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Kein Blick für Innenpolitik? Manche Kritik an Merz ist wirklich Murks

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Zu viel Außen- zu wenig Innenpolitik? Außenpolitik ist derzeit Innenpolitik!

Zu viel Außen- zu wenig Innenpolitik? Außenpolitik ist derzeit Innenpolitik!

(Foto: REUTERS)

Gegner, Experten und eine große Umfrage-Mehrheit rügen, dass der Kanzler zu viel Außenpolitik macht und die Innenpolitik vernachlässigt. Weltfremder geht’s kaum.

Friedrich Merz heißt in diesen Tagen häufig "Außenkanzler", und das ist nicht lobend gemeint. Der Bundeskanzler mache zu viel in Außenpolitik und kümmere sich zu wenig um die Belange vor Ort, in Deutschland. Manche greifen bereits zur Charakteranalyse und attestieren Merz eine Phobie gegen kleinteilige Innen- und Sozialpolitik, weil er am liebsten über die großen Zusammenhänge sinniere.

In der jüngsten Forsa-Erhebung für RTL und ntv sagen 70 Prozent der Befragten, dass Merz sich "in erster Linie um die innenpolitischen Probleme kümmern" sollte. Dagegen halten es 24 Prozent für richtig, dass Merz "der Außen- und Sicherheitspolitik Vorrang einräumt". Unter den AfD-Anhängern sind es übrigens nur zwei Prozent, während 95 Prozent den Kanzler vor allem an den innenpolitischen Problemen arbeiten sehen wollen.

Viel begriffen von der Welt, wie sie gerade ist, haben sie nicht. Manche Kritik an Friedrich Merz ist wirklich Murks.

Man muss Auftritt und Kurs des Kanzlers in der jeweiligen Krisen-Sache nicht einmal groß verteidigen oder auch nur gut finden - aber in einem hat er Recht. Was da als (feige) Flucht in die für das Volk vermeintlich nutzlose aber für einen Regierungschef bequeme "Außenpolitik" abgetan wird, ist das glatte Gegenteil davon. Oder glaubt irgendjemand im Ernst, …

  • … dass es je wieder nennenswertes Wachstum und weniger Arbeitslose in Deutschland gibt, ohne dass sich das Verhältnis zu den USA unter Donald Trump bessert und ein halbwegs erträgliches Ende des irren Zollkrieges eintritt? Eine funktionierende Globalisierung ist Teil des deutschen ökonomischen Geschäftsmodells, ohne das es weder einen Sozialstaat gibt noch eine Umverteilung von Milliarden Steuereinnahmen von Süden und Westen nach Norden und Osten im Land.
  • … dass es eine global stabile Energieversorgung zu verlässlichen Preisen ohne ein Ende des Krieges in der Ukraine gibt? Also einer der großen Wünsche gerade der deutschen Wirtschaft in Erfüllung geht? Das zentrale innenpolitische Versprechen der neuen Regierung - Wachstum und sichere Jobs - ist in diesem Sinne: Außenpolitik.
  • … dass ohne ein Ende des Krieges in der Ukraine Russland aufhört, Flüchtlinge nach Europa zu pressen, um damit Staaten wie Deutschland zu destabilisieren? Das innenpolitisch so massiv aufgeladene Thema Asyl und Zuwanderung ist in diesem Sinne: Außenpolitik.
  • … dass, schließlich, eine Million geflüchtete Ukrainer auch nur anfangen, über eine Rückkehr nachzudenken, wenn der Krieg nicht endet und die Ukraine westliche Sicherheitsgarantien erhält? Wer beim Bürgergeld Milliarden Euro sparen möchte, wäre gut beraten, auch dem Kanzler bei diesen Bemühungen die Daumen zu drücken. Knapp jeder fünfte Bezieher von Bürgergeld ist nämlich Ukrainer. Die innenpolitisch größte Reformbaustelle – der Sozialstaat und das Bürgergeld – ist in diesem Sinne also: Außenpolitik.

Die Liste ließe sich lang fortsetzen, und von Dingen wie der Freiheit Europas, der Verteidigungsbereitschaft und dem lebensnotwendigen Schutzversprechen der Amerikaner war noch gar nicht die Rede. Alles davon klingt nach "Außenpolitik" - und ist in diesen Zeiten doch jedem sehr nah. Zeigen sogar dieselben Umfragen.

In der Forsa-Erhebung liegen nämlich auf den ersten drei Plätzen der "wichtigsten Themen": der Krieg in der Ukraine (für 65 Prozent), US-Politik/Trump/Zölle (für 39 Prozent), Naher Osten (38 Prozent, Mehrfachnennung möglich). Dann erst kommt die "ökonomische Lage", die 36 Prozent der Befragten derzeit für das wichtigste Thema halten.

Die Außenpolitik ist einem großen Teil der Leute derzeit zwar das Wichtigste, und das aus gutem Grund. Aber ein Kanzler, der den Themen (entsprechend) viel Zeit widmet, ist einem ebenfalls großen Teil der Leute gar nicht recht. Das ist nicht leicht zu verstehen. Man könnte auch sagen: Das ist ein Widerspruch, der das Regieren nicht leichter macht. Ein wenig Mitgefühl mit der Bundesregierung muss auch mal sein.

Quelle: ntv.de

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