähigkeit selbst sicherzustellen.

Hegseth hat damit aber einen anderen Gedanken verbunden, den Trump schon viel früher geäußert hat: Wer sich so anstrengt, wie Trump das will, der kann mit Unterstützung rechnen, möglicherweise. Wer nicht zu den "vorbildlichen Verbündeten" gehört, da überlegt man noch nicht mal, ob man dem im Bedrohungsfall zu Hilfe kommt.

Ist die neue Sicherheitsstrategie wenigstens aus Sicht der USA sinnvoll?

Überhaupt nicht. Sie enthält einen Grundwiderspruch: Die USA wollen der weltweit stärkste Staat sein, sich aber aus allem raushalten, wenn ihre geschäftlichen Interessen nicht unmittelbar berührt sind. So funktioniert eine globale Ordnungsmacht nicht. Regionen, in denen die USA nicht mehr ordnungsbestimmend auftreten wollen, werden andere übernehmen, die über die notwendigen Fähigkeiten verfügen. Man sieht es schon an der Reihenfolge: zuerst kommt in dieser Sicherheitsstrategie die "westliche Hemisphäre", also die Amerikas. Dann kommt Asien, dann Europa, dann der Mittlere Osten, am Schluss Afrika. Wenn ich mich in einen Analysten hineinversetze, der gerade in Peking versucht, diese Sicherheitsstrategie ernst zu nehmen, dann würde ich meinen Vorgesetzten raten, in den nächsten Monaten in Lateinamerika die eine oder andere Entwicklung in Gang zu setzen, der die USA ihre volle Aufmerksamkeit widmen müssen.

Das Papier ist voller Prognosen, was Europa betrifft. Was ist Ihre Prognose: Wie sieht das transatlantische Verhältnis in zehn, zwanzig Jahren aus?

Das hängt von vielen Faktoren ab, die man jetzt noch nicht kennt. Über allem schwebt die Frage: Wer wird in drei Jahren Präsident der Vereinigten Staaten? Die aus europäischer Sicht optimistische Prognose ist: Die Europäer versetzen sich in die Lage, ihre Lebensweise und ihre politischen Ordnungen gemeinsam verteidigen zu können, zur Not auch ohne die USA.

Und die weniger optimistischen Prognosen?

Eine zweite Möglichkeit ist, dass die USA sich noch weiter aus Europa zurückziehen und Russland sich am Ende durchsetzt. Den Krieg gegen die Ukraine kann Putin nicht gewinnen, aber Trump kann den Krieg für Putin gewinnen. Dann würden die europäischen Staaten vor einer ganz anderen Zukunft stehen. Die EU würde nach und nach zerfallen in Zonen unterschiedlicher Sicherheit und würde so nicht weiterbestehen können. Eine dritte Möglichkeit ist, dass es in Europa wirklich zu den nationalpopulistischen Regierungen kommt, die in der Nationalen Sicherheitsstrategie als Ziel angedeutet werden. In Frankreich wird 2027 gewählt, in Großbritannien 2029 - das sind zwei der drei großen Länder Europas, wo nicht ausgeschlossen ist, dass genau solche Regierungen an die Macht kommen. Die Folge wäre ein transatlantischer Trumpismus.

Und welches Szenario halten Sie für am wahrscheinlichsten?

Am wahrscheinlichsten ist aus meiner Sicht, dass es mit zaghaften Schritten immer so weiter geht wie jetzt: Weder China noch die USA wollen Europa ganz verlieren, deshalb hält dieser Schwebezustand an, in dem Europa nicht die Kraft findet, sich gemeinsam zu ertüchtigen.

Die Europäische Union bezeichnet China seit Jahren als Partner, als Konkurrenten und als systemischen Rivalen. Können wir diese drei Begriffe künftig auch auf die USA anwenden?

Ja. Denn die Entwicklung, die Trump in den USA anstößt, führt dazu, dass die USA nicht mehr die demokratische Vormacht sind. Möglicherweise nicht mal mehr eine demokratische Macht, sondern eine, die die Demokratie in Europa schleifen will.

Mit Thomas Jäger sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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