Person der Woche: Franziskus Der Papst plant den Coup
07.07.2022, 12:33 Uhr (aktualisiert) Artikel anhören
Die Diplomaten des Vatikans sind in geheimen Friedensvermittlungen zwischen Russland und der Ukraine aktiv. Nach Wochen der Unterhandlungen verkündet Papst Franziskus nun eine Reise nach Moskau und Kiew, "um zu versuchen, etwas zu helfen". Das Projekt "Augustfrieden" hat begonnen.
Bislang ist kein Papst je nach Russland gereist. Seit zwei Jahrtausenden noch nicht. Doch nun könnte sich das ändern - ausgerechnet jetzt. Mitten im russischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine verkündet Papst Franziskus, dass er eine Friedensmission zwischen Moskau und Kiew plane. "Ich würde gerne in beide Hauptstädte reisen", sagte er dem Korrespondenten Philip Pullella in einem 90-Minuten-Interview für Reuters, der weltgrößten Nachrichtenagentur, damit es auch die ganze Welt erfahren soll. Damit zeigt eine wochenlange Geheimdiplomatie zwischen dem Vatikan und den Kriegsparteien offenbar erste Erfolge, denn der Papst würde die Reise nicht ankündigen, wenn er nicht belastbare Zusagen aus Moskau hätte.
Es habe Kontakte zwischen dem vatikanischen Staatssekretär Kardinal Pietro Parolin und dem russischen Außenminister Sergej Lawrow über einen möglichen Besuch gegeben, präzisierte Franziskus.
Der Vatikan habe bereits zum Kriegsausbruch eine Friedensmission sondiert. Damals sei die russische Antwort gewesen, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt sei. Aber nun habe sich etwas geändert. "Die Tür ist offen", so Franziskus. Man habe Nachrichten ausgetauscht. Nach seiner Rückkehr aus Kanada, wo er vom 24. bis 30. Juli erwartet wird, sei ein Doppelbesuch denkbar. "Als Erstes muss ich nach Russland reisen und versuchen, in irgendeiner Weise zu helfen."
Aus dem Vatikan ist zu hören, dass Moskau inzwischen offen sei für einen Waffenstillstand im August oder im September. Man wolle aus Rom dabei gerne vermitteln, von einem Projekt "Augustfrieden" ist bereits die Rede. Sollte Papst Franziskus die Kriegsparteien tatsächlich zu einem Waffenstillstand bewegen können, wäre das zunächst ein diplomatischer Coup. Bislang haben nach Emmanuel Macron und Olaf Scholz mit ihrer Telefondiplomatie auch Israel und die Türkei, am Ende der Uno-Generalsekretär Antonio Guterres vergebens versucht, Waffenstillstandsverhandlungen voranzutreiben. Allerdings ist die Einigung auf einen Waffenstillstand nicht per se eine gute Lösung. Experten weisen auf die Gefahr hin, dass Putin ihn wie in Syrien lediglich dazu nutzen würde, die Truppen neu aufzustellen und anschließend umso stärker zuzuschlagen.
Für Wladimir Putin hat der Papst als Friedensvermittler einen großen politischen Reiz, da er damit in der westlichen Welt schlagartig wieder gesprächsfähig würde und sich Türen nach der Sanktions- und Blockadepolitik rascher wieder öffnen könnten. Für Putin könnte auch der Zeitpunkt passen, da er sich mit den jüngsten Eroberungen im Donbass bei einem Waffenstillstand im August als Sieger inszenieren könnte.
Papst Franziskus beschreitet mit seiner Friedensmission allerdings einen schmalen Grat. Ist es richtig, dass ausgerechnet der Papst dem Kriegstreiber jetzt die Hand zu Gesprächen reicht und ihn damit vor der Weltöffentlichkeit aufwertet? Wird er von Moskau womöglich für Propaganda-Zwecke missbraucht? Im Vatikan heißt es: "Der Frieden ist den Versuch wert." Seit dem Beginn der russischen Invasion am 24. Februar hat Franziskus den Konflikt immer wieder öffentlich verurteilt und Russland kritisiert.
Franziskus kritisierte die NATO
Dabei verwendete er Begriffe wie "grausamer und sinnloser Angriffskrieg", warnte vor dem Ausbruch des Dritten Weltkriegs und betete für die Ukraine: "Vergessen wir bitte nicht das geplagte Volk der Ukraine, das immer noch den Krieg erleiden muss. Gewöhnen wir uns nicht daran - als ob der Krieg etwas Fernes sei. In unseren Gebeten muss immer dieses Volk gegenwärtig sein, das so sehr leidet, das ein wahres Martyrium erleidet", sagte der Papst.
Andererseits hat sich Franziskus auch kritisch zur NATO geäußert, die durch das "Bellen" vor den Toren Russlands provoziert habe. Franziskus hat für diese Äußerung manche Kritik einstecken müssen, sich zugleich aber den Gesprächsfaden mit Moskau erhalten.
Franziskus betreibt seine Friedensmission aus tiefer persönlicher Überzeugung. Er sieht sich als Kirchenmann in der moralischen Pflicht, aktiv für den Frieden und eine sofortige Waffenruhe einzutreten. Bei Kriegsausbruch stieg er sofort in seinen Mini-Fiat und fuhr zur russischen Botschaft, um sich zu beschweren. Und nach den ersten 100 Tagen Krieg rief er auf dem Petersplatz mit bewegter Stimme: "Hören Sie auf den verzweifelten Schrei der Leidenden - wir sehen es jeden Tag in den Medien - und respektieren Sie das menschliche Leben! Halten Sie inne mit der makabren Zerstörung von Städten und Dörfern im Osten der Ukraine! Bitte lasst uns weiterhin beten und uns für den Frieden einsetzen, ohne müde zu werden."
Franziskus beschreibt, auf der Menschheit laste der Albtraum des Krieges, der die Negation des Traumes Gottes sei: Völker, die sich bekämpfen, die sich gegenseitig umbringen. "Und während die Wut der Zerstörung und des Todes weiter wütet und Konflikte aufflammen und zu einer Eskalation führen, die immer gefährlicher für alle wird, erneuere ich meinen Appell an die Verantwortlichen der Nationen: Bitte stürzen Sie die Menschheit nicht ins Verderben!"
Erfolgreich schon zwischen den USA und Kuba
Die Friedensdiplomatie des Vatikans hat eine Jahrhunderte alte Tradition. Im Mittelalter befriedete Rom reihenweise Kriege europäischer Mächte, berühmt wurde der Friedensschluss zwischen Portugal und Spanien im 15. Jahrhundert, als Papst Sixtus die Welt unter beiden Mächten aufteilte und einen festgefahrenen Krieg beendete. Auch Deutschland profitierte bereits von päpstlicher Friedenspolitik, so 1885, als Leo XIII. zwischen Spanien und dem Deutschen Reich im Streit um die pazifischen Karolinen-Inseln vermittelte. Johannes Paul II. trug 1980 durch seinen Schiedsspruch dazu bei, dass es nicht zu einem Krieg zwischen Argentinien und Chile wegen des Beagle-Kanals kam. 2014 leitete der Heilige Stuhl die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Kuba und den USA ein.
Der Vatikan unterhält sogar eine eigene "Päpstliche Diplomatenakademie" im Palazzo Severoli und ist seit Wochen mit den Kriegsparteien in Gesprächen. Der Außenbeauftragte des Heiligen Stuhls, Erzbischof Paul Gallagher, war in Kiew. Franziskus hat mit Präsident Selenskyj mehrfach telefoniert. Und um Moskau kümmert sich vor allem Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Der kennt Putin persönlich und hatte mit dem Kreml bereits eine Schutzmission für Christen in Syrien ausgehandelt.
Franziskus kritisiert auch Patriarch Kyrill
Parolin ist so etwas wie der Henry Kissinger des Vatikans. Der Chefdiplomat hat von Venezuela bis Vietnam bereits fest verschlossene Türen für die Kirche geöffnet. Auch nach Moskau versucht er seit Jahren, neue Brücken zu bauen. So hat der Vatikan 2017 die Reliquien des heiligen Nikolaus für drei Monate von Bari in Italien, wo sie seit Jahrhunderten aufbewahrt und verehrt werden, nach Moskau und St. Petersburg ausgeliehen. Dort nutzten mehr als zwei Millionen Gläubige trotz langer Warteschlangen die Gelegenheit, die Reliquien des in Russland sehr beliebten Heiligen zu verehren.
Parolin und Franziskus halten auch direkten Kontakt mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill. Der umstrittene Patriarch gilt als geistlicher Stichwortgeber des russischen Präsidenten und rechtfertigt den Krieg. Von Sanktionen wird er vom Westen aus Rücksicht auf die russisch-orthodoxe Kirche ausgenommen. Mit Papst Franziskus diskutierte Kyrill in einer Videoschalte über den Angriff auf die Ukraine. Dabei sagte Franziskus dem Patriarchen: "Bruder, wir sind keine Staatskleriker, wir sind Hirten des Volkes." Hinterher ließ Franziskus verbreiten: "Der Patriarch darf nicht Putins Messdiener werden."
Gleichwohl reden sie miteinander, seitdem es auf Kuba zu einem historischen persönlichen Treffen gekommen war. Seither habe die Annäherung der beiden Kirchen eine "kräftige Beschleunigung" erfahren, sagt Parolin. Der Vatikan arbeitet seit einigen Jahren intensiv an ökumenischen Projekten mit Moskau, um die seit 1054 bestehende Trennung der Kirchen möglichst zu überwinden. Die "neue Atmosphäre" zwischen der russisch-orthodoxen und der katholischen Kirche ist durch den Krieg nun aber ebenfalls wieder belastet. Der Vatikan will mit seiner Friedensinitiative daher auch diese Konfliktlage lindern und die Jahrhunderte alten Gräben überwinden. Eine erfolgreiche Moskau-Reise wäre in doppelter Hinsicht historisch.
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 05. Juli 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de