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Vernichtung von Heimat Nicht nur wegen des Klimas ist Lützerath ein Armutszeugnis

Wenige Kilometer von Lützerath entfernt wurde 2018 die Kirche von Immerath dem Erdboden gleichgemacht. Mittlerweile existiert das Dorf nicht mehr.

Wenige Kilometer von Lützerath entfernt wurde 2018 die Kirche von Immerath dem Erdboden gleichgemacht. Mittlerweile existiert das Dorf nicht mehr.

(Foto: picture alliance / Federico Gambarini/dpa)

Aus Sicht von Klimaschützern geht es bei den Protesten in Lützerath um die verfehlte Klimapolitik der aktuellen und früheren Bundesregierungen. Aber auch die Skrupellosigkeit, mit der hier Heimat vernichtet wird, sollte nicht vergessen werden.

Der Abbau der Braunkohle ist nicht das einzige Problem, um das im Dorf Lützerath gestritten wird. Weniger häufig thematisiert, aber nicht minder skandalös, ist die Umsiedlung der Menschen dort.

Zu retten ist der Ort nicht mehr, der letzte Einwohner des Dorfes ist im Oktober weggezogen. Das macht die Vertreibung nicht besser. Wenn von Siedlungen die Rede ist, die Infrastrukturprojekten weichen müssen, denkt man in der Regel an totalitäre Staaten wie China, denen das Schicksal ihrer Untertanen egal ist. Dass Deutschland ganz ähnlich handelt, ist für viele kaum vorstellbar.

Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden allein im Rheinischen Revier rund 60 teils jahrhundertealte Ortschaften vernichtet. Dahinter stehen die Geschichten zerstörter Dorfgemeinschaften, abgerissener Kirchen und Baudenkmäler, verzweifelte und gescheiterte Kämpfe für den Erhalt des eigenen Zuhauses. In den Braunkohlerevieren in der Lausitz und in Mitteldeutschland waren es mehr als 240 Ortschaften, rund 20 davon nach der Wiedervereinigung. Dazu kommen noch Dörfer aus der Region Helmstedt in Niedersachsen.

Offizielle Zahlen zu den Vertreibungen aus Braunkohledörfern in Deutschland gibt es seltsamerweise nicht. Nach Angaben des Bundes für Umwelt und Naturschutz wurden in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg mehr als 120.000 Menschen für den Braunkohletagebau umgesiedelt, mehr als 40.000 davon im Rheinischen Revier.

Natürlich kommt es auch in Demokratien vor, dass die Interessen, gar die Grundrechte von Menschen missachtet werden, missachtet werden müssen, weil das allgemeine Interesse überwiegt. Die Kaltherzigkeit, mit der sich die Bundesrepublik an die Vertreibung von Menschen aus ihrer Heimat gewöhnt hat, ist dennoch erschreckend. Auch Konservative, die ansonsten den Schutz der Heimat für sich in Anspruch nehmen, machen hier keine Ausnahme.

Dass Lützerath abgebaggert werden soll, obwohl der Bundestag sich noch im Juli für den Erhalt des Ortes ausgesprochen hatte, liegt an einem Kompromiss der schwarz-grünen Landesregierung von NRW mit dem Energiekonzern RWE, der nach Darstellung des grünen Umweltminister Oliver Krischer ein "Schritt in Richtung Klimaschutz" ist, weil er 280 Millionen Tonnen Kohle unter der Erde belasse. Ob die Kohle unter Lützerath für die Energiesicherheit Deutschlands überhaupt notwendig ist, ist umstritten - RWE behauptet das, aber der Konzern hatte auch schon erklärt, dass ohne die Kohle aus Hambach der Betrieb stillstehen werde. Der Hambacher Forst steht immer noch, von gravierenden Problemen wurde bislang nichts bekannt.

Lützerath ist vermutlich das letzte Dorf, das der Braunkohle geopfert wird. Als Symbol ist es dennoch eine Schande - nicht nur für die Klimapolitik der Bundesrepublik, sondern auch für eine Skrupellosigkeit, die in einer liberalen Gesellschaft nie einen Platz hätte haben sollen.

Quelle: ntv.de

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