
Habeck und Wissing sind die Antipoden des Kabinetts, finden sich aber menschlich prima.
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Am Sonntag tagt mal wieder der Koalitionsausschuss. Es gibt mehr zu bereden denn je, schließlich knirscht und knarzt es bei so ziemlich jedem innenpolitischen Thema. Eine Übersicht über die beinahe perfekte Blockadesituation der Ampel:
Wenn sich das ganze Land an der menschlichen Wärme im Ampelkabinett laben könnte, die Menschen müssten sich keine teuren Wärmepumpen anschaffen, und den Heizungsstreit zwischen Grünen und FDP gäbe es auch nicht. Denn in dem Dreierbündnis, das nach Robert Habecks Wutausbruch auch offiziell tief in der Krise steckt, kommen nach eigenem Bekunden alle super miteinander aus. Selbst bei abgeschalteten Mikrofonen fällt bei den Grünen kein schlechtes Wort über den Menschen Volker Wissing - ganz anders als über den Bundesverkehrsminister selbigen Namens.
Dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach am Donnerstag im "ntv Frühstart" erklärte, er sei mit allen Ministerkolleginnen gut in Arbeit und teils befreundet, ist eher die Regel als die Ausnahme in der Koalition. Noch ist die Ampel also ein Stück weit entfernt vom Zustand der Koalition aus Union und FDP, die sich im Sommer 2010 gegenseitig als "Wildsäue" und "Gurkentruppe" titulierte. Doch inhaltlich ist die Lage inzwischen einigermaßen verfahren. Dass, was eben nicht passieren sollte, ist Normalfall geworden: Jedwede Entscheidung kann den einen als Sieg, den anderen als Niederlage zugeschrieben werden - wobei die Beteiligten eifrig an solchen Spins für die Medien mitfeilen.
Jenseits von politischen Geländegewinnen geht es bei den Streitthemen selbstverständlich auch um Inhalte und Überzeugungen. Ein Überblick über die virulentesten Konflikte zeigt aber auch, wie gegensätzlich insbesondere FDP und Grüne auf einige Themen blicken und wie schwierig Kompromisse sind, die nicht einer der Beteiligten als Niederlage empfinden muss.
Heizungen
Der Streit um die Gebäudewärme hat das Fass zum Überlaufen gebracht: Habeck warf der FDP am Dienstag vor, einen nicht fertigen Gesetzentwurf absichtlich an die "Bild"-Zeitung "durchgestochen" zu haben und das Gesetz insgeheim gar nicht verabschieden zu wollen. Dass aber das Ziel Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen wäre, wenn irreparable Gas- und Ölheizungen weiter durch fossile Heizungen ersetzt würden, sei eine "Lüge".
Die FDP predigt "Technologieoffenheit" und will den Weg zu Wärme aus Wasserstoff nicht versperren. Einig sind sich sich die Ampelparteien darin, dass die betroffenen Menschen nicht überfordert werden dürften. Der Konflikt resultiert hier eher aus dem Überbietungswettbewerb, wer besonders lebensnah sein möchte, um die anderen als lebensfremd zu zeichnen. Absehbar ist, dass es für Menschen mit wenig und gar keinem Vermögen massive Förderungen für den Einbau einer Wärmepumpe geben soll. Als Geldquelle wurde der Klimatransformationsfonds ausgemacht, aber auch im 200 Milliarden Euro schweren Topf des "Doppelwumms" gegen die Energiepreiskrise ist noch nicht abgerufenes Geld vorhanden.
eFuels
Die Europäische Kommission will als Teil ihres Green Deals die Neuzulassung von Verbrennermotoren ab 2035 verbieten. Doch die Ampel hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass Verbrennermotoren auch in Zukunft zulässig sein sollen, wenn sie mit klimaneutralen synthetischen Kraftstoffen, so genannten eFuels, laufen. Die entsprechende Richtline aber, die in Brüssel erarbeitet wurde, sieht eben diese Ausnahme nicht vor. Dass Wissing deshalb jenen Ländern zur Mehrheit im Rat verhalf, die das Verbot ablehnen, erzürnt die Grünen. Ihre Sorge: Deutschland gefährdet den Green Deal als ganzes, nur weil die kleinste Regierungspartei einer Technologie die Tür offenhalten möchte, der Industrie und Wissenschaftler kaum Zukunftschancen einräumen - zumindest nicht im Pkw-Bereich.
Die FDP dagegen sieht nicht ein, warum sich Europa einer Technologie versperren sollte, die womöglich doch dazu beitragen kann, CO2-Emissionen zu senken - gerade mit Blick auf die europäische Bestandsflotte, die derzeit vor allem aus Verbrenner-Pkw besteht. Inzwischen haben sich SPD und auch Umweltschutzministerin Steffi Lemke von den Grünen hinter Wissing gestellt. Sie verweisen vor allem auf den Koalitionsvertrag, halten aber Wissing an, zu einer Einigung mit Brüssel beizutragen. Die FDP als Anwältin des Verbrennermotors, der mithin als Ikone deutscher Ingenieurskunst zelebriert wird, hat aber keine Eile: Sie hängt weit weniger an dem Verbrennerverbot und zieht dem Ordnungsrecht den Markt vor: Würden CO2-Bepreisung und Zertifikatehandel funktionieren, regele sich das Thema von allein: Fossiler Sprit werde dem Verbraucher zu teuer, Elektromobilität immer attraktiver und womöglich auch eFuels, wenn die Industrie einen rentablen Weg finden sollte, diese Kraftstoffe in ausreichender Menge bereitzustellen.
Autobahnen
Bei diesem Thema hingegen liegen Lemke und Wissing über Kreuz und auch Vermittlungsversuche von Bundeskanzler Olaf Scholz höchstpersönlich haben bislang keine Einigung gebracht: Die Grünen wollen wie im Koalitionsvertrag festgelegt Planungsbeschleunigung für umweltfreundliche Verkehrsprojekte, also vor allem für die Schiene, aber auch für die Sanierung von Brücken. Die FDP dagegen argumentiert, dass die gelockerten Prüfvorgaben im Bereich Umweltschutz und Anwohnerbelastung auch für den Neubau von Autobahnen zum Tragen kommen sollten. Schließlich verursache auch Stau unnötige CO2-Emissionen.
Die Grünen sind an dieser Stelle absolut: Wenn alles Priorität bekomme, habe am Ende gar nichts Priorität, sagte Fraktionschefin Katharina Dröge am Dienstag sinngemäß. Das Thema soll dennoch versucht werden, beim Koalitionsausschuss am Sonntag abgeräumt zu werden. Das hatte schon beim vergangenen Ausschusstreffen nicht geklappt, das dann auch schnell zu Ende war. Diesmal könnte es eine lange Nacht werden.
Verkehr
Neben dem Gebäudesektor bleibt der Verkehrssektor am weitesten hinter den Vorgaben zu Emissionsreduzierung zurück. Das fällt in den Zuständigkeitsbereich von Wissing, den insbesondere die Grünen als großen Bremser ausmachen. Wie eine substanzielle Reduzierung des CO2-Ausstoßes gelingen könnte, ist offen. Ein einheitliches Tempolimit auf Autobahnen würde einen unmittelbaren Effekt erzielen, doch die Liberalen lehnen das ab und haben das Festhalten am Recht auf Geschwindigkeit auch im Koalitionsvertrag verankert.
Wie aber sonst? Der Ausbau der Ladeinfrastruktur läuft schleppend und die FDP betrachtet die steuerliche Förderung teurer E-Autos skeptisch. Sie verweist stattdessen darauf, dass der Koalitionsvertrag auch eine sektorübergreifende CO2-Bilanz vorsehe: Wenn ein Bereich besonders viel Emissionen einspart, könnte das in der Gesamtschau mit anderen Sektoren verrechnet werden. Den Grünen ist das zu wenig ambitioniert, der SPD eigentlich auch, allerdings scheut sie davor zurück, Normalverbraucher wie etwa Berufspendler über Gebühr zu belasten. Die Grünen-Fraktion forderte zu Wochenbeginn den Bundeskanzler auf, in der Frage endlich Druck auf Wissing auszuüben.
Haushalt
Rund 40 Milliarden Euro fehlen dem Bundesfinanzminister Christian Lindner im Geldschrank, um alle Bedarfe der verschiedenen Ministerien zu decken. Nachdem in den Corona-Jahren noch die Schuldenbremse ausgesetzt war beziehungsweise 2022 nicht abgerufene Gelder in den Rettungstöpfen nur darauf warteten, endlich ausgegeben zu werden, greift die Schuldenbremse 2023 wieder. Angesichts der Konjunkturprognosen für das laufende und kommende Jahr sieht auch Bundeswirtschaftsminister Habeck keine Grundlage für eine erneute Aussetzung der Schuldenregel und zwischen Lindner und dem früheren Bundesfinanzminister Scholz passt in dieser Frage ohnehin kein Blatt.
Weil Scholz und Habeck sich zur FDP-Position bekannt haben, dass es keine Steuerhöhungen geben soll, müssen die Ministerien sparen. Das ist nicht in einem Koalitionsausschuss zu klären, sondern nur im Zwiegespräch zwischen Lindner und den jeweiligen Ministern. Habeck kündigte an, Lindner Vorschläge zum Streichen von Subventionen machen zu wollen. Da der FDP-Chef auch derartige Streichungen als indirekte Steuererhöhungen betrachtet, dürften die Gespräche zwischen Habeck und Lindner schwierig bleiben. Zumindest schreiben sie einander keine Briefe mehr, die sie der Presse zustecken.
Kindergrundsicherung
Ein Haushaltsthema ist auch die Kindergrundsicherung, die Grüne und SPD forcieren. Alle staatlichen Leistungen für Kinder sollen gebündelt werden und ihre Beantragung deutlich vereinfacht werden. So sollen schon vorhandene Unterstützungsleistungen endlich alle Berechtigten erreichen, um Kinderarmut effektiv zu bekämpfen. Gelingt dieses Vorhaben, würden schon allein dadurch die Kosten steigen. Bundesfamilienministerin Lisa Paus beziffert den Mehrbedarf ab 2025 auf mindestens 12 Milliarden Euro - allein für die breitere Inanspruchnahme und notwendige Inflationsausgleiche.
Das Bundesfinanzministerium will aber nur zwei Milliarden Euro geben und verweist darauf, dass allein die Anhebung des Kindergeldes auf 250 Euro sowie die Erhöhung der Kinderfreibeträge schon 7 Milliarden Euro gekostet hätten. An letzterem Punkt will Paus ansetzen, um mehr Geld für bedürftige Familien gegenzufinanzieren: Die Kinderfreibeträge könnten bei der Einkommenssteuer heruntergesetzt werden, da dies eh nur zum Vorteil von Gutverdienern sei. Ob die FDP, die den Mittelstand entlastet sehen will, da mitgeht, ist offen.
Kinderwerbung
Kein Schlüsselthema aber sinnbildlich für den immer weiter eskalierenden Kulturkampf innerhalb der Ampel, in dem die FDP die Grünen als "Verbotspartei" brandmarkt und die Grünen die FDP als Partei gewordenen Lobby-Arm, ist ein Vorhaben von Ernährungsminister Cem Özdemir. Er will nach dem Vorbild anderer Staaten die Fernsehwerbung für ungesunde Lebensmittel zwischen 6 und 23 Uhr verbieten, um Kinder vor den Verlockungen der Lebensmittelindustrie zu schützen. Der FDP geht dieser Vorschlag zu weit: Pauschale Verbote führten nicht weiter.
Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Dass die Ampel überhaupt noch einigungsfähig ist, beweist sie diese Woche an anderer Stelle: Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist durch, muss nur noch in die Ressortabstimmung und dann ab in den Bundestag, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. Damit soll erstmals ein Punktesystem zur Gewinnung qualifizierter Einwanderer eingeführt werden. Auch Arbeitskräfte ohne besondere Kompetenzen sollen in bestimmten Branchen mit nachgewiesenem Bedarf einfacher im Ausland angeworben werden können. Die Regelung zur Anstellung von Menschen aus den Westbalkanstaaten wird zudem erweitert und verstetigt: Bis zu 50.000 Menschen können künftig jedes Jahr aus diesen Ländern eingestellt werden, wenn das Gesetz so durchgeht.
Quelle: ntv.de