Wieduwilts Woche

Wieduwilts WocheWie wir im Jahr 2026 mit dem Schwarzmalen aufhören

20.12.2025, 06:09 Uhr 20221217-Hendrik-Wieduwilt-075-highres-finalEine Kolumne von Hendrik Wieduwilt
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Auch auf die dunkelste Nacht folgt ein Sonnenaufgang. Oder so ähnlich ... (Foto: picture alliance/dpa)

Diese Kolumne begibt sich in ihrer letzten Ausgabe dieses Jahres auf eine unmögliche Mission: Sie sucht im düsteren Dezember nach einem Lichtblick.

"Ich kann diese Schwarzmalerei nicht mehr hören", schreibt mir ein Kunde. Er wolle nun bald etwas Positiveres kommunizieren, ob ich da mal helfen könne. Uff! Recht hat er. Überhaupt: Auch in dieser Kolumne wird zu oft genörgelt. Suchen wir also die Hoffnung!

Das ist aber gar nicht so leicht. Der Stress presst mir die Schweißperlen aus der Stirn, denn es sind nur noch wenige Einkaufstage, dann ist Weihnachten - und mir fehlen noch Geschenke.

Schenken: Wer hat sich diesen Horror eigentlich ausgedacht? In jeder Bescherung steckt ein Feuerwerk enttäuschter Erwartungen. Die einen hoffen auf tolle Präsente, die anderen auf strahlende Dankbarkeit. In der Realität starrt man dann erloschen auf einen Rossmann-Geschenkegutschein und schon wabert die Melancholie durchs Wohnzimmer.

Politik als Amazon für Gesellschaftslösungen

Frustriertes Hoffen auf Geschenke und Dankbarkeit, damit ist auch das politische Klima im Jahr 2025 gleich mitbeschrieben. Die Politik ist eine Art Amazon für Gesellschaftslösungen geworden: Es soll bitte per Click kommen, sofort, kein Gelaber, der Trump kann das doch auch.

Bundeskanzler Friedrich Merz heizt diese Erwartungen durch immer neue Versprechungen an. Das einzige, was der Kanzler noch nicht angekündigt hat, ist die Lieferung von Grand Theft Auto 6 bis Weihnachten.

Wie oft wollen wir dem Kanzler noch vorhalten, dass er zu hohe Erwartungen schürt? Den Erhalt der Schuldenbremse, die Abschaffung linker Politik, gute Sommergefühle, den "Herbst der Reformen" und zuletzt die Verwendung russischen Zentralbankgelds für die Ukraine - klingt ja alles gut, aber ist leider nicht lieferbar.

Wie eine verkrachte Familie

Umgekehrt wartet der Kanzler noch immer vergeblich auf unsere Dankbarkeit: Er schufte bis spät in die Nacht, sagte er kürzlich im Parlament und vor ein paar Wochen erinnerte er die Wirtschaft daran, dass er ihr gerade einen niegelnagelneuen Investitionsbooster geschenkt habe.

So sitzen sich Kanzler und Volk unwirsch gegenüber wie eine verkrachte Familie um eine verbrannte Weihnachtsgans. Diese Kolumne allerdings droht auch gerade die versprochene Lieferung zu vermasseln. Wo bekomme ich denn nun schnell diese Hoffnung her?

Vielleicht mal die Muse fragen, die tippt nebenan an einem Artikel. Muse, unterbreche ich, was macht dir eigentlich Hoffnung im neuen Jahr? Die Muse überlegt.

Die Muse schnaubt

Ich mache Vorschläge: Könnte es nicht sein, dass die Hälfte der AfD-Wähler endlich merkt, auf welche völkisch-verdrehten Schlangenölverkäufer sie gerade hereinfallen? Die Muse schnaubt.

Könnte es nicht sein, Muse, dass 2026 Russland von der Ukraine ablässt? Die Muse schnaubt wieder und fragt, ob ich heute schon einen Blick in die Zeitung geworfen hätte.

Ich versuche es ein letztes Mal: Wenn nun, Muse, in Europa so ein technischer Durchbruch gelänge wie bei KI, der Erfindung des Computers oder MP3, nur, dass wir diesmal nicht die Vermarktung vergurkten, Muse? Dann käme die Konjunktur in Schwung und brächte die Welt wieder in Ordnung! Die Muse fragt, warum es diesmal anders laufen sollte als in den letzten 30 Jahren und rät mir zudem zu einem Spaziergang, sie müsse nämlich auch arbeiten.

Flucht ins Aussteigerleben

Beim Stiefeln durchs Pankower Grau denke ich an Gerhard Richter: Der sagt ja, Kunst ist die höchste Form von Hoffnung. Also wühle ich auf dem Smartphone in der Arte Mediathek herum und stoße auf einen Beitrag über "Cozyness" - den Rückzug ins Private. Ist das vielleicht Hoffnung?

Jeder Mensch brauche einen Ort der Geborgenheit, sagt die Erzählstimme, die Welt sei hart und überfordernd. Man könne in seine eigene kleine Welt abgleiten. Dann kommt ein Mann zu Wort, der ein Computerspiel entwickelt hat, das diese "Cozyness" auf den Bildschirm holt.

"Tiny Bookshop" heißt das Spiel, es geht um einen Aussteiger, der ein neues Leben beginnen will und deshalb einen Buchladen in einem Tinyhouse eröffnet. Im Spiel gibt es viel gedämpftes Licht, Illustrationen wie aus Kinderbüchern.

Die Party endet bei Hitler

Wieder am Schreibtisch kommt mir das plausibel vor: Der Rückzug ins Private! Das ist bewährt! Die Muse sagt, sie schaue gern "Herr der Ringe". Es beruhige sie, sagt sie. Die Orks schießen mit Katapulten abgeschlagene Köpfe in die Stadt Minas Tirith und sie sitzt mit Ruhepuls auf dem Sofa und streichelt die Wärmflasche.

Der Trend zum Eskapismus begleitet jede Krise: Nachrichtenabstinenz ist nicht erst heute eine Kulturtechnik für stressige Zeiten. Die "Goldenen Zwanziger" waren ein einziger Rückzug ins Entertainment: Tanz, Kunst, Kino, was immer die Menschen ablenkte von Nachkriegs-Tristesse, Ängsten wegen der explodierenden Industrialisierung und der völlig entzweiten Gesellschaft.

Allerdings ist auch bekannt, wie die Party damals endete: bei Hitler. Da ist sie schon wieder dahin, die Hoffnung.

Das Problem ist die Geschenkementalität

Vielleicht ist aber genau das der Fehler des Kolumnisten: die Geschenkementalität. Er sucht nach Lösungen, erwartet also gewissermaßen grandiose Geschenke - die mögen ihm Politik, Konjunktur oder Kunst überreichen, sonst wird eben genörgelt.

Die Politikwissenschaft hat dafür einen schicken Begriff: Sie spricht von Output-Legitimität: Der Staat soll tun, was hilft, und sich nicht damit begnügen, transparente und ausgeglichene Verfahrensregeln zu befolgen (das wäre Input-Legitimität).

Output-Legitimität liegt auch im Trend. Das Problem: Die Politik überreicht uns absehbar keine Geschenke, schon gar nicht im Jahr 2026. Amerika wird sich nicht wandeln. Die 25 Prozent unserer Mitbürger, die mit dem völkischen Rechtsextremismus der AfD flirten auch nicht. Und die Konjunktur hängt von mehr als als eine Reform der Rentenpolitik oder Anpassungen beim Bürgergeld.

Nächstes Jahr schenken wir uns aber nichts mehr!

Könnten wir die Hoffnung vielleicht fahren lassen? Stoizismus liegt ja ebenfalls im Trend. Der römische Kaiser Aurelius verlangt in seinen "Selbstbetrachtungen": "Hoffe auch nicht auf einen platonischen Staat, sondern sei zufrieden, wenn es auch nur ein klein wenig vorwärts geht."

Anders gewendet: Die Stoa sagt, dass das persönliche Glück nicht berührt, wenn Deutschland vor die Hunde geht. Was ja wiederum Anlass zur Hoffnung wäre. Glaube ich.

Uff! Starker Tobak, so kurz vor Weihnachten. Aber immerhin: Eine Ausgabe der "Selbstbetrachtungen" kann derzeit wirklich jeder gebrauchen - und schon habe ich mein letztes Weihnachtsgeschenk.

Quelle: ntv.de

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