
Vulgärliberalismus, deren wesentlicher Inhalt entfesselter Grünenhass ist: Wolfgang Kubicki.
(Foto: picture alliance/dpa)
Freiheit, solider Haushalt, Fortschritt - eigentlich liegen die Themen der FDP im Trend. Aber warum muss sie so oft klingen wie eine geschlossene Facebook-Gruppe?
In dieser Woche zeigten sich zwei Lecks in der Regierungskoalition. Über das eine jammerte Robert Habeck in den "Tagesthemen": Sein Heizungsverbot sei "geleakt" worden, beschwerte sich der Klimaschutzminister, darüber ist schon einiges geschrieben worden, im Verdacht standen sofort die Liberalen - geschenkt, wer ein Heizungsverbot auf die Bevölkerung herabregnen lassen will, darf sich über das Echo nicht wundern.
Das andere Leck war Wolfgang Kubicki. Dem Bundestagsvizepräsidenten lief nämlich schon wieder eine Unflätigkeit aus dem Gesicht, diesmal traf sie Robert Habeck. Dessen Freiheitsverständnis weise Ähnlichkeiten zu dem Wladimir Putins auf, sagte der 72-Jährige bei: "Massengeschmack.tv".
Und damit geht es schon los. Dieses Portal wird offenbar nahezu ausschließlich von mittelalten Herren mit verschränkten Armen betrieben, die aussehen, als würde jeder einzelne von ihnen einen Youtube-Kanal über Nintendo-Spiele betreiben. Im Trailer zu dieser Seite sagt Hugo Egon Balder "Titten", da lacht die Runde. Es ist die Art von "Nicht mit mir"-Trotzgetue, mit der auch frühere "Bild"-Mitarbeiter gerade nach Bestätigung suchen. Autos, Gender und irgendwas gegen die verdammten Grünen, das sind so die Themen. Aber sind das die Themen der FDP?
Entfesselter Grünenhass
Der Putin-Vergleich spiegelt jedenfalls das wider, was Herren in geschlossenen Facebook-Gruppen von sich geben. Da Kubicki nicht gerade Quereinsteiger in Politikdingen ist, darf man davon ausgehen, dass er weiß, was er sagt und bei wem. Kubicki vertritt die Art von Vulgärliberalismus, deren wesentlicher Inhalt entfesselter Grünenhass ist. Inzwischen hat der Anwalt das, was er selbst als "Entgleisung" und "Quatsch" bezeichnete, mit einer so genannten "Entschuldigung" wieder eingesammelt.
Seltsam, wie sehr man ihm in der FDP den Vergleich eines amtierenden Ministers mit einem gesuchten Kriegsverbrecher durchgehen lässt. Als Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin bei einem Auftritt im Wahlkampf die Kommunikation des amerikanischen Präsidenten mit der Adolf Hitlers verglich, war es das Ende ihrer Karriere. Wo bleibt der Widerspruch jetzt?
Der Mann aus Kiel hat eben Macht, Status, Nimbus. Die FDP performt im Norden, und das liegt auch an Kubicki. Er ähnelt in seiner Unantastbarkeit Wolfgang Schäuble, über den etwas Negatives zu sagen sich im medialen Berlin auch niemand mehr traut. Dabei reden beide Silberrücken mit Sicherheit auch gelegentlich sehr dummes Zeug. Ich weiß nicht, welches Zeug es ist, aber dummes Zeug zu sagen, gehört für jeden zum Existenzgesamtpaket, auch wenn Schäuble und womöglich auch Kubicki in einem Jahr mindestens fünfmal weniger dumme Dinge sagen als ich an einem durchschnittlichen Vormittag.
Kaum Kritik am Putin-Vergleich
In der Partei kritisierte ihn dafür aber praktisch nur Reinhard Houben. Der wirtschaftspolitische Sprecher nannte Kubicki nicht beim Namen, aber rief auch die eigenen Leute zur Mäßigung bei der Habeck-Kritik auf.
Kubicki möchte von Männern mit verschränkten Armen als Provokateur wahrgenommen werden, als Grünenschreck, sie sollen über die Bierkronen hinweg raunen: "Wolfgang! Du hast es noch drauf!" Ja, Prösterchen! Dieser Erfolg sei Kubicki vom Herzen gegönnt. Es gibt zudem viele Herren im Anzug, die für diese Trotzpolitik die FDP hochleben lassen.
Ein Teil dieser Leute beklatscht wohl auch den FDP-Chef in Thüringen, Thomas Kemmerich, der gerade in einem anderen Format für Facebook-Männer mit verschränkten Armen offenbarte, Mehrheiten auch mit der AfD seien für ihn okay. Auch das rutschte irgendwie so durch. Es reagierte nur ein "Pressereferent" der Bundespartei. Vermutlich wollte niemand Kemmerich aufwerten, indem man jemanden mit Rang und Namen widersprechen lässt - aber so bleibt eben sichtbar: Kemmerich kuschelt schon wieder mit den Rechtsextremen.
Zu Kubicki und Kemmerich gesellen sich dann diverse andere Herren aus zweiter und dritter Reihe, die Parteierfolge, sei es eine zeitweise Blockade des Verbrennerverbots, mit Bizeps-Emojis abfeiern und Zoten über "Langstreckenluisa" abfeuern. Ist das eine liberale, souveräne Art, auf Neubauers klar blödsinnige Rücktrittsforderung gegen den Bundesverkehrsminister zu reagieren?
Herrensteuer für die FDP
Die FDP wird für Kemmerich, Kubicki & Co. eine Herrensteuer zahlen, nicht nur bei weiblichen Liberalen. Wer die Grünen hasst und sein Bizeps-Emoji liebt, kann auch gleich das Original wählen - und riskiert kein Scheitern an der Fünfprozenthürde. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz stößt genussvoll in diese Lücke. Er besaß kürzlich die Boshaftigkeit, der FDP bei ihrem Verbrenner-Stoizismus "in der Sache" Recht zu geben - aber ihren Stil zu bemäkeln.
Aufgepasst, liebe Liberale: Wenn einen in Stilfragen Friedrich Merz in den Senkel stellen kann, ist es höchste Zeit, sich mal einen Nachmittag mit Imagefragen zu beschäftigen. Die FDP wirkt "in der Art ihres Auftretens abstoßend" - so hat FDP-Chef Christian Lindner vor zehn Jahren die Problemlage beschrieben. Er bezog sich unter anderem darauf, dass ein FDPler Grüne, Sozialdemokraten "allesamt als Sozialisten" bezeichnet hatte.
Und war da nicht dieser schwarzweiß-Clip mit geilem Beat und Lindner in Turnschuhen? Es war der beste Spot im Jahr 2017. Hat die FDP nicht schon fleißig das Strafrecht liberalisiert? Damals konnte man auch noch "Freiheit" fordern, ohne dabei die Arme zu verschränken. Und saßen nicht in der FDP schon immer die schärfsten Kritiker des autoritären Russlands?
Eine zweite kleine CDU
Doch, ach, beim Thema Russland steht ja auch schon wieder Kubicki im Licht: Es "gebe keinen vernünftigen Grund, Nord Stream 2 nicht zu öffnen", sagte er im August, das musste dann Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wieder einsammeln.
Das Jahr 2013 scheint weit weg. Die letzte dezidiert freiheitliche Partei war aus dem Bundestag geflogen. Kurz darauf stellten sich junge Liberale in linkeste Ecken Kreuzbergs und verteilten tapfer Flyer an Menschen, deren Blicke töten könnten und die ihre FDP-Abneigung bisweilen durch fliegenden Speichel artikulierten.
Bitte, FDP: Werd schnell wieder sexy. Eine zweite kleine CDU braucht kein Mensch.
Quelle: ntv.de