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Scholz in Regierungsbefragung Lahme Ente trifft handlungsunfähigen Bundestag

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Scholz betritt das Bundestagsplenum - noch als amtierender Kanzler.

Scholz betritt das Bundestagsplenum - noch als amtierender Kanzler.

(Foto: picture alliance/dpa)

Noch einmal stellt sich Olaf Scholz als amtierender und nicht nur geschäftsführender Bundeskanzler den Fragen der Bundestagsabgeordneten. Er wirbt um gemeinsame Beschlussfassungen, doch ein Aufeinanderzugehen ist von keiner Seite zu erkennen - auch nicht in wichtigen anstehenden Fragen.

Als "Lame Duck" werden im Englischen Amtsinhaber bezeichnet, deren Autorität wegen ihres absehbaren Ausscheidens angekratzt ist. Eine solche "lahme Ente" ist Olaf Scholz, seit er die FDP aus der Regierungskoalition gekegelt und die Einleitung von Neuwahlen angekündigt hat. Allerdings sieht Scholz sein Wirken als Kanzler längst nicht am Ende und bewirbt sich - nach Umfragen derzeit noch aussichtslos - um eine erneute Amtszeit. Wie tief der Kanzler dabei schon im Wahlkampfmodus steckt, war am Mittwoch während der Regierungsbefragung zu beobachten. In einem Bundestag wohlgemerkt, der ohne klare Mehrheitsverhältnisse selbst kaum noch handlungsfähig ist. Deutschlands Blockade für die Zeit bis zur Bildung einer neuen Regierung irgendwann im Frühjahr ist für den Moment perfekt.

Scholz beharrte darauf, dass das alles ja nicht so sein müsse. "Die Zeit des Wahlkampfes ist nicht die Zeit des Stillstands. Man kann noch etwas tun und ich bitte Sie, dabei mitzuwirken", appellierte der sozialdemokratische Bundeskanzler. Er ist auf diese Appelle angewiesen, weil die rot-grüne Bundesregierung seit dem 6. November ohne die FDP und damit ohne eigene Mehrheit dasteht. Konkret beschließen solle der Bundestag Steuerentlastungen durch einen Ausgleich der kalten Progression, eine Erhöhung des Kindergelds und des Kinderzuschlags und die Finanzierung des Deutschlandtickets. Ferner stand auf Scholz' Wunschzettel für die Adventszeit die Verlängerung der Mietpreisbremse über das Ende des kommenden Jahres hinaus und die Begrenzung der Strompreise durch eine Beteiligung des Bundes an Entgelten für die Stromnetzübertragungskosten.

Selbst die Tagesordnung wird zur Hürde

Für all dies liegen Gesetzentwürfe vor. SPD und Grüne argumentieren für die Dringlichkeit dieser Vorhaben vor allem mit der kriselnden Wirtschaft und der notwendigen Entlastung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Doch nach aktuellem Stand in der ersten Dezemberwoche können sie nicht mit Mehrheiten rechnen. Weder CDU und CSU, noch die FDP signalisieren Bereitschaft, zuzustimmen. Der Fraktionschef und Kanzlerkandidat der Union, Friedrich Merz, hat eine Zustimmung zu Gesetzen, die den Haushalt betreffen, vorerst ausgeschlossen. Möglich, dass sich dies nach der für den 16. Dezember geplanten Vertrauensfrage durch Olaf Scholz noch einmal ändert. Verstimmt sind Merz und seine Fraktion zudem, weil SPD und Grüne einen Gruppenantrag zur Legalisierung von Abtreibungen in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten zur Abstimmung stellen wollen.

Die Lage ist derart verfahren, dass es zu Wochenbeginn zu einer in dieser ereignisreichen Legislaturperiode einmaligen Situation gekommen ist: Es dauerte bis zum Dienstagabend, bis sich die Parlamentarischen Geschäftsführer der verschiedenen Fraktionen auf eine Tagesordnung für die drei verbliebenen Wochentage einigen konnten. Aus den Fraktionen war dabei zu hören, dass sich hierbei SPD und Grüne auf der einen Seite und Union und FDP auf der anderen Seite beharkten. Streitpunkt war unter anderem der Zeitpunkt der ersten Lesung der Reform des Abtreibungsrechts nach Paragraf 218.

Diese wird nach Angaben der Grünen von inzwischen 327 Abgeordneten unterstützt. Die Befürworter, darunter die Kanzlerkandidaten Scholz und Robert Habeck, hoffen auf eine Mehrheit mit Stimmen von FDP, Linken und BSW. Merz lehnt eine schnelle Entscheidung über die Reform noch vor der Bundestagswahl am 23. Februar als übereilt ab. Der Vorstoß gefährde den gesellschaftlichen Frieden, der mit der vor 30 Jahren erzielten und noch immer gültigen Kompromisslösung erreicht worden sei. Die Antragsteller hingegen sehen diese Gefährdung eher in der Kriminalisierung von Frauen, die sich aus einer individuell empfundenen Notlage gegen ein Kind entscheiden. Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Irene Mihalic warnte die Union "eindringlich" davor, den Antrag in den zuständigen Rechtsausschuss zurückzuverweisen und ihn dort versauern zu lassen.

Union sagt nicht komplett "Nein!"

Ungeachtet der konfrontativen Stimmungslage, die während der Regierungsbefragung auch im Plenum zu vernehmen war, ist die Verständigung auf Mehrheiten nicht völlig unmöglich. So wollen SPD, Grüne, FDP und Union etwa das Gesetz zur Reform des Bundesverfassungsgerichts durchbringen, das Karlsruhe besser vor Angriffen durch extremistische Abgeordnete schützen soll. Auch den Rechtsrahmen für die dauerhafte Stationierung einer Bundeswehr-Brigade in Litauen wird die Union voraussichtlich mittragen.

Die steuerlichen Entlastungen, die noch die Ampel-Regierung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für das kommende Jahr geplant hat, stehen dagegen auf der Kippe. Die Union lehnt ihre Zustimmung ab unter Verweis auf im Gesetz enthaltene zusätzliche bürokratische Belastungen für Unternehmen. Die Entlastungen ließen sich zudem auch im Laufe des Jahres 2025 rückwirkend zum 1. Januar beschließen.

Auch die abermals von Scholz beworbene Bezuschussung der Strompreise aus dem Bundeshalt in Höhe von 1,32 Milliarden Euro lehnte etwa der CDU-Politiker Jens Spahn entschieden ab. Er sprach im "Handelsblatt" von "hektischer Flickschusterei". Die SPD versteht das nicht: "Hunderttausende bangen um ihre Jobs, doch Friedrich Merz will das einfach aussitzen", sagte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch zu ntv.de. "Besonders die hohen Energiekosten setzen unsere Unternehmen massiv unter Druck. Eine Deckelung der Netzentgelte könnte sofort helfen, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und Arbeitsplätze zu sichern." Merz solle seine "Blockadehaltung" aufgeben.

Eine Hand ausgestreckt, eine Hand zum Abwatschen

In einer an die Regierungsbefragung anschließenden Aktuellen Stunde zur aktuellen Wirtschaftslage warb auch Bundeswirtschaftsminister Habeck für Kompromisse. Er hoffe, "dass es möglich sein kann, bis Ende Februar vernunftbegabte Entscheidungen hier zu treffen. Es gibt keinen Grund, die Arbeit einzustellen". Habeck warb ebenfalls für das aus seinem Haus kommende Gesetz zur Senkung der Strompreise. Damit könnten die Netzentgelte "zumindest stabilisiert werden", sagte der Grünen-Politiker. Auch die Effekte der kalten Progression könnten noch abgemildert werden. Niemand müsse befürchten, dass gemeinsame Entscheidungen eine Partei mehr bevorteilten als andere. Bis zur Bundestagswahl werde sich durch die Maßnahmen kein so deutlicher positiver Effekt einstellen.

Allerdings konterkarierte Habeck das Werben um Kompromisse durch seine Ausführungen zu den Ursachen der deutschen Wirtschaftsprobleme, die der Grünen-Kanzlerkandidat vornehmlich an den unionsgeführten Vorgängerregierungen festmachte. Ähnlich bei Scholz: In der Regierungsbefragung wurde kein Zugehen auf die Union erkennbar. Der FDP gab Scholz wie schon in den Vorwochen erneut ein paar Watschen mit. Dem FDP-Verteidigungspolitiker Marcus Faber attestierte Scholz schmunzelnd: "Für eine Partei, die mit der 5-Prozent-Hürde zu kämpfen hat, sind Sie ganz schön tapfer." Als der freidemokratische Abgeordnete Ulrich Lechte nach einer stärkeren Bewaffnung der Ukraine fragte, sagte Scholz: "Wenn wir mehr leisten wollen, müssen wir die Mittel dazu finden, das hat gerade Ihre Partei immer wieder verhindert."

Eine Wahlkampfbühne für Erpel aller Art

Die Redner von Union, FDP und AfD konfrontierten ihrerseits die Bundesregierung wiederholt mit der schwierigen ökonomischen Lage. Das von Scholz versprochene Wirtschaftswunder sei nicht eingetreten, sagte etwa CDU-Wirtschaftspolitikerin Julia Klöckner. "Statt Wachstum Deindustrialisierung, statt Wachstum Höchstzahlen der Insolvenzen, statt Wachstum Höchstzahlen des Investitionsabflusses, statt Wachstum Tausende von Industriearbeitsplätzen, die verloren gehen", so Klöckner weiter. Union und FDP kritisierten eine dirigistische Subventionspolitik, die gescheitert sei. Deutschland brauche stattdessen eine Veränderung der Rahmenbedingungen, insbesondere die Senkung von Steuern und Abgaben.

Doch auch Union und FDP haben Anliegen, die sie gerne noch in der vorzeitig endenden Legislaturperiode beschlossen sähen. So hat die FDP etwa Gesetzesvorschläge vorgelegt, die eine Aufhebung des deutschen Lieferkettengesetzes vorsehen. Dafür hatte sich bis zum Herbst auch noch Habeck ausgesprochen und aus Überzeugung auch den Unmut seiner Partei hingenommen. Zudem wirbt die FDP für die Aktienrente, die Teil des Rentenpakets II war, das die Ampel nicht mehr zu Ende gebracht hat. Dieses sieht auch eine Garantie der Rentenhöhe und des Renteneintrittsalters vor, wofür vor allem die SPD streitet. Die FDP hält das für falsch. Die Konflikte der Ampel sind mit dem Ende der Koalition nun alleinige Probleme des Bundestags. Doch der dürfte bis auf Weiteres vor allem eines sein: Eine Wahlkampfbühne für Erpel aller Art und Parteifarben, für lahme Enten und für solche, die umso lauter mit den Flügeln schlagen.

Quelle: ntv.de

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