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Olaf Scholz will's wissen Wer diesen Kanzler zu früh abschreibt, lebt gefährlich

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Scholz will Kanzler bleiben - und wird sich dafür voll reinhängen.

Scholz will Kanzler bleiben - und wird sich dafür voll reinhängen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Auf dem Papier ist die Bundestagswahl gelaufen. Aber das muss nichts heißen: Der abgeschlagene Amtsinhaber ist zugleich bester und erfahrenster Wahlkämpfer im Kandidatenfeld. Olaf Scholz hat die vorgezogene Bundestagswahl noch nicht verloren.

Deutschland ist ein strukturkonservatives Land und die CDU ist seine natürliche Kanzlerpartei. Das muss wissen, wer die aktuelle Umfragesituation vor der rasant näher rückenden Bundestagswahl richtig einordnen will. Historisch war die SPD mit Ausnahme der 70er Jahre immer nur erster Herausforderer der Union. Ihre Stunde schlug vor allem dann, wenn sich die CDU nach langem Regieren inhaltlich und personell erschöpft hatte. So gesehen finden sich die Sozialdemokraten in diesen Wochen in ihrer natürlichen Rolle wieder: in der des Jägers.

Und angeführt wird diese Jagdgesellschaft von einem Mann mit reichlich Jagdtrophäen an der Wand. Darunter sind die hohen Siege bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen 2011 und 2015. Vor allem aber das sensationelle Zwölfender-Geweih: der gegen alle Umfragen eingefahrene Triumph bei der Bundestagswahl 2021. Olaf Scholz kann Wahlkampf. Wer diese Fähigkeit unterschätzt, lebt gefährlich. Das gilt für Scholz' Mitbewerber genauso wie für Medien und andere Beobachter des politischen Geschehens. Friedrich Merz und seine Union täten daher gut daran, nicht schon in Form von Ministerposten-Zuteilungen das Fell des Bären zu verteilen, noch bevor der überhaupt erlegt ist.

Merz ist angreifbar

Scholz hat gleich mehrere Punkte, die er für sich in die Waagschale werfen kann. Das sind seine Bekanntheit und Erfahrung als Regierungschef. Merz ist im Vergleich zum Hanseaten eine große Unbekannte für die Wähler. Der hatte nämlich noch nie einen Topjob inne - übrigens auch nicht in seiner Zeit als Wirtschaftsanwalt und als Aufsichtsrat bei der Investmentfirma Blackrock. Scholz wird gerade diese Unerfahrenheit weidlich ausschlachten, etwa beim Thema Ukrainepolitik. Scholz' Halbposition, der Ukraine zu helfen, aber vor allem Deutschland aus einer direkten Konfrontation mit Russland herauszuhalten, ist in der Bevölkerung anschlussfähig. Merz laviert dagegen zwischen Schweigen und Draufhauen: Während der Landtagswahlen im Osten drückte er das unpopuläre Thema einen Sommer lang weg. Im Herbst empfahl er plötzlich, Kiew deutsche Marschflugkörper für Angriffe auf russisches Territorium zu liefern.

Inhaltlich stellen kann Scholz die Union auch bei der Frage nach der künftigen Finanzierung des Landes. Der Mehrbedarf für die Bundeswehr, der Investitionsstau in der öffentlichen Infrastruktur, die Ukraine-Hilfen, die Umstellung des Landes auf Erneuerbare Energien, das von vielen noch immer unterschätzte Ausmaß der Überalterung der Deutschen: All das wird sich nicht allein durch Entbürokratisierung hier, Steuererleichterungen da und dazu etwas Umschichten im Haushalt lösen lassen. Je öfter sich Kanzlerkandidat Merz dem Amtsinhaber Scholz in Fernsehdebatten stellen muss, desto größer Scholz' Chance, programmatische Leerstellen der Union herauszuarbeiten.

Marathonmann mit Achillesferse

Und Scholz ist im Wahlkampf ein anderer als im Kanzleramt: Er kann mit Menschen reden, auch mit den sogenannten kleinen Leuten - selbst wenn aus ihm keiner Bierflaschen-schwenkender Gerhard Schröder mehr wird. Scholz verfügt zudem über beeindruckende Kraftreserven, die ihm eine Unmenge fehlerfreier Wahlkampfauftritte am Stück ermöglichen. Seine Sturheit, immer weiterzumachen, ohne links und rechts zu schauen, ist in aufgeregten Wahlkampfzeiten von hohem Wert. Unterläuft Merz in den kommenden Wochen auch nur ein Patzer, wird Scholz bereitstehen, diesen für sich zu nutzen. Und: Es geht nicht nur um den Wahlsieg. Jedes Ergebnis deutlich über 20 Prozent wäre ein immenser Dienst von Scholz an seiner SPD - die er nach eigenem Bekunden über alles liebt.

Scholz' beinahe unerschütterliche Selbstgewissheit ist zugleich seine größte Schwäche. Sie zeigt sich vor allem dann, wenn er auftrumpft: In Scholz' Reden zur Ukraine-Politik gibt es stets nur drei Positionen: die der "Kreml-Sprachrohre", die der "Heißsporne" und seine eigene - die Richtige. Im Umgang mit der FDP drohen Scholz Kieferverrenkungen, so kraftstrotzend spricht er über die "unzuverlässigen" Freidemokraten. Seine Empörung über Christian Lindner mag echt sein. Dass Scholz Lindners Rauswurf aber immer wieder von sich aus thematisiert, wirkt vor allem wie der Versuch, den drei lange Regierungsjahre währenden Vorwurf der Führungsschwäche wettzumachen. Sympathisch wirkt das für viele Menschen nicht.

Doch vielleicht kommt es Scholz gar nicht darauf an: Er muss die Menschen davon überzeugen, dass Merz die unberechenbarere, noch weiter vom Wahlvolk entfernte Alternative ist. Ob diese Botschaft tatsächlich verfängt, wird sich erst in einigen Wochen zeigen. In den Umfragen ging es für die SPD und ihren Kanzlerkandidaten jetzt schon ein wenig bergauf. Ein anhaltender Trend ist das noch nicht: Aber Friedrich Merz, der in seinem politischen Leben so viel mehr Niederlagen als Siege eingefahren hat, wird diese Zahlen aufmerksam verfolgen. Seine Ausgangslage ist 80 Tage vor der Bundestagswahl glänzend. Aber eben deshalb ist Merz nun vor allem eines: der Gejagte.

Quelle: ntv.de

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