US-Wahl-Talk bei Anne Will Wie soll Biden die USA trotz Trump heilen?
09.11.2020, 02:10 Uhr
Armin Laschet ist bislang nicht weiter als Außenpolitiker in Erscheinung getreten, zur Lage in den USA durfte er sich trotzdem äußern.
(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)
Rassismus, soziale Ungerechtigkeit, Republikaner gegen Demokraten: Joe Biden muss als kommender US-Präsident ein völlig zerrissenes Land einen. Er selbst will die USA sogar "heilen". Schafft er das? Das fragt sich die Talk-Runde bei "Anne Will".
Seit Samstag steht es so gut wie fest: Der Demokrat Joe Biden wird der 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika werden. Bei seiner (vorläufigen, denn ein offizielles Ergebnis steht noch aus) Siegesrede versucht er sich gleich als Brückenbauer. Zusammenbringen möchte Biden das Land, es sogar von der Spaltung "heilen", die die Gesellschaft zu zerreißen droht. Kamala Harris wird als erste Frau Vizepräsidentin - und dazu noch als erste weibliche Person of Color. Die Bewegung und die Veränderung in Washington, mit der Biden und Harris in ihren vier Präsidentschaftsjahren die USA kurieren wollen, ist jetzt schon sichtbar. Noch-Präsident Donald Trump hätte solche Worte wie die von Biden niemals geäußert - und eine Frau, noch dazu eine of Color, hätte er niemals an seine Seite geholt.
Aber, und darüber sprach am Sonntagabend die ARD-Talkrunde bei Anne Will, wie könnte der "President-elect" Biden das Land überhaupt einen? Und was passiert, wenn Trump die Niederlage weiterhin nicht anerkennt und nicht damit aufhört vor Gericht zu ziehen? SPD-Bundesaußenminister Heiko Maas, aus Brandenburg zugeschaltet (da funktioniert das Wlan direkt mal nicht richtig), beschwichtigt gleich zu Beginn: "Das offizielle Ergebnis wird irgendwann festgestellt werden, spätestens dann wird Trump das auch anerkennen." Dass es Gerichtsverfahren gäbe, sei ohnehin normal.
Spaltung wird noch größer werden
Armin Laschet, bei dem man sich fragen durfte, weshalb er in eine Experten-Runde zu den USA geladen wurde, hat "großes Vertrauen in die US-Institutionen". Der CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen glaubt einerseits an eine friedliche Machtübergabe im Januar, andererseits urteilt er eine Minute zuvor: "Trump war in den letzten 4 Jahren nie kalkulierbar." Besser erklärt es Lora Anne Viola, US-Professorin am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien an der Freien Universität Berlin. Die Expertin beschreibt den gesetzlich geregelten politischen Prozess der Machtübergabe, an den auch Trump sich halten muss, um dann aber auf eine viel wichtigere Frage zu kommen. "Wie lange wird Trump behaupten, dass er gewonnen hat und wann wird er seinen Anhängern eingestehen, dass er verloren hat?", fragt Viola.
Wird Trump also irgendwann ein Zeichen senden in Richtung seiner Unterstützer? Momentan bezeichnet er den Wahlausgang immer noch als Fälschung und diskreditiert damit Biden und das ihm zustehende Amt. Verlieren sei laut Maas in einer Demokratie systemrelevant, "aber das ist bei Trump noch nicht richtig angekommen". Eigentlich bräuchte man jeden Tag, um das polarisierte Land zusammenbringen, glaubt der Bundesaußenminister. "Aber die Spaltung wird jetzt noch größer werden", weil Trump seine Niederlage eben noch nicht eingestehe. "Das wird in den kommenden Wochen noch sehr unangenehm werden."
Auf Trumps Signal an seine Anhänger, Biden als rechtmäßigen Präsidenten anzuerkennen, warten derzeit alle Demokraten. Solch ein Zeichen wäre laut Viola "enorm wichtig", um den vom President-elect ausgerufenen Heilungsprozess wirklich anstoßen zu können. Denn die Spaltung ist in den USA mittlerweile so extrem, dass die 70 Millionen Trump-Wähler sich nur irgendwie beruhigen lassen, wenn ihr Noch-Präsident ihnen befehligt, Biden zu akzeptieren.
Trump "war kindisch, bockig und launisch"
Das liegt auch daran, dass in den Staaten inzwischen eine Art Tribalisierung herrscht. Die extreme Polarisierung hat die Gesellschaft in zwei Lager, ja zwei Stämme, gespalten, die keine gemeinsame Fakten-, Wissens- und Wertebasis mehr haben. Sie sehen ihre Ansichten als existenziell an und ignorieren die Gegenseite. Trump nutzt das wie kein Zweiter aus - auch jetzt nach der Wahl. Diese unterschiedlichen Menschen für gemeinsame Diskussionen an einen Tisch zu bringen, ist die eigentliche Mammutaufgabe Bidens in seiner Präsidentschaft. Nur so findet er Akzeptanz für seine Corona-Politik, seine wirtschaftlichen Entscheidungen und seine Reformen zu Klimawandel oder sozialer Ungerechtigkeit. Nur so kann er auch auf internationaler Ebene konsequent agieren. "Heilen ist mehr als notwendig", fasst es Bundesaußenminister Maas zusammen. "Erst dann können sich die USA auf ihre wichtige Rolle in der Welt konzentrieren." Die tief greifenden Probleme in den USA, die tiefen Furchen in der Gesellschaft oder die mehr als 400 Jahre struktureller Rassismus zum Beispiel, können in einer Präsidentschaft aber ohnehin nicht behoben werden.
Viel dreht sich bei Anne Will um Trumps Polarisierungen und wie sie der Gesellschaft geschadet haben. Journalist Klaus Brinkbäumer prangert an, die rechten wie linken US-Medien würden Hass säen, denn "Hass verkauft sich wirklich blendend". Die Radikalisierung der Gesellschaft würde auch durch Facebook und Twitter vorangetrieben. Aber, erklärt US-Professorin Viola, "die Polarisierung in den USA ist viel tiefergehender. Sie kam nicht erst mit Trump auf, er hat sie nur zugespitzt." Schon seit den 1970er Jahren fehle die Mitte. Die beiden Parteien hätten sich zu stark nach links und rechts gewendet. Eine wichtige Frage wird also sein: Wie schafft es Biden, die Parteien wieder aneinanderzurücken?
Peter Rough, US-Politikberater am Hudson Institute Washington D.C., der schon für George W. Bush gearbeitet hat, glaubt in der ARD-Sendung immerhin an die Gesprächsbereitschaft der Republikaner. Als republikanisches Parteimitglied sagt er, dass Biden eine gemäßigte Politik führen müsste, um auch Republikaner hinter sich zu bringen. Diese hätten schließlich im Rennen um Sitze im Senat und Repräsentantenhaus und mit fast 71 Millionen Stimmen in der Präsidentenwahl sehr gute Ergebnisse erzielt. "Fährt Biden einen harten Linkskurs", so Rough, "wird das schwierig". Als ein gutes Zeichen sehe er es an, dass führende Republikaner den Sieg Bidens anerkennen. Rough selbst sagt zu Trumps Auftritten nach der Wahl: "Das war kindisch, bockig und launisch."
Trumps Rassismus war kein Dealbreaker
Was dem Will-Talk fehlt, ist aber die Stimme derer, die den Spaltungs-Hass Trumps am stärksten zu spüren bekommen seit vier Jahren - und in allen ihren Lebensjahren davor. Zwar wird kurz der US-Bürgerrechtler und Pastor Al Sharpton, der die Trauerrede auf George Floyds Beerdigung hielt, mit einem zuvor aufgezeichneten Interview zugeschaltet, indem er von Biden fordert, einige Dinge zu Ende zu führen, die Barack Obama gestartet hatte: Eine bessere Kontrolle der Polizei, zum Beispiel, oder Regeln für das Justizministerium, um Polizisten nach unverhältnismäßiger Gewalt gegen US-Bürger of Color auch wirklich ins Gefängnis bringen zu können.
Aber viel ausführlicher hätte der ARD-Talk diskutieren müssen, dass struktureller Rassismus in den USA allgegenwärtig ist und auch die Wahl bestimmt hat. Dass Trump so viele Stimmen erhielt, zeigt nicht nur, dass für viele sein Rassismus kein Dealbreaker war, sondern vielmehr vielleicht ein Dealmaker. Etliche Schwarze, Muslime oder Latinos mögen zu Recht denken, dass sie gar nicht mit Trumps USA vereint werden wollen. Müssen People of Color in den USA wieder die sein, die die Vergangenheit akzeptieren und einfach weitermachen sollen, obwohl die Politik der Trump-Präsidentschaft sie ausschloss und im Falle der Polizeigewalt und der Pandemie sogar tötete? Bidens kompletter Heilungsplan, die Mammutaufgabe Brückenbau, in den ethnisch zerrissenen USA wird nicht funktionieren, ohne dass der 46. Präsident diese Probleme angeht.
Quelle: ntv.de