Politologe Höhne zu AfD im Osten "Wofür brauche ich dann die CDU?"
19.07.2023, 19:45 Uhr Artikel anhören
Von Friedrich Merz versprachen sich viele CDU-Anhänger, insbesondere im Osten, ein klares konservatives Profil. Doch was heißt das konkret?
(Foto: IMAGO/Metodi Popow)
Die AfD klettert im Trendbarometer von RTL und ntv auf 20 Prozent, in Ostdeutschland liegt sie in Umfragen sogar noch deutlich höher - während die CDU kaum von der Schwäche der Ampel profitiert. Der Politikprofessor Benjamin Höhne erklärt im Gespräch mit ntv.de, was dahintersteckt.
ntv.de: Die AfD steht bei rund 30 Prozent im Osten, wie viel Protest ist da drin und was ist verfestigte Struktur?

Der Politik-Professor Benjamin Höhne forscht und lehrt derzeit an der Uni Münster.
(Foto: Franziska Höhnl/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild)
Benjamin Höhne: Das Argument des Protests, das wir auch schon von der Linken kannten, halte ich für die AfD nur noch zum Teil für plausibel. Schon länger gibt es einen klaren Rechtsdrang der AfD und es wird immer offensichtlicher, dass sie nicht nach Rechtsaußen abgeschlossen ist. Der Landesverband Thüringen und die Jugendorganisation der Partei werden vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingeordnet. Insofern wissen die Wählerinnen und Wähler, insbesondere im Osten, dass sie es mit einer in großen Teilen rechtsextremen Partei zu tun haben.
Warum erlebt die AfD diesen Aufstieg? Liegt es an der Unzufriedenheit mit der Ampelkoalition?
Das spielt sicherlich bei den Leuten mit rein, die nicht aus eigener Überzeugung für die zum Rechtsextremismus neigende AfD stimmen würden. Entscheidender sind populistische Einstellungen in Reaktion auf eine Krise der repräsentativen Demokratie. Dabei wird behauptet, dass es einen Grundkonflikt zwischen "dem Volk" und "denen da oben", also einer vermeintlich abgehobenen Elite, gebe. Das ist Quatsch, den gibt es so nicht. Die Politiker und Politikerinnen, die ich kenne, bemühen sich intensiv um Kontakt zu ihrer Basis, arbeiten zum Teil 50 oder 60 Stunden die Woche. Demokratie ist jedoch sehr komplex geworden, es gibt verschiedene Ebenen bis hinauf zur Europäischen Union. Es ist ein riesiges Verhandlungssystem. Der Kompromiss ist die Norm. Es gibt eben nicht den einen starken Mann, der alle Hebel umlegen kann und ein Ziel bis morgen erreicht.
Wirkte das Heizungsgesetz wie abgehobene Politik der vermeintlich abgehobenen Elite?
Nein, ich glaube es wurden handwerkliche Fehler gemacht und die Stimmung in der Bevölkerung unterschätzt. Es war aber auch viel Desinformation seitens der Ampel-Opponenten im Spiel. Die FDP hat die Situation durch ihre Profilsucht als Opposition in der Regierung verschlimmert.
Profitiert die AfD davon, dass sie als einzige Partei diese populistischen Einstellungen bespielt?
Ja. Anders als andere rechtsextreme Parteien, die auch im Westen der Bundesrepublik immer mal wieder in Parlamente einzogen, kam die AfD in ihrer Gründungsphase als nationalkonservative und neoliberale Partei daher und hat sich dann radikalisiert. Sie hat erfahren, dass es kein Nachteil ist, zum Rechtsextremismus hin offen zu sein. Im Westen ist eine solche offene Flanke stärker ein Tabu. Im Osten ist das Gegenteil der Fall, diese Offenheit scheint für sie sogar von Vorteil zu sein. Im Osten hat man erkannt, dass man rechtspopulistisch und offen zum Rechtsextremismus sein kann und damit das rechtsextreme Spektrum einbindet, ohne weniger rechtsstehende Personen zu verschrecken.
Warum profitiert die CDU nicht in Umfragen von der Unzufriedenheit mit der Ampelkoalition?
Eigentlich müsste die CDU als größte Oppositionspartei als Regierung im Wartestand wahrgenommen werden. Das ist auch ihr eigener Anspruch. Aber konnte sie ihn einlösen? Wurde sie als eine Partei wahrgenommen, die ernsthaft darum bemüht ist, es besser zu machen, die realisierbare und zukunftszugewandte Konzepte vorlegt? Dazu muss man fairerweise sagen, dass es der CDU in Zeiten der mannigfaltigen Krisen nicht so leichtfallen konnte, mit eigenen Ideen wahrgenommen zu werden. In der Pandemie, beim Ukraine-Krieg oder der Klimakrise sind vor allem die Regierungsparteien gefragt.
Welche Rolle spielt dabei Parteichef Friedrich Merz?
Von Merz haben sich seine Anhänger ein dezidiert konservatives Programm versprochen. Aber wo ist dieses Programm? Was bedeutet Konservativismus heutzutage überhaupt? Da gibt es eine Leerstelle, die es auszufüllen gilt, auch mit dem geplanten neuen Grundsatzprogramm. Jüngst waren Avancen zum Rechtspopulismus zu vernehmen, etwa indem man sich gegen Gendersprache äußerte. Mit solchen ambivalenten Signalen kann die CDU nur verlieren. Intern hat sie die 50-prozentige Frauenquote ab 2025 eingeführt. Zugleich hat Merz zuletzt auf Twitter Signale ausgesandt, dass er wenig von geschlechtergerechter Sprache hält. Da fragt man sich im CDU-Vorfeld: Wie ist der Kurs? Wenn ich für mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern bin, gehe ich gleich zur SPD, die eindeutig dafür ist, oder eben zur AfD, die klar dagegen ist. Wofür brauche ich dann die CDU?
Die Frauenquote mag parteiintern wichtig sein, ist aber nach außen nicht das Riesenthema. Wie ist es beispielsweise beim Klimaschutz oder der Migration?
Da dürfte die öffentliche Wahrnehmung die sein, dass die CDU die grundsätzliche Richtung mitgeht, aber hier und da auf die Bremse tritt. Als Abwehrthema taugt der Klimaschutz nicht, auch weil die CDU in langer christdemokratischer Tradition der Bewahrung der Schöpfung steht. Die CDU sollte ein breites thematisches Profil und klare Kante gegenüber den Demokratiezersetzern zeigen. Wenn sie Themen genauso wie die AfD ausdrückt, aktuell etwa in der Migrationsfrage, dann profitiert nur die AfD. Die Menschen wählen im Zweifel das Original.
Fehlt im Osten die Brandmauer nach rechts?
Im Osten gibt es nicht so sehr eine Wertebindung, wie in ländlich-katholisch geprägten Gebieten im Westen. Die CDU im Osten versuchte lange Zeit die West-CDU zu imitieren, doch die Einbettung ins sozial-moralische Milieu fehlte und damit ein Stück weit auch ein Wertekompass, der davor schützt, über die Stränge zu schlagen. Umso wichtiger ist es gerade dort, bewusst eine rote Linie zu ziehen, wenn es um Rechtsextremismus geht. Manche tun dies nur halbherzig. Sie fühlen sich der AfD habituell oder in ihrer Weltsicht näher als beispielsweise den Grünen. So tun sich einige schwer, eine eindeutige Haltung zum Extremismus zu zeigen. Unterschätzen sollte sie die Gefahr nicht, wissen doch viele in der Ost-CDU aus eigenem Erleben, dass die Demokratie nicht in Stein gemeißelt ist.
Reicht "gute Politik" als Mittel gegen die AfD? Also bürgernah, erreichbar und Probleme der Menschen anpacken?
Das ist ein wichtiger Bestandteil. Genau diese Responsivität der pluralistischen Parteien hat weder im thüringischen Sonneberg noch in Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt funktioniert, wo es nun einen Landrat und einen Bürgermeister der AfD gibt. Dort waren die anderen Parteien kaum noch erkennbar, auch aufgrund ihrer personellen Ausdünnung. In Raguhn-Jeßnitz gab es in der Stichwahl den AfD-Kandidaten und einen Parteilosen. Der CDU-Kandidat hatte in der ersten Runde nur 5,9 Prozent geholt. Die AfD war viel präsenter und versucht das Kümmer-Image von der Linkspartei zu adaptieren. Dabei stützen sie sich teils auf rechtsextreme Strukturen, während das gesellschaftliche Vorfeld der anderen Parteien im Osten schon immer dünn war.
Sollte die AfD vielleicht einfach mal irgendwo regieren, damit sie sich entzaubert?
Ich würde davor warnen, zu glauben, dass man die AfD so einhegen könnte. Auf der einen Seite sind Regierungsbeteiligungen Teil ihrer Normalisierungsstrategie. Sie möchte weg vom bösen rechtsextremen Image und sich als Partei zeigen, die exekutive Verantwortung übernehmen kann, ohne dass es zu größeren Katastrophen kommt. Auf der anderen Seite wird sie das rechtspopulistische Narrativ weitererzählen. In Osteuropa, sei es in Ungarn oder Polen, sehen wir, dass solche Parteien immer neue Möglichkeiten finden, Feindbilder zu generieren, obwohl sie längst selbst die politische Elite des Landes bilden.
Kann die geringe Parteienbindung auch Hoffnung machen - dass die Leute von der AfD wieder zurück zur CDU gehen?
Bei den Mitgliedern sehe ich das eher nicht. Bei den Wählern dagegen ist das möglich. Bei jeder Wahl werden die Karten aufgrund geringer Parteibindungen im Grunde neu gemischt. Nur die Wähler mit stabilen populistischen Einstellungen, die werden beim Rechtspopulismus bleiben, weil sich da ein Weltbild verfestigt hat.
Was halten Sie von einem Verbot der AfD?
Ich bin überhaupt kein Freund davon, Parteien zu verbieten. An erster Stelle sollte die politische Auseinandersetzung stehen. Man muss natürlich sagen, dass mit einem Verbot einiges an Finanzierung und Organisationstruktur wegfiele. Aber die rechten Personen und Einstellungen wären noch da. Vielleicht würde es sogar dazu führen, dass sich im Untergrund militante Terrorzellen bilden. Ein Verbot sollte es nur dann geben, wenn eine Partei eine existenzielle Gefahr für das politische System darstellt, die damit aber längst nicht gebannt wäre.
Mit Benjamin Höhne sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de