
Bundeskanzlerin Merkel am Freitag nach dem telefonischen Impfgipfel mit den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten.
(Foto: imago images/Christian Thiel)
Ein Jahr nach Beginn der Corona-Krise verkündet Bundeskanzlerin Merkel, jetzt sei "mehr deutsche Flexibilität" gefragt. Sie zitiert sich damit selbst - und zeigt ein fundamentales Problem der aktuellen Krise.
Bei ihrer Pressekonferenz nach dem gestrigen Impfgipfel hat Bundeskanzlerin Angela Merkel sich selbst zitiert: "Wir wollen, dass die sprichwörtliche und im Übrigen auch bewährte deutsche Gründlichkeit um mehr deutsche Flexibilität ergänzt wird."
Ähnlich hat Merkel sich bereits vor ein paar Jahren geäußert, in der Flüchtlingskrise. In ihrer legendären Sommerpressekonferenz von 2015 sagte sie: "Wir stehen vor einer großen nationalen Aufgabe; die geht jeden an. Und dies wird eine zentrale Herausforderung sein, nicht nur für Tage oder Monate, sondern, soweit man das absehen kann, für eine längere Zeit. Deshalb ist es wichtig, dass wir sagen: Deutsche Gründlichkeit ist super, aber es wird jetzt deutsche Flexibilität gebraucht."
Damals fiel ein Satz, der besser in Erinnerung blieb als der mit der Flexibilität: "Wir schaffen das." Diese Wendung hat Merkel seither nicht noch einmal verwendet, auch nicht in der Pandemie. "Jede Krise hat ihre eigene Sprache", sagte sie einmal dazu.
Umso bemerkenswerter ist, dass Merkel ihre Forderung nach "deutscher Flexibilität" nun wiederholte. Zumal die Flexibilität, die Merkel 2015 einforderte, in der Regel nicht vom Staat ausging, sondern von zahllosen Freiwilligen: Sie waren es, die einsprangen, wo Behörden nicht oder zu langsam reagierten. Sie waren es, die staatliches Versagen bei der Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten kompensierten.
Simulierte Flexibilität
Wenn Merkel sich jetzt in der Corona-Krise auf ihren damaligen Appell beruft, so funktioniert die Parallele besser als ihr lieb sein kann, denn sie verweist auf ein fundamentales Problem. Wieder ist es der Staat, der seinen Aufgaben nicht gut genug nachgekommen ist: bei der Beschaffung und Verteilung von Impfstoffen und Tests, beim Schutz der Altenheime, bei der Digitalisierung von Schulen und Gesundheitsämtern, bei der Entwicklung einer funktionierenden Corona-App, bei den Hilfen für die Wirtschaft.
Privates Engagement wird auch heute gebraucht: Ohne freiwillige Helfer würde der Tübinger Weg nicht funktionieren; ohne Schulen, die Vorgaben aus den Kultusministerien auch mal ignorieren, wären viele Schülerinnen und Schüler noch schlechter durch den Lockdown gekommen; ohne Ehrenamtliche könnten die Impfzentren schließen. Aber dieses Mal sind die Grenzen dessen, was solche Initiativen leisten können, enger als in der Flüchtlingskrise.
Und so führt Merkels Zitat von 2015 komplett in die Irre. Flexibilität hat der Impfgipfel mit seinem vierseitigen Beschluss und seiner zögerlichen Einbeziehung der Hausarztpraxen allenfalls simuliert.
Quelle: ntv.de