Person der Woche Plötzlich verstolpert Habeck sich
21.06.2022, 10:57 Uhr Artikel anhören
Robert Habeck ist bislang ein Star der Ampelregierung. Mancher sieht ihn sogar schon als kommenden Kanzler. Doch mit der kriegsbedingten Energiekrise gerät er zusehends unter Druck - an der grünen Basis, aber auch in der eigenen Koalition. Bei der Kohle- und Kernkraftfrage macht er einen großen Fehler.
Im Beliebtheitsranking der Politiker steht Robert Habeck noch ganz oben. Seine alten Stärken, die Welt geschmeidig in weiche Worte zu betten und sich selbst als Daune des Politischen in Pose zu bringen, hat er mit neuer Tatkraft und harter Sachkompetenz verbunden. Selbst knarzend-konservative Industrielle zollen ihm für seine bisherige Amtsführung und die offene Kommunikation als Wirtschaftsminister Respekt. Er ist jedenfalls ein Licht in der sich verdunkelnden Zwischenbilanz der Ampelregierung. Und da Olaf Scholz nurmehr wie ein Pförtner der Macht wirkt, raunen viele im politischen Berlin bereits, dass Habeck der kommende Kanzler werden könnte.
Doch nun wird es plötzlich ungemütlich für den Ampel-Star. Deutschland steckt in einem kalten Gaskrieg mit Russland und schlittert zusehends in eine veritable Energiekrise. Es explodieren nicht nur die Energiepreise, es steht die Versorgungssicherheit des gesamten Industriestandortes auf dem Spiel. Habeck warnt zu Recht, dass die Lage ernst sei. Ein Gaslieferstopp Russlands würde die Bundesrepublik - so die Sorge im Wirtschaftsministerium - nicht nur eine schwere Rezession mit Millionen neuen Arbeitslosen treiben, es würde womöglich die strategische Wettbewerbslage Deutschlands historisch schwächen. Denn ohne Gas dürften die wesentlichen Wertschöpfungsketten des industriellen Produktionsnetzwerks reißen und womöglich nach Asien abwandern. Habeck hat sich darum bewusst in die Rolle des Hauptkrisenmanagers begeben. Früh hat er dabei auch erkannt, dass die akute Krise ihm und den Grünen unangenehme Entscheidungen abverlangen würden. Die Erneuerbaren werden längst nicht so schnell den deutschen Energiebedarf decken können. Es braucht also das - aus grüner Sicht - Teufelszeug der Vergangenheit: Kohle, Öl, Gas und Kernkraft. Und zwar in großen Mengen und sofort. Die Dringlichkeit hat Habeck früh kommuniziert und die Öffentlichkeit ist ihm gefolgt. Als Habeck in Katar um Flüssiggas bettelte, haben viele in Deutschland mitgefühlt, dass ihm dieser Gang nicht leicht falle. Umso mehr Ansehen hat er gewonnen, es im Interesse Deutschlands trotzdem getan zu haben.
Doch Habeck gerät mit dieser Notfallpolitik in ein dreifaches Dilemma. Mit jedem Schritt der Krisenaktion - Gas von arabische Despoten kaufen, LNG-Terminals in der Nordsee bauen, Kohlekraftwerke wieder hochfahren - verrät er erstens seine politische Heimat. Immer lauter wird die Kritik von grünen Fundamentalisten an ihm. Aktivisten von "Fridays for Future" beschimpfen ihn bereits als Seelenverkäufer der Klimapolitik. Habeck gerät damit zusehends in die Rolle wie weiland Gerhard Schröder mit seiner Agenda-Politik: Zum Wohle der Nation setzt man eine unpopuläre Politik durch und untergräbt damit zugleich die Integrität der eigenen Partei. Für grüne Ikonen wie Luisa Neubauer ist diese Politik Habecks schon jetzt ein rotes Tuch.
Zwischen Lindner und Habeck kracht es
Habecks zweites Problem besteht darin, dass er nicht nur an seiner Basis, sondern auch in der Koalition an Rückhalt verliert. Indem er die Krisenpolitik weiträumig in seine Hände nimmt, sich umfragewirksam in Szene setzt und permanent unabgestimmte Ideen präsentiert, brüskiert er zuweilen SPD wie FDP. Die fangen nun an, sich zu revanchieren. FDP-Chef Christian Lindner, der sich von Habeck öffentlich in die Rolle des billigen Geldbeschaffers gedrängt fühlt, lässt den Kollegen mittlerweile offen auflaufen. Ob bei der Förderung von Elektroautos oder beim Tankrabatt, ob Atomkraft oder höhere Steuern für Spitzenverdiener - inzwischen kracht es zwischen Habeck und Lindner. Im Finanzministerium ist man von den ständig sprudelnden Ideen Habecks reichlich genervt - sei es die Absenkung der Mehrwertsteuer, das 365-Euro-Ticket oder die Übergewinnsteuer. Lindner hat sich nun entschieden, Habeck über den Haushaltsplan für das kommende Jahr einzuhegen und ihm so die Flügel zu stutzen. Mit der Schuldenbremse will Linder insbesondere Habeck ausbremsen. Zudem retourniert die FDP inzwischen das Ideenspiel. So schlagen die Liberalen Habeck offen vor, die Gasfelder in der Nordsee endlich zu erschließen, Fracking offensiv zuzulassen oder die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen. Diese liberalen Vorschläge kommen bei den Grünen wie Schläge an.
Die FDP ärgert sich darüber, dass Habeck in den vergangenen Monaten Profil auf Kosten der Koalitionspartner gewonnen hat und dreht den Spieß nun um. So kritisiert FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai im Gestus eines Oppositionspolitikers, dass Habeck mit seiner Rückkehr zur Kohleverstromung zu spät dran sei. "Ich selbst hatte schon Anfang März darum gebeten, dass man viel früher tätig wird. Das ist an der Stelle versäumt worden. Das ist schade", rüffelt Djir-Sarai den Wirtschaftsminister. Er fordert Habeck zudem auf, in Deutschland auch die Atomkraft weiterzunutzen. "Wichtig ist, die drei verbliebenen Kernkraftwerke länger laufen zu lassen. Das ist ein Fakt, den der Wirtschaftsminister nicht ignorieren kann."
Damit wird das dritte Problem Habecks klar. Seine energiepolitischen Einsichten in die neuen Notwendigkeiten folgen nicht nur der Sache, sondern auch der weltanschaulichen Gefühlslage seiner Partei. Die FDP hat zusammen mit der Opposition natürlich recht, dass Habeck schon viel früher die Notfall-Nutzung von Flüssiggas, Kohle und Atomenergie hätte forcieren müssen. Aber Habeck ist die jeweiligen Schritte nur nach dem Schmerzgrad der grünen Akzeptanz gegangen. Die Bettelreise nach Katar und der Baubeginn für LNG-Terminals sind im Wählermilieu der Grünen zwar unbeliebt, aber noch erträglich. Darum wagte er diese Schritte als Erstes. Die jetzt erfolgte Hinwendung zur Kohleverstromung bereitet Grünen schon sehr viel größere Schmerzen. Darum hat Habeck das erst jetzt gewagt. Der dritte Schritt, auch die Atomkraftwerke in den Notfallplan mit einzubeziehen, ist sachlich noch mehr geboten als Kohle. Aber dieser Schritt fällt Grünen am schwersten. Darum weigert sich Habeck ihn zu gehen - und verspielt dabei wichtige Zeit.
Habeck spielt auf Zeit
Mit dieser Priorisierung der Energie-Notfallpolitik aus ideologischen Gründen droht Habeck sein frisch gewonnenes Ansehen wieder zu verspielen. Ausgerechnet an der Kernkraft könnte daher der Aufbruch des Hochbegabten scheitern. Denn am Handling dieser Frage droht das Image des Mannes zu zerplatzen, der das Interesse des Landes über das seiner eigenen Partei stellt.
Habeck macht dabei den Fehler, dass er ein nachvollziehbares Zaudern mit falschen Argumenten begründet. Ganz ähnlich wie der Kanzler in der Waffenlieferfrage mit falschen Argumenten ein Zaudern rechtfertigen will. Habecks Behauptung, man könne die Atomkraftwerke nicht länger laufen lassen, weil es an Brennstäben fehle, ist sachlich nicht haltbar. Die Betreiber selbst erklären, dass man sehr wohl mit einem "Streckbetrieb" in die Verlängerung gehen könne und neue Brennstäbe bestellbar seien. Es brauche nur jetzt eine Entscheidung der Politik. Doch Habeck spielt auf Zeit, um das Thema Atomkraft ein für allemal zu beerdigen. Damit verspielt er aber zugleich seine große Glaubwürdigkeit, die er sich in der Krise erarbeitet hat
Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich inzwischen eine gewisse Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Auch eine Mehrheit im Bundestag von CDU, CSU und FDP bis zur AfD fordert die Grünen auf, ihre Blockadehaltung bei dem Thema aufzugeben. Ebenfalls will eine Mehrheit in Europa wieder verstärkt auf Kernkraft setzen. Habeck könnte sich in Anbetracht von Mehrheitsstimmung wie Kriegsdrohung zumindest auf einen Streckbetrieb für einige Monate Krise einlassen, um die Verstromung von Gas zu drosseln. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder warnte bereits, dass drohende Stromlücken nicht durch "leichtfertiges Abschalten" der Kernkraft zusätzlich vergrößert werden. "Es wäre absurd, eine befristete Verlängerung als Sicherheitsreserve aus ideologischen Gründen abzulehnen", legte Söder den Finger in Habecks Wunde. "Die Ampel darf keinen Blackout riskieren. Das wäre nicht nur für die Bevölkerung, sondern auch für die Wirtschaft eine Katastrophe." Für Habeck auch.
Quelle: ntv.de