Politik

20. Parteitag in China Xi Jinping ist mächtig wie nie, aber die Kritik ist nicht verstummt

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Das Wahlergebnis steht längst fest: Die Kommunistische Partei Chinas bestätigt Präsident Xi Jinping an diesem Wochenende auf dem Parteitag als Staats- und Parteichef. Xi ist damit so mächtig wie kein KP-Chef seit Mao. Und doch rumort es im Land.

Am 100. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei im Juli 2021 verkündete der chinesische Staatspräsident Xi Jinping unter Applaus: "Das chinesische Volk wird es niemals zulassen, dass eine ausländische Macht uns tyrannisiert, unterdrückt oder versklavt. Wer auch nur den Versuch wagt, der wird von der Großen Stahlmauer, die mehr als 1,4 Milliarden Chinesen aus ihrem Fleisch und Blut errichteten, zerquetscht werden, bis aus dem Kopf das Blut fließt." Das Publikum antwortete mit tosendem Applaus. Xi Jinping gab sich siegesbewusst und kämpferisch, denn genau dieser Kampfgeist hat ihn in der Kommunistischen Partei weit aufsteigen lassen und führt ihn beständig weiter.

Wenn Xi sich an diesem Sonntag auf dem Parteitag in Peking für weitere fünf Jahre - das ist der Rhythmus, in dem die Nationalkongresse der chinesischen KP stattfinden - als Generalsekretär und damit faktisch als Staats- und Parteiführer bestätigen lässt, bricht er das Tabu einer Amtszeitbegrenzung auf zehn Jahre, das bisher in China gegolten hatte, um Langzeitdiktatoren wie Mao Zedong zu verhindern. Zur Durchsetzung seines Machtanspruchs wurde 2018 sogar die Verfassung im Eiltempo geändert. Auch andere Maßnahmen hat Xi in Vorbereitung auf den 20. Parteitag ergriffen, damit die Macht auf Lebenszeit nicht im letzten Moment seinen Fingern entgleitet.

Kreuzzug gegen Korruption als Demonstration der Macht

Vor dem nahenden Parteitag wohlplatziert fand Ende September eine Säuberungskampagne im Sicherheits- und Justizapparat ihren Höhepunkt. Todesurteile ergingen öffentlichkeitswirksam gegen drei frühere Kaderspitzen: Ex-Vizepolizeiminister Sun Lijun, dem im Schauprozess Korruption, Börsenmanipulation und unerlaubter Besitz von Schusswaffen vorgeworfen wurde. Daneben der frühere Politkommissar Wang Like und Ex-Justizminister Fu Zhenghua, der sich wegen Korruption, Strafvereitlung zugunsten seines Bruders und anderer Krimineller sowie mangelnder Loyalität zu Xi Jinping zu verantworten hat.

Die Todesurteile und langjährigen Haftstrafen für drei Provinzpolizeichefs als weitere Mitglieder der "anarchischen Keimzelle" dienen als Warnung an politische Gegner: Niemand ist unantastbar. Niemand kann dem langen Arm des inneren Machtzirkels entkommen. Selbst Geld schützt nicht, wie der Fall des chinesisch-kanadischen Milliardärs Xiao Jianhua zeigt. Nach seinem mysteriösen Verschwinden aus einem Hongkonger Hotel vor fünf Jahren wurde der einstige Banker der chinesischen Parteielite in diesem Jahr von einem Gericht in Shanghai zu 13 Jahren Haft verurteilt, sein Unternehmen zu rund acht Milliarden Euro Strafe.

Kritik von einem 105-Jährigen

Ein ehemaliger KP-Funktionär in geradezu methusalemischem Alter übt trotzdem Kritik. Der 105-jährige Song Ping sagte im September in einer Videobotschaft, Deng Xiaopings Reform- und Öffnungspolitik sei "der einzige Weg für das heutige China, um sich zu entwickeln und voranzukommen, und der einzige Weg zur Verwirklichung des chinesischen Traums".

Song Ping hat sich einen Namen damit gemacht, weil er den ehemaligen Präsidenten Jiang Zemin zum vollständigen Rückzug aus der Politik drängte. Inwieweit seine Bemerkung für die Stimmung in der Kommunistischen Partei steht, ist unklar. In jedem Fall ist es hintersinnige Kritik, die ins Schwarze trifft. Seine Botschaft richtet sich offensichtlich gegen die Isolierungspolitik und Null-Covid-Strategie, die die chinesische Gesellschaft und Wirtschaft seit Beginn der Pandemie lähmen. Auf subtilerer Ebene lehnt sie zugleich die dritte Amtszeit des Präsidenten ab. Denn es war Deng Xiaoping, der als unmittelbarer Nachfolger von Mao die neue Amtszeitbegrenzung einführte. Es waren dessen handverlesene Nachfolger, die die goldene Regel für ein Mehr an Freiheit und Fortschritt stets respektierten. Wenn auch der Ausgang des 20. Parteitags kaum noch Überraschungen bereithält, so stellt sich eine ernste Frage: Wird Xis Wiederwahl zur Zementierung seiner Macht beitragen oder riskiert er, mit einer dritten Amtszeit an Chinas wachsender Krise zu scheitern?

Denn die Unzufriedenheit in der chinesischen Bevölkerung nimmt zu. Fast 20 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, Tendenz steigend. Enormer Druck auf die Sozialsysteme durch eine zunehmend überalterte Gesellschaft. Die schlimmste Krise seit Jahren im Immobiliensektor, ein baldiges Platzen der Immobilienblase wird erwartet. Flächendeckende Lockdowns in Großmetropolen wie Shanghai oder Chengdu, die die chinesische Wirtschaft und die menschliche Psyche an neue Klippen führen.

"Wir wollen keine Lügen"

Drei Tage vor dem Parteitag hat sich Widerstand an der Sitong-Brücke gezeigt, einer Hauptverkehrsader nahe der renommierten Chinesischen Volksuniversität in Peking. Regimegegnern gelang es, zwei mehrere Meter lange Protestbanner an der Brücke zu befestigen. Seit den Protesten auf dem Platz des Himmlischen Friedens sind solche Aktionen in Peking sehr selten geworden. Unter der erhöhten Sicherheitsstufe, die im Vorfeld zum einwöchigen Nationalkongress in Peking gilt, während Nachbarschaftskomitees mit roten Armbinden durch Straßen und Wohnviertel patrouillieren, erscheint der Protest geradezu tollkühn. Doch der Ärger über die Willkür, mit der Lockdowns verhängt, Zwangsquarantänen verordnet und Massentests befohlen werden, sucht sich offenbar sein Ventil.

Seit den Protesten auf dem Platz des Himmlischen Friedens sind solche Aktionen in Peking sehr selten geworden.

Seit den Protesten auf dem Platz des Himmlischen Friedens sind solche Aktionen in Peking sehr selten geworden.

(Foto: VIA REUTERS)

Auf weißem Untergrund in roter Schrift war auf dem ersten Banner zu lesen: "Wir wollen keine PCR-Tests, wir wollen zu essen. Wir wollen keine Lockdowns, wir wollen Freiheit. Wir wollen keine Lügen, wir wollen Respekt. Wir wollen keine Kulturrevolution, wir wollen Reformen. Wir wollen keine Leitfiguren, wir wollen Wahlen. Wir sollten uns nicht wie Sklaven verhalten, sondern endlich zu Bürgern werden."

Auf einem zweiten Banner wird der Ruf laut, die "Diktatur des Vaterlandsverräters Xi Jinping" zu stürzen. Es ist kein Protest, der Xi oder der Partei momentan schaden könnte. Bemerkenswert ist jedoch, dass jemand trotz flächendeckender Kameraüberwachung in Peking den Mut zu dieser Aktion aufbrachte und noch viel mehr, dass die Aktion überhaupt gelang. Zwar kursierte in der letzten Septemberwoche in den westlichen Social Media das Gerücht, unter anderem auf Twitter, Xi Jinping sei unter Hausarrest gestellt und ein Militärputsch in vollem Gange. Doch die angebliche Meldung entpuppte sich bald als Wunschdenken westlicher Verschwörungstheoretiker. Xi Jinpings Macht wird den 20. Parteitag überdauern. Eine andere Frage ist, ob das auch für den 21. Parteitag gilt.

Quelle: ntv.de

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