Politik

Scholz-Reise bei Anne Will "China hat vernichtendes Vergeltungspotenzial"

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Was tun gegen die große Abhängigkeit von China? Die Runde bei "Anne Will" sucht nach Antworten.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Kanzler Olaf Scholz reist nach Peking, China will sich am Hamburger Hafen beteiligen. Bei "Anne Will" zofft sich die ARD-Diskussionsrunde über die Abhängigkeit von der Volksrepublik - dabei wissen alle, welch enorme Gefahr bereits jetzt besteht.

Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine spricht Olaf Scholz von einer Zeitenwende. Nun fliegt der Bundeskanzler - wie in besten Zeiten von Vorgängerin Angela Merkel - mit einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation nach China. Ein falsches Zeichen zur falschen Zeit am falschen Ort? Bedeutet Scholz' Reise zu Deutschlands wichtigstem Handelspartner kurz nach dem Parteitag der Kommunistischen Partei - zu einem Moment, da Peking immer nationalistischer und totalitärer regiert, Taiwan so offen wie nie mit dem Angriff droht und die schweren Menschenrechtsvergehen an der muslimischen Minderheit der Uiguren in der westchinesischen Provinz Xinjiang fortführt - einfach ein "Weiter so" oder kommt der nötige Wandel in der China-Politik der Bundesregierung?

Die Diskussionsrunde zur Volksrepublik am Sonntagabend in der ARD-Talkshow "Anne Will" zeigt sich durchaus streitfreudig. Als erster darf Norbert Röttgen ran. Der Scholz-Kurztrip sei kein diplomatischer Erfolg gewesen, weil es zwar "gut, aber nicht überraschend" gewesen sei, so der CDU-Außenpolitiker, dass Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping kritische Worte in Richtung Russland bezüglich Drohungen eines Atomwaffeneinsatzes gerichtet habe. Vielmehr habe der Kanzler "weiteren außenpolitischen Schaden" angerichtet. Er habe einfach einen "Solo-Trip" aufs Parkett gelegt, der ein Signal von "business as usual" und "wir machen wieder Geschäfte mit China" gesandt habe.

"In diesen Zeiten brauchen wir Botschaften"

Das sehen die Vertreter der Ampel-Koalition natürlich anders. Peter Tschentscher erklärt, "die Reise hat dazu gedient, kritische Themen anzusprechen". Der SPD-Bürgermeister Hamburgs ist der Meinung: "In diesen Zeiten brauchen wir Botschaften, und einer muss die Botschaften hinterlegen." Tatsächlich hatte Scholz - anders als etwa Merkel früher - die Menschenrechtslage angesprochen und vor einem Angriff auf Taiwan gewarnt. Auch Omid Nouripour, Co-Parteivorsitzender der Grünen, findet es richtig, dass Scholz gefahren ist, denn es "ist immer gut, wenn Regierungschefs sich unterhalten und Spannungen abbauen".

Zwar zeigt sich Melanie Amann "positiv überrascht" von Chinas Russland-Kritik. Aber die Leiterin des Hauptstadtbüros des "Spiegel" greift Scholz scharf an, weil der Kanzler "noch nicht weiß, wie er mit China umgehen will und wie er aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit heraus kommen will". Scholz sei "in einer Situation der Unsicherheit" nach Peking geflogen und habe "sich von der Propaganda instrumentalisieren" lassen. Das Timing sei "sehr unglücklich" gewesen, schimpft Amann.

Die Kanzler-Schelte bringt das eigentliche Thema der gefährlichen Abhängigkeit Deutschlands von China auf den Tisch - und freut natürlich CDU-Mann Röttgen. Die Bundesregierung zeichne ein "Bild der Uneinigkeit" und Deutschland habe sich mit der Reise "erpressbar gemacht". Überhaupt, im Falle eines Angriffs Pekings auf Taiwan und dem möglicherweise anschließenden Kollabieren des China-Geschäfts schwant dem CDU-Mann Böses: "Mit der Abhängigkeit, die wir eingegangen sind, hat China uns gegenüber ein vernichtendes Vergeltungspotenzial." Grünen-Politiker Nouripour lässt das so nicht auf sich sitzen und ruft: "Das ist alles in den Merkel-Jahren gewachsen." Röttgen gibt zurück, dass man bei China nur etwas erreichen werde, "wenn wir uns einig sind, aber nicht mal die Koalition ist sich einig, geschweige denn die Regierung mit den europäischen Partnern".

Warnung vor "gefährlichen" Abhängigkeiten

Immerhin bei der Gefahr der Abhängigkeit sind sich dann alle mal einig in der Talkrunde. China ist seit 2016 Deutschlands wichtigster Handelspartner, Importe und Exporte steigen seit Jahren rasant an. Aber die deutsche Wirtschaft gilt als weitaus abhängiger von China als umgekehrt. Man müsse "ein klares Signal senden, dass diese Abhängigkeiten gefährlich sind", sagt Stormy-Annika Mildner, und deshalb hätte Scholz seine Delegation auf der Reise anders zusammensetzen sollen. Die Expertin für Außenhandelspolitik vom Aspen Institute Germany, die China auf dem Weg von der Autokratie zur Diktatur sieht, nennt bei den Abhängigkeiten vor allem Halbleiter und sogenannte Seltene Erden. Auf letztere Metalle, unverzichtbar etwa bei Akkus von Smartphones, Solarmodulen (etwa 95 Prozent der Solarzellen in Deutschland kommen aus China) oder Elektroautos, besitzt Peking Quasi-Monopole.

Deutschland befinde sich "in einer Zwickmühle", so Mildner: Die Risiken des China-Handels würden zwar immer stärker wahrgenommen, aber andererseits befinde sich unsere Wirtschaft im Tiefflug, und die Frage sei, wie viel Diversifizierung sich Deutschland leisten könne. "Es ist, wie wenn man sich schon in einem Unfall auf einer glitschigen Fahrbahn befindet und dann noch einmal umlenken muss", beschreibt es die Expertin so anschaulich wie bedrohlich. Journalistin Amann kritisiert daraufhin erneut die Fahrtüchtigkeit des Mannes am Lenkrad, denn Scholz habe "keine klare Strategie" und "keinen Plan, wann er wie weit aus welchen Abhängigkeiten herauskommen will".

Die Abhängigkeit von China und Scholz' Rolle wurde dieser Tage auch rund um das Thema der geplanten chinesischen Beteiligung an einem Hamburger Hafenterminal kritisiert. Und wieder flammt der Streit in der Runde auf. "Der Hamburger Hafen ist Teil einer globalen Machtstrategie", poltert Röttgen, "und ein wichtiger Baustein in Chinas globalem Netz von Abhängigkeiten." Tschentscher, beinahe persönlich angegriffen, verteidigt "seinen" Hafen, dessen Betrieb ja trotzdem "zu 100 Prozent bei der Stadt Hamburg und der Terminalgesellschaft" bleiben werde. Der Vorgang sei normal, China erkaufe sich "null Einfluss auf kritische Infrastruktur" und man könne nicht einen "wichtigen nationalen Hafen von dem abkoppeln, was auch alle anderen in Europa machen", so der Bürgermeister.

Das sei ja aber genau das Problem, kritisiert Röttgen. China habe gedroht, dass es "ohne den Deal keinen Verkehr mehr über Hamburg abwickeln" würde und die Hansestadt sei eingeknickt. In einem Konfliktfall würden die Chinesen wieder kommen und Druck machen. Das sieht auch Amann vom "Spiegel" so. China verfolge eine Strategie maritimer, globaler Dominanz und mit der Beteiligung hätte "ein Riese jetzt einen Zeh in der Tür". Sie warnt mit Blick auf Chinas Jahrhundertprojekt "Seidenstraße": "In zehn Jahren hat er dann einen Fuß in der Tür."

Ratlosigkeit bei Frage nach Alternativen

Zeigt Scholz, der den Hafendeal befürwortet und nach China reiste, dass sich nichts an der China-Politik Deutschlands ändern wird? Die Diskussionsrunde bei Talkmasterin Anne Will kommt zu keinem Fazit. Auch konkrete Vorschläge, wie die Abhängigkeiten minimiert werden könnten, wie auf Menschenrechte bei der Produktion und bei Zwischenprodukten in komplexen Lieferketten, faire Wettbewerbsbedingungen und Chinas Anerkennung des internationalen Rechts in Bezug auf Taiwan geachtet werden könnte, sucht man vergebens. Erst im nächsten Jahr will die Bundesregierung eine sich derzeit in der Ausarbeitung befindende China-Strategie präsentieren. Warum das so spät geschieht, darf sicherlich kritisiert werden.

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Ebenso gehört beanstandet, und hier setzt Wildner einen letzten wichtigen Punkt, dass nicht nur die Politik kein gutes Bild bei der Abhängigkeit abgibt. "Auch die Wirtschaft" gehöre angegriffen, sagt die Expertin für Außenhandelspolitik. "Und wir Konsumenten wollten diese Produkte ja auch." Zentrale deutsche Branchen, vor allem die Automobilbranche und die Chemiebranche, sind nicht nur enger verzahnt mit China als alle anderen, sondern in Form von BASF und Volkswagen auch in Xinjiang tätig, wo Peking Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt.

Ob Scholz' Zeitenwende die China-Politik erreicht, bleibt abzuwarten. Bei Unternehmen wie BASF ist sie nicht angekommen. Der Chemiekonzern eröffnete erst im September eine neue Mega-Produktionsanlage in der Volksrepublik - für zehn Milliarden Euro, der größten Investition in der Geschichte aller deutschen Firmen vor Ort.

(Dieser Artikel wurde am Montag, 07. November 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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