Kanzler Scholz plädiert für eine Impfpflicht, will aber keinen eigenen Gesetzentwurf dazu vorlegen. Er scheut das Risiko des Scheiterns. Doch ohne Risiko kein Aufbruch.
Bundeskanzler Olaf Scholz inszeniert sich gern als Macher, als einer, der anpackt, statt nur zu moderieren. Bei allem Lob für seine Vorgängerin will er offenbar den Vorwurf vermeiden, er sitze Probleme aus. Genau das macht Scholz aber bei der Impfpflicht: Er merkelt.
Ende November hatte er, damals noch als künftiger Bundeskanzler, eine allgemeine Impfpflicht für "Anfang Februar, Anfang März" angekündigt. Er sei dafür, "dass es auf Basis von Entscheidungen aus dem Bundestag geschieht, wo jeder Abgeordnete nach seinem Gewissen entscheidet", sagte er damals dem ZDF.
Der Weg, für diese Entscheidung im Deutschen Bundestag die faktisch bestehende Fraktions- und Koalitionsdisziplin aufzuheben, war nachvollziehbar, auch wenn taktische Gründe dabei eine Rolle gespielt haben dürften. Schon allein angesichts der Zusagen zahlreicher Politikerinnen und Politiker, es werde keine Impfpflicht gegen Corona geben, ist es eine gute Idee, die Abstimmung zur individuellen Gewissensfrage zu machen. Zugleich ermöglicht es der FDP - die Ende 2019 die Einführung der Masern-Impfpflicht noch einmütig mitgetragen hatte -, sich bei dem für sie schwierigen Thema zu enthalten.
Nicht nachvollziehbar ist indes, dass Scholz die Ausgestaltung der Impfpflicht komplett dem Bundestag überlässt. Mittlerweile hat SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zwar klargestellt, dass im März über die Impfpflicht abgestimmt werden soll. Aber weder das Bundeskanzleramt noch das Bundesgesundheitsministerium wollen einen Gesetzentwurf dazu erarbeiten. Möglich wäre dies: In der Debatte um eine Neuregelung der Suizidhilfe hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn einen "Arbeitsentwurf" vorgelegt.
Appelle täuschen Tatkraft nur vor
Scholz dagegen wirbt für die Impfpflicht, überlässt die Arbeit und damit die Verantwortung aber der SPD-Fraktion. Das könnte daran liegen, dass die Voraussetzungen für eine Impfpflicht in Deutschland anders als in Italien oder Österreich denkbar schlecht sind: Es fehlt das für die Durchsetzung notwendige Impfregister.
"Dass die notwendigen Maßnahmen eingeleitet werden, ist meine Aufgabe. Dafür trage ich die Verantwortung, und das hat meine oberste Priorität", sagte Scholz im Dezember in seiner ersten Regierungserklärung als Kanzler. Er meinte nicht die Impfpflicht, sondern ganz allgemein die Corona-Politik. Im selben Atemzug bat er die Bürgerinnen und Bürger, ihm zu helfen, diese Aufgabe zu bewältigen. "Lassen Sie sich impfen! Schützen Sie Ihr Leben und das Leben der anderen!"
Dieser Appell hat den Nachteil, dass er Tatkraft nur vortäuscht. Mit Blick auf ihre Umfragewerte ist Angela Merkel gut damit gefahren, politische Risiken so gut es ging zu meiden. Von diesem Stil des "Weiter so" wollte Scholz sich eigentlich absetzen. Es wäre an der Zeit, dass er damit beginnt. Heißt konkret: Er muss die Impfpflicht zur Chefsache machen. Sollte er dann feststellen, dass die Idee doch nicht so gut war, muss er sie eben wieder kassieren. In jedem Fall muss Scholz sich entscheiden. Wenn auch dieser Kanzler immer nur auf Nummer sicher gehen will, hätte die Vorgängerin ja gleich im Amt bleiben können.
Quelle: ntv.de