Kommentare

Neue, alte WeltordnungDer Frieden ist nicht mehr gratis

25.02.2022, 13:33 Uhr imageNikolaus Blome
276118861
Die deutsche Luftwaffe verlegte als Reaktion auf die wachsenden Spannungen drei weitere Eurofighter zum Schutz der Nato-Südostflanke nach Rumänien. (Foto: picture alliance/dpa)

Viel zu lange fehlte der politische Wille, eine robuste militärische Abschreckung zu organisieren. Zur Verteidigungsfähigkeit der NATO hat Deutschland nur wenig beizutragen. Das muss sich ändern.

"Das ist Putins Krieg", sagt Bundeskanzler Olaf Scholz, und er hat recht. Aber leider ist damit nicht viel gewonnen, denn die Schuldfrage ist mit Abstand am leichtesten zu beantworten. Ähnlich klar ist nur noch, was der Ukraine bevorsteht: Nach der militärischen Niederlage wird sie von Putin in einen Satellitenstaat verwandelt, die frei gewählte Regierung aus dem Amt und aus dem Land gejagt - und ein großer Teil der Bevölkerung brutal unterdrückt. Es ist ein komplett sinnloser, verbrecherischer Krieg, den Russland da führt und gewinnen wird.

Der Kreml-Herrscher zwingt Europa zurück in die dunkelsten Zeiten des Kalten Krieges, in die Zeiten der atomaren Bedrohung. Das muss jedem klar sein, und da beginnen die schwierigen Fragen.

Wer bis zuletzt an die Kraft der Diplomatie oder an Wladimir Putins Vernunft geglaubt hat, der muss sich heute eingestehen: Das war ein Irrtum, der in der Ukraine Menschenleben kostet und Folgen weit darüber hinaus hat. Alle diplomatischen Bemühungen waren es wert, unternommen zu werden, gewiss. Was sich rächt, ist darum nicht das Scheitern dieser Bemühungen, es sind die Unterlassungen auf anderem Gebiet. Deutschland und die Europäer waren vielleicht auch naiv und haben sich von Putin betrügen lassen. Vor allem aber waren sie pflichtvergessen.

Denn auch wer in Deutschland gern geglaubt hat, eine große, schlagkräftige Bundeswehr sei nicht mehr so wichtig, der muss sich heute eingestehen: Das war ebenfalls ein Irrtum. Seit dem Zweiten Weltkrieg bis zum Fall der Mauer und der Implosion des Warschauer Paktes speiste sich die Stabilität zwischen den Blöcken aus einem stetig dichter geknüpften Netz diplomatischer und wirtschaftlicher Kontakte - und einer robusten, atomar ergänzten Abschreckung durch die NATO. Wer heute Ende 50 ist und bei der Bundeswehr war, leistete seinen Wehrdienst in einer Armee mit weit über 400.000 Soldaten mit Unmengen an schwerem Gerät. Davon ist nicht viel geblieben, und von der Abschreckung gen Osten nur das Versprechen der Amerikaner, notfalls einzustehen.

Zu einer militärischen Abschreckung früherer Robustheit hat Deutschland derzeit nur wenig beizutragen, das Gejammer des obersten deutschen Heeres-Generals ist ein Offenbarungseid (auch für ihn selbst). Viel zu lange fehlte der politische Wille, gerade während der Jahre mit Angela Merkel - und darum fehlen jetzt die Mittel. Das rächt sich und das wird sich ändern müssen, oder Kriegsherr Putin macht vor nichts mehr Halt.

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ein SPD-Kanzler mit grüner Regierungsbeteiligung diese Wende wird vollziehen und den Wählern erklären müssen. Daran vorbeikommen wird er nicht. "Wir sind in einer anderen Welt aufgewacht", sagte Außenministerin Annalena Baerbock am Donnerstagmorgen. Das beschreibt zwar die Zäsur, die Putins Krieg für Europa bedeutet, aber es ist trotzdem falsch. Wir sind aufgewacht in einer alten Welt, die wir kennen. Es ist die Welt des Kalten Krieges und der Blöcke. In ihr kann man durchaus gut und sicher leben. Aber man muss sich auch verteidigen wollen und die Kosten dafür tragen. Der Frieden in Europa ist nicht mehr gratis.

Quelle: ntv.de

BundeswehrAngriff auf die UkraineNato