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Städtekampf bietet Vorteile Wie Ukrainer in Bachmut russische Truppen ausbluten lassen

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Seit Monaten halten ukrainische Truppen in der umkämpften Stadt Bachmut die Stellung.

Seit Monaten halten ukrainische Truppen in der umkämpften Stadt Bachmut die Stellung.

(Foto: REUTERS)

Russische Kämpfer machen in Bachmut weiter Fortschritte - doch zahlen sie dafür einen hohen Preis. Obwohl die Ukrainer in der Unterzahl sind, bluten sie ihre Angreifer regelrecht aus. Das liegt daran, dass sie in der Stadt gegenüber ihren Angreifern einen entscheidenden Vorteil haben.

"Bakhmut holds!" - "Bachmut hält stand!", heißt es jeden Tag auf dem Twitter-Account "War Monitor", an dem die ukrainischen Truppen die Stadt weiter erfolgreich gegen russische Angriffe verteidigen. Immer wieder wird spekuliert, ob eine Seite in dem seit Monaten andauernden Kampf einknickt. Doch die Gefechte ziehen sich. Zwar machte Russland zuletzt langsam Fortschritte und hat eigenen Angaben zufolge rund 80 Prozent der Stadt eingenommen. Trotzdem haben die russischen Truppen es bis jetzt nicht geschafft, die ukrainische Armee gänzlich aus der Stadt zu vertreiben oder einzukesseln, wie mehrfach vom Kreml behauptet wurde.

Im Gegenteil: Ukrainische Kämpfer schaffen es, die Russen in dem Ortskampf auszubluten. Das ist genau die Taktik, warum Präsident Wolodymyr Selenskyj die militärisch "unwichtige" Stadt nicht aufgeben will: um dem Feind möglichst großen Schaden zuzufügen. Mit Erfolg, denn die Verluste der Russen in den vergangenen Wochen sind hoch, so die Einschätzung mehrerer Experten. Genaue Zahlen gibt es nicht, doch allein die Wagner-Söldner sollen etwa 20.000 Opfer erlitten haben. Dazu werden immer wieder neue Bataillone in die Stadt rein- und rausrotiert, um gefallene Kämpfer zu ersetzen. Der Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations (ECFR) rechnet mit einem Verschleiß von etwa zwei bis drei Brigaden.

Wie aber schaffen es die Ukrainer den Russen solch hohe Verluste zuzufügen, obwohl sie ihnen zahlenmäßig stark unterlegen sind? Ein Grund ist, dass die Stadt den Verteidigern große Vorteile bietet. Die Häuser im Stadtzentrum sind für sie günstiges Gelände: "Die meisten Gebäude sind größer und unterkellert. Die Keller bieten für die ukrainischen Soldaten gute Schutzräume, die man sehr gut gegen Artilleriefeuer ausbauen kann." Diese sind mit Stützbalken und Sandsäcken an den Wänden verstärkt, damit sie selbst dann nicht einstürzen, wenn über ihnen das Haus bei Angriffen kollabiert.

Das ist wichtig, da Russland ukrainische Truppen in Bachmut massiv mit Artilleriefeuer angegriffen hat. Dagegen bieten die Kellerräume auch unter eingestürzten Häusern einen optimalen Schutz. So gelingt es den Ukrainern, den Angriffen standzuhalten. Die noch stehenden Häuser bieten den Soldaten einen weiteren Vorteil: In den höheren Stockwerken können sie ihre Stellungen beziehen, von wo aus sie eine gute Sicht auf die russischen Angreifer haben. Von oben können sie den Russen mit Panzerfäusten empfindlichen Schaden zuzufügen.

Ukrainer zerstören russische Panzer von oben

Kellerräume bieten ukrainischen Soldaten guten Schutz vor Artilleriefeuer.

Kellerräume bieten ukrainischen Soldaten guten Schutz vor Artilleriefeuer.

(Foto: REUTERS)

"In dem Moment, wo das Artilleriefeuer aufhört, springen sie aus diesen Schutzräumen raus und gehen in ihre Stellungen zurück oder in Häuserblöcke, die kurz dahinter liegen", erklärt Gressel. Auf diese Weise mache die russische Armee nur sehr kleine Fortschritte, weil sie mit Artilleriefeuer selber keinen Durchbruch erzielt und die Ukrainer nur 100 bis 200 Meter weiter zurückdränge.

Für die Russen hält das Stadtgelände zudem noch weitere Nachteile bereit. Weil sie mit ihren Schützenpanzern nicht durch Häuser hindurchschießen können und die ihnen den Weg versperren, müssen sie sehr nah an die Wohnblöcke heranfahren, die sie einnehmen wollen. "Das Problem ist, dass sie dann aus der Deckung kommen und über offene Straßen fahren müssen, wo die ukrainischen Verteidiger freies Schussfeld auf die Angreifer haben", so Gressel. Scharfschützen und Panzerabwehrtrupps schießen dann von den umliegenden Wohnblöcken auf die russischen Panzer, die auf ihrer Oberseite schwächer gepanzert sind. "Die Chance, dass sie damit die Panzer vollkommen zerstören, ist sehr hoch."

"Situation ist unter Kontrolle"

Die Herausforderung, die sich für die Ukrainer stellt, sind die Nachschublinien. Weil russische Kräfte es bisher nicht geschafft haben, die Versorgungslinien abzuschneiden und die Ukrainer von Norden und Süden einzukesseln, führen noch immer Straßen aus Bachmut raus und in die Stadt hinein. Diese sind allerdings klein und unbefestigt. Es sei daher schwer festzustellen, wie gut die Ukrainer Verwundete aus der Stadt bekommen und neue Kräfte holen kann, sagt Gressel. Solange das jedoch gut funktioniere, ergibt die "Ausblut-Taktik" der Ukrainer für den Experten durchaus Sinn.

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Ein Vorteil ist auch, dass die Russen ihre Kräfte in Bachmut für den zähen Ortskampf bündeln, die ihnen dafür in anderen Gegenden fehlen. Das ist vor allem mit Blick auf die bevorstehende Frühjahrsoffensive der Ukraine wichtig, die nicht in Bachmut, sondern vermutlich weiter südlich starten wird. Dort fehlt es den Russen dann an Material und Truppen.

Trotzdem bleibe Bachmut das Epizentrum der Feindseligkeiten, erklärte der Befehlshaber der ukrainischen Landstreitkräfte, Oleksandr Syrskyi, am Dienstag auf Telegram. "Der Feind konzentriert dort seine größten Anstrengungen und gibt das Ziel nicht auf, die Stadt um jeden Preis unter seine Kontrolle zu bringen." Die verstärkten Artillerie- und Luftangriffe legten die Stadt in Trümmer. Ukrainische Soldaten fügten den russischen Truppen jedoch große Verluste zu und verlangsamen ihre Offensive erheblich. "Die Situation ist unter Kontrolle."

Quelle: ntv.de

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