Politik

Witze über den Kremlchef "Die einen sind Alkoholiker, die anderen für Putin"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
"Jedes Mal, wenn unser Pinocchio lügt, wird sein Tisch länger." Putin am 17. Februar 2022 bei einer Besprechung mit Verteidigungsminister Schoigu und dem damaligen Armeechef Gerassimow.

"Jedes Mal, wenn unser Pinocchio lügt, wird sein Tisch länger." Putin am 17. Februar 2022 bei einer Besprechung mit Verteidigungsminister Schoigu und dem damaligen Armeechef Gerassimow.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Trotz der Zensur kursieren in Russland Witze über Putin, auch im Internet. Die Slawistin Christine Engel hat Tausende Witze gesammelt und analysiert. Ihr Fazit: Die Stimmung ist schlecht. "In den meisten Witzen herrscht ein resignativer Grundton." Das gilt allerdings nur für die Zielgruppe dieser Witze.

ntv.de: Frau Engel, für einen Artikel in der Zeitschrift "Osteuropa" haben Sie Tausende Witze über Putin und die Lage in Russland analysiert. Was ist Ihr Lieblingswitz?

Christine Engel: Ich habe sogar zwei.

Christine Engel ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und war bis zu ihrem Ruhestand als Professorin am Institut für Slawistik der Universität Innsbruck tätig.

Christine Engel ist Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und war bis zu ihrem Ruhestand als Professorin am Institut für Slawistik der Universität Innsbruck tätig.

(Foto: privat)

Erzählen Sie, bitte!

Der eine nimmt Bezug auf die Sanktionen, kommt aber eigentlich noch aus den Zeiten der alten "Radio Eriwan"-Witze, die auch in der DDR kursierten. Er geht so: Liebe Redaktion! Vielen Dank für das tolle Rezept von Avocado mit Krevetten. Die Avocado haben wir durch gekochte Kartoffeln ersetzt und die Krevetten durch gerösteten Speck, aber im Prinzip hat uns das Rezept gut gefallen. Im anderen Witz geht es um die sogenannte Teilmobilisierung zum Krieg gegen die Ukraine: Iwan Iwanowitsch bekommt einen Einberufungsbescheid. Er fragt: "Mit wem kämpfen wir denn?" - "Na, mit den Faschisten." - "Ja, und gegen wen?"

Ist es nicht gefährlich, in Russland einen Witz zu verbreiten, der unterstellt, dass in Russland Faschismus herrscht?

So etwas geht schon. "Faschismus" ist ja in Russland ein grassierendes Schlagwort. Offenbar verstößt diese Art Witz nicht gegen die vielen Zensurgesetze, die für angebliche Beleidigungen des Militärs mit Geld- und Haftstrafen drohen.

Was sagen die von Ihnen gesammelten Witze über die Haltung der Russen zu Putin?

Das Image von Putin in den Witzen ist schlecht. Einige Witze prangern seinen Bonapartismus an. Kritisiert wird auch, dass er ständig seine Versprechen bricht und völlig abgehoben ist, weit entfernt von der Realität des Volkes lebt. Das ist allerdings nichts Neues. Eine polnische Politikwissenschaftlerin, Olga Nadskakuła-Kaczmarczyk, hat vor ein paar Jahren Putin-Witze aus dem Zeitraum 2014 bis 2018 untersucht. Sie kam zu dem Ergebnis, dass sein Image immer schlechter wurde.

Und was sagen die Witze über die allgemeine Stimmung in Russland?

Auch die ist eindeutig schlecht. In den meisten Witzen herrscht ein resignativer Grundton.

Haben Sie ein Beispiel?

Da gibt es zwei Sprüche, eher sarkastische Bemerkungen als richtige Witze, die diesen Grundton transportieren: Eigenartig, Putin lügt uns immer noch an, obwohl von uns nichts mehr abhängt. Und: Russland hat sich den Sanktionen gegen Russland angeschlossen. Wobei man natürlich sagen muss, dass diese Witze nicht die Stimmung in der gesamten Bevölkerung wiedergeben. Dazu muss man fragen: Wer schreibt denn die Witze?

Wer?

So ganz exakt kann man das nicht sagen, Witze sind ja eine anonyme Textsorte. Aber indirekte Hinweise lassen bis zu einem gewissen Grad Rückschlüsse zu. Wir wissen, dass die Sanktionen vor allem die städtische Mittelschicht treffen. Wir wissen auch, dass die städtische Mittelschicht Putin tendenziell kritisch gegenübersteht. Klar ist auch, dass Witze ein sehr männliches Genre sind - sowohl das Produzieren als auch das Erzählen von Witzen ist eher eine männliche Angelegenheit. Das Material für meine Untersuchung kommt von fünf russischen Witze-Plattformen. Dort sind mit Abstand die häufigsten und beliebtesten Witze - solche über Frauen. Und wir wissen zudem, dass jüngere Menschen mit klassischen Witzen nicht mehr so viel anfangen können, bei ihnen sind andere Formen wie Memes stärker gefragt. Wenn wir all diese Indikatoren zusammennehmen, dann kann man rückschließen, dass die meisten Witze-Schreiber gut ausgebildete Männer über 50 aus der städtischen Mittelschicht sein dürften. Und das gilt vermutlich auch für das Publikum dieser Witze.

Bedeutet der resignative Grundton, von dem Sie gesprochen haben, dass alle Hoffnungen auf einen Wandel in Russland, die wir uns vielleicht im Ausland machen, völlig aussichtslos sind?

Wunder sind nie ausgeschlossen. Aber ich kenne niemanden, der damit rechnet, dass es in Russland zu einem Umsturz oder einem Kurswechsel kommt.

Dem Umfrageinstitut Lewada zufolge sagen aktuell 75 Prozent der Russen, dass sich die Dinge in Russland in die richtige Richtung entwickeln - Tendenz steigend. 86 Prozent der Befragten "befürworten" Putins Aktivitäten. Ist das ein Widerspruch zu Ihrem Befund der schlechten Stimmung?

Nein, gar nicht. Die städtische Mitteilschicht, die Intelligenz, bildet nur einen kleinen Teil der russischen Bevölkerung. Auch dazu gibt es einen Witz: "Das Gesundheitsministerium hat erklärt, dass 30 Prozent der Bevölkerung stille Alkoholiker sind." - "Und die anderen 70 Prozent?" - "Die sind für Putin." Dazu kommt noch, dass viele Angehörige der städtischen Mittelschicht ausgewandert sind. Damit ist die Gruppe der Menschen in Russland, die putinkritisch eingestellt sind, noch kleiner geworden.

Sie zitieren einen Witz über den langen Tisch, an dem Putin immer seine Gäste empfangen hat: Jedes Mal, wenn unser Pinocchio lügt, wird sein Tisch länger. Ist das ein Hinweis darauf, dass Putin nicht nur ein negatives Image hat, sondern auch als lächerlich empfunden wird?

Ja, schon. Aber vor allem greifen die Witze Putins Kommunikationseigenheiten heraus. Dazu gehörte auch der lange Tisch, an dem Putin in der Pandemie immer gesessen hat. Einerseits hatte Putin offensichtlich Angst vor Corona, andererseits hat er den langen Tisch auch als Erniedrigungsinstrument eingesetzt. Gut fand ich auch den Witz, dass Putins Gäste demnächst ein Fernglas bekommen. Oder den: Die Gespräche zwischen Putin und Macron haben ergeben, dass Macron im April Putins Tischhälfte besuchen wird. Das zeigt, dass die Witze mitunter ein ziemlich realistisches Bild wiedergeben, wenn sie es auch in einer Pointe verstecken.

Würden Sie sagen, dass Witze dazu beitragen können, eine Art kritisches Bewusstsein am Leben zu erhalten?

Ich denke schon. Man sollte das aber nicht überbewerten. In der Witzforschung gab es eine Zeitlang eine Diskussion, ob Witze dazu geeignet sind, politische Revolutionen herbeizuführen. Da ist man sich inzwischen einig: Das sind sie nicht. Aber Witze sind keineswegs eine irrelevante Textsorte. Sie schaffen gewisse Freiräume der Kommunikation unter Gleichgesinnten und sie stärken soziale Gruppen, weil sie signalisieren, dass auch andere so denken wie man selbst. Das war schon in der Sowjetunion so. Damals wurden Witze bei den berühmten Küchengesprächen erzählt, aber auch bei politischen Versammlungen. Ohne Witze keine Sitzung.

Mit Christine Engel sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen