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Schmutziger Junge von der Straße Prigoschin wird Putin nicht stürzen

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Jewgeni Prigoschin macht mit Grausamkeit von sich reden - ein neuer Putin wird er aber wohl kaum.

Jewgeni Prigoschin macht mit Grausamkeit von sich reden - ein neuer Putin wird er aber wohl kaum.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Immer wieder macht Wagner-Chef Prigoschin von sich reden. Mal will er mehr Munition, mal ermorden seine Söldner Ukrainer vor laufender Kamera. Aber was will er? Wie viel Macht hat er? Will er gar Putin ablösen?

Prigoschin - dieser Name fällt immer wieder, wenn es um die Ukraine geht. Genauer: immer, wenn wieder jemand vor laufender Kamera enthauptet, erschossen oder totgeschlagen wurde. Der Russe ist Chef der Söldnergruppe Wagner. Seine Spezialität: besondere Grausamkeit. Gerade erst hat er gefordert, dass Russland keine Kompromisse machen soll, lieber eine Niederlage riskieren sollte, als sich auf einen Friedensdeal mit Zugeständnissen einzulassen.

Seit Monaten macht Jewgeni Prigoschin von sich reden. Was will er? Wie viel Macht hat er wirklich? Und: Ist er der kommende starke Mann Russlands?

Der Mann, der mal "Putins Koch" war, ist heute Putins Schlächter. Die beiden kennen sich vermutlich seit Beginn der 90er Jahre, wie der Russland-Kenner und Professor der Uni Bonn Andreas Heinemann-Grüder, ntv.de sagte. Beide kommen aus St. Petersburg, wo Putin stellvertretender Bürgermeister war und Prigoschin gerade neun Jahre Haft wegen schweren Raubs abgesessen hatte. Dort baute er einen Cateringservice auf und machte in Glücksspiel - für dessen Lizenzierung Putin zuständig war.

Prigoschin stieg zum Multimillionär von Putins Gnaden auf, baute Trollfabriken auf, um Cyberkrieg, etwa gegen die USA und Deutschland, zu führen, und gründete auch die Gruppe Wagner. Die Söldnergruppe tauchte 2014 das erste Mal auf, als russische Kämpfer verdeckt in die Ukraine einmarschierten. Später spielte sie eine entscheidende Rolle beim russischen Einsatz in Syrien, auch in Mali und anderswo in Afrika ist die Gruppe aktiv. Dort hält sie Regime an der Macht, die sich ohne sie nicht halten könnten, wie die Russland-Kennerin Juliane Fürst ntv.de sagte. Der Lohn: Massen an Gold und Diamanten, die Wagner aus dem Land holt, so die Historikerin vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung.

Wagner bietet Putin drei Vorteile

Dann begann der Ukraine-Krieg und Prigoschin betrat die ganz große Bühne. Nach dem Scheitern des russischen Angriffs auf Kiew und dem Rückzug nach Osten setzte Putin verstärkt auf die Söldner. Das hat bis heute mehrere Vorteile. Da sie sich aus Ex-Soldaten, Mördern und Schwerverbrechern sowie anderen verkrachten Existenzen rekrutieren, werden sie im Todesfall weniger vermisst als reguläre Soldaten, die meist aus der Mitte der Gesellschaft kommen. "Beerdigungen machen den Krieg in den Regionen sichtbar", sagte Heinemann-Grüder. "Den Unmut der Angehörigen kann man nicht unterdrücken. Mit Wagner hat man dieses Problem nicht, denn deren Kämpfer werden kaum vermisst und außerdem in Frontnähe beerdigt."

Vorteil Nummer 2: Wagner kann besonders grausam vorgehen. Das liegt nicht nur daran, dass die Gruppe nicht der Genfer Konvention unterliegt, sondern auch nach innen brutaler disziplinieren kann als es die russische Armee könnte. Die ist zwar traditionell ebenfalls von einer Gewaltkultur geprägt, doch sei die in den vergangenen Jahren rückläufig gewesen, so Heinemann-Grüder. "Diese Art der Kriegsführung, bei der man Zivilisten und Kinder tötet, wie in Bachmut dutzendfach geschehen, hat erhebliche Auswirkungen auf Disziplin und Kampfmoral", sagte er. Die Folge: viele Deserteure und auffallend hohe Suizidraten in der russischen Armee. "Man braucht eine Todesschwadron, mit der man töten kann, ohne dass es sichtbar wird."

Der dritte Vorteil besteht für Putin darin, dass er der eigenen Armee Druck machen kann. Ein alter Trick: Während das reguläre Militär und die Söldner um Einfluss ringen, kann Putin mal den einen, mal den anderen die Gunst erweisen und steht immer über den Dingen. "Das Regime Putins basiert auf der Möglichkeit, ständig mehrere Bälle in der Luft zu halten und die Konkurrenz unter den Sicherheitsapparaten aufrechtzuerhalten", sagte Heinemann-Grüder. Dabei habe sich ein Ritual eingespielt: Erst werde jemand eine Zeit lang öffentlich niedergemacht, dann wieder gelobt. Im Moment sei Prigoschins Stern wieder im Steigen. Aktuell sehe es danach aus, dass seine Söldner sich mit den Luftlandetruppen aus der regulären Armee zusammengetan haben, um Bachmut doch noch zu erobern.

Prigoschin wird nicht Putins Nachfolger

Historikerin Fürst geht nicht davon aus, dass Prigoschin aktuell ein großer Machtfaktor ist. "Ich glaube nicht, dass er Zugang zum inneren Kreis der Putin-Berater hat", sagte sie. Darauf deute auch hin, dass er sich so häufig öffentlich äußere, um seine Anliegen vorzubringen, etwa die Forderung nach mehr Munition oder die Drohung mit dem Abzug der Truppen. Prigoschin würde aber nach einem etwaigen Sturz Putins an Macht gewinnen, weil er über eigene Truppen verfügt.

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Fürst und Heinemann-Grüder glauben aber beide nicht, dass Prigoschin überhaupt so weit aufsteigen könnte. Dem Bonner Professor zufolge würden die russischen Eliten Prigoschin nicht akzeptieren, weil er dem Volk nicht vermittelbar sei und auch das sensible Verhältnis zur Industrie und die russischen Regionen nicht moderieren könne - so wie Putin das noch immer gelinge. Prigoschins Truppen wären auch nicht stark genug, um damit nach Moskau zu marschieren und die Macht zu übernehmen, sagte Heinemann-Grüder. Fürst sagte, Prigoschin wirke auf die Eliten um Putin wie der schmutzige Junge von der Straße - weil er ein ungeschminkterer und offenerer Gangster sei, als sie es selbst sind. Wobei Heinemann-Grüder betonte, dass alle russischen Eliten hochkorrupt sind und auch vor Auftragsmorden nicht zurückschrecken.

Ob Prigoschin überhaupt politischen Ehrgeiz hat, ist fraglich. Klar ist, dass er ein Nationalist ist, der Kompromisse ablehnt und für größtmögliche Härte steht. Und dass er damit in Putins Gunst steht.

Quelle: ntv.de

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