Finnischer Ex-Geheimdienstchef"Wir können Putin und seinen Freunden die Software abschalten"

Soll Europa Russland mit dessen eigenen Waffen schlagen - und hybride Attacken starten? Das zumindest fordern Politiker in Berlin und Brüssel. Besonders im IT-Bereich gebe es Möglichkeiten, den Kreml zu ärgern, sagt der frühere Leiter des finnischen Militärgeheimdienstes.
ntv.de: In der europäischen Politik werden Forderungen laut, die Russen mit hybriden Attacken unter Druck zu setzen. Zu den Befürwortern gehört Anton Hofreiter als Vorsitzender des Europa-Ausschusses im Bundestag, der unter anderem "offensive Cyberkapazitäten" fordert. Ist das eine gute Idee?
Pekka Toveri: Seit zehn Jahren verteidigen wir Europäer uns gegen Russland in diesem hybriden Krieg - und die Bedrohung wird stetig größer. Statt ständig auf russische Sabotageanschläge zu reagieren, sollten wir proaktiver sein. Wir haben Russland erlaubt, die Diskussionen in den sozialen Medien mit Fake News und Lügen zu kontrollieren. Wir sollten unsere eigene Informationskampagne starten, in der wir die falschen Behauptungen besser bekämpfen als heute. Wir müssen auch die russische Bevölkerung mit unseren eigenen Informationskampagnen ansprechen. Wir sollten darüber hinaus unsere eigenen Cybereinsätze durchführen. Die Russen haben ihrerseits Tausende und Abertausende von Cyberangriffen gegen uns durchgeführt.
Und die Europäer haben dafür alles, was sie brauchen?
Wir haben in den europäischen Geheimdiensten die besten Cyber-Fähigkeiten der Welt. Warum sollten wir sie nicht so einsetzen, dass wir bei jedem größeren Angriff auf uns zurückschlagen? Allerdings würden wir bei einem Gegenschlag nicht damit angeben, weil niemand unsere wahren Fähigkeiten preisgeben will. Die Russen würden trotzdem wissen, warum etwas passiert - und wer dahintersteckt. Wir müssen die Russen da treffen, wo es ihnen wirtschaftlich wehtut. Jede einzelne Verletzung des europäischen Luftraums sollte ihren Preis haben. Neben hybriden Attacken sollten wir auch auf die russischen eingefrorenen Vermögenswerte in Belgien zielen und die Sanktionen verschärfen.
Europäische Länder wie Dänemark und Tschechien erlauben bereits offensive Cybereinsätze. Allerdings würden auch sie wohl nie zugeben, Russland angegriffen zu haben, oder?
Nein, denn die Russen würden es auch nie zugeben. Auch sie sind bemüht, alles so darzustellen, dass sie es abstreiten können und es vor einem westlichen Gericht keinen Bestand hätte. Sie sind vorsichtig. Egal, ob es darum geht, dass die russische Regierung den Befehl gegeben hat, die Eisenbahnlinie in Polen zu sprengen, einen Cyberangriff durchzuführen oder Unterwasserkabel vor Finnland mit dem Kettenanker zu durchtrennen. Das alles kann man vor Gericht nicht wirklich beweisen. Zugleich ist es offensichtlich, dass die Russen dahinterstecken. Um dem entgegenzuwirken, müssen die Europäer bei hybriden Attacken denselben Regeln folgen wie die Russen.
Welche hybriden Gegenschläge aus Europa würden die Verantwortlichen im Kreml besonders ärgern?
Wir Europäer sind noch weit davon entfernt, alle Möglichkeiten im IT-Bereich ausgeschöpft zu haben. Ich habe gerade gelesen, dass einige reiche Leute in Russland verärgert sind, weil sie Probleme mit ihren Luxusautos haben, da die Software in den Autos nicht aktualisiert wurde und nicht funktioniert oder die Autos in einigen Fällen aus der Ferne gestoppt wurden. Vor Beginn der Invasion gab es eine Schätzung, wonach 90 Prozent der russischen Regierungscomputer mit illegalen Microsoft-Lizenzen arbeiten. Die Russen kopieren die Software einfach und zahlen die Lizenz nicht, weil sie alles stehlen. Dadurch gibt es aber auch viele Schwachstellen in Bezug auf Sicherheit. Russland ist stark auf westliche Technologie angewiesen, weil es selbst keine nachhaltige Branche aufgebaut hat.
Wie genau können die Europäer das nutzen?
Wir können Putin und seinen Freunden die Software abstellen. So können wir auch Maschinen aus der Ferne stoppen. Das würde Putins Freunde wirklich ärgern: Wenn sie sich von ihrem Mercedes verabschieden und auf einen Lada umsteigen müssen. Es gibt so viele Schwachstellen. Ein weiteres Beispiel: Zu Beginn des Angriffskriegs stahlen die Russen landwirtschaftliche Maschinen aus der Ukraine. Anschließend konnten manche Produzenten dieser Maschinen die Software aus der Ferne deaktivieren. Die Maschinen waren dadurch nicht mehr zu gebrauchen.
Die Software stammt aber überwiegend aus den USA. Und das macht uns in Europa auch nervös, die Befürchtung: Donald Trumps und die US-Tech-Milliardäre schließen vielleicht einfach mal unsere Clouds und andere Funktionen.
Das stimmt. Der große Unterschied ist aber: Wir zahlen im Gegensatz zu den Russen und sind wichtige Kunden für die US-Branche. Obwohl Trump manchmal für Putin arbeitet: Die USA werden uns kaum die Software abstellen, weil es ihnen selbst zu sehr schaden würde. Trump wird sowieso nur von Putin gelockt, indem ihm lukrative Geschäftsabschlüsse vorgeschlagen werden. In diesem Spiel waren die Russen schon immer gut. Bereits als ich vor Jahren der Chef des militärischen Nachrichtendienstes in Finnland war, haben wir die russische Wirtschaft sehr genau betrachtet. Und die Analysten sagten, dass Russland niemals in der Lage sein werde, eine militärische Macht aufzubauen, die die NATO ernsthaft bedroht - aber immer genug Geld haben wird, um westliche Politiker und Geschäftsleute zu korrumpieren.
Rechtsextreme Parteien in Europa sind von Russland korrumpiert, ob die AfD in Deutschland oder der Rassemblement National in Frankreich. Auch das gehört zur hybriden Kriegsführung. Sollte Europa umgekehrt Putins Feinde finanziell fördern?
Politische Gegner Putins wie die Witwe des bekannten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny sagen, Putin sei das Problem in Russland. Ich bin völlig anderer Meinung. Wenn Putin morgen sterben würde, käme ein anderer Vertrauter aus dem inneren Kreis des Kremls, dem sogenannten Sistema, an die Macht, ein weiterer Krimineller. Das System im Kreml funktioniert auch, falls Putin morgen verschwindet. Es wird kaum ein liberaler Demokrat an die Macht kommen, der wirklich ein demokratisches Russland schaffen, sich für die Verbrechen entschuldigen und versuchen würde, das, was er getan hat, wieder gutzumachen. Russland müsste für einen echten Wandel denselben Prozess durchlaufen wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und akzeptieren, welche Verbrechen es begangen hat. Aber Leute, die das fordern, bekommen in Russland keine Unterstützung.
Sollte es für die Europäer rote Linien geben bei der hybriden Kriegsführung?
Man sollte, wie bei jedem Einsatz, vorsichtig sein. Wir wollen den Russen keine Ausreden geben, ihre nuklearen Bedrohungen zu verstärken. Und natürlich würden wir am Anfang keine Verbrechen begehen, obwohl Russland es tut. Wir würden zum Beispiel kein Kontrollsystem von nuklearen Anlagen angreifen. Wir würden nicht versuchen, Zugunfälle zu verursachen, indem wir die Eisenbahn oder ihre Kontrollsysteme treffen. Alles Dinge, die Russland bereits tut. Wir sollten vor allem die Oligarchen, Putin-Anhänger und die Regierung auf unterschiedliche Weise treffen.
Mit Pekka Toveri sprach Lea Verstl