Merz hält Kraftrede im Bundestag"Mehr Diplomatie geht nicht!"
Von Sebastian Huld
Vor dem EU-Gipfel gibt Bundeskanzler Merz seine letzte Regierungserklärung des Jahres ab und zeigt sich gleichermaßen kämpferisch wie nachdenklich. Deutschland dürfe "kein Spielball von Großmächten" werden.
Der Bundeskanzler erlebt kurz vor Jahresende noch einmal eine denkbar intensive Arbeitswoche. Auf den bisherigen diplomatischen Höhepunkt seiner Amtszeit zu Wochenbeginn folgt am Donnerstag in Brüssel ein regelrechter Showdown, der über Wohl und Wehe der Ukraine wie auch Westeuropas entscheiden dürfte. Von einem "Epochenbruch", spricht Friedrich Merz, als er zwischen seinen Highlight-Terminen für eine Regierungserklärung im Bundestag vorbeischaut. Mit ruhiger Stimme trägt Merz vor, was an Dramatik eigentlich nicht zu übertreffen ist. "Deutschland darf kein Spielball von Großmächten werden." Dieses Szenario steht seines Erachtens im Raum -politisch, ökonomisch und militärisch.
Am Montagabend hatte Merz zusammen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, mit den zuständigen US-Gesandten Steve Witkoff und Jared Kushner und maßgeblichen europäischen Politikern im Kanzleramt zusammengesessen. US-Präsident Donald Trump war telefonisch zugeschaltet. In einer gemeinsamen Erklärung zeigten Ukrainer, Europäer und Amerikaner anschließend einen Weg für einen Waffenstillstand in der Ukraine auf, was vielfach als überraschend starkes Signal der Einigkeit gewertet wurde. "Weil so oft nach Diplomatie gerufen worden ist statt Bewaffnung der Ukraine: Mehr Diplomatie als in den letzten Tagen und Stunden hier von Berlin aus geht nicht mehr", sagt Merz. Dass Russland aber das Angebot annehmen wird, damit rechnet Merz indes nicht, jedenfalls nicht so bald.
"Allen, die meinen, man könnte nur mit Diplomatie diesen Krieg beenden, denen sei in Erinnerung gerufen, was Präsident Putin auf meine öffentlich vorgetragene Bitte, doch wenigsten über Weihnachten die Waffen schweigen zu lassen, gesagt hat. Die Antwort auf diese Bitte ist an Zynismus und Brutalität nicht mehr zu übertreffen", sagt Merz. Aus dem Kreml hatte es geheißen, man werde den Ukrainern keine Atempause geben, die diese zur Aufrüstung nutzen könnten. Dabei gelten die russischen Luftangriffe fast samt und sonders zivilen Zielen - der Strom- und Wärmeversorgung genauso wie Wohngebäuden.
Showdown in Brüssel
"Offensichtlich muss der Druck auf Putin noch weiter steigen, um ihn zu ernsthaften Verhandlungen zu bewegen", sagt Merz. Er meint damit die Nutzbarmachung von mehr 200 Milliarden Euro russischen Geldes, das in der EU angelegt und so dem Zugriff Russlands entzogen ist. Dafür will Merz beim Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs bis Freitag eine Mehrheit herbeiführen, weiß aber um den Widerstand, auch von Verbündeten wie Belgien und Italien. Insbesondere die Regierung in Brüssel, in deren Land das meiste russische Geld angelegt ist, fürchtet Russlands Reaktion.
Das sei verständlich, dürfe aber kein Hindernis sein. "Es geht um ein klares Signal an Russland, dass wir diese Finanzmittel, die hier liegen, auch dazu nutzbar machen, diesen Krieg so schnell wie möglich zu beenden", sagt Merz. Mehr Sanktionen gegen Russland sowie eine Fortführung des bisherigen politischen und ökonomischen Engagements reichten nicht aus, so Merz. Er könnte sich in Brüssel eine kräftige Klatsche einfangen, zeigt sich aber überzeugt, dass dieses Risiko notwendig ist. Sollten sich die EU-Staaten nicht einigen können, könnte der ukrainische Überlebenskampf schon in der ersten Hälfte 2026 am ausgehenden Geld scheitern. Von "Schicksalstagen für Europa" ist an diesem Tag im deutschen Parlament nicht nur einmal die Rede.
Chrupalla geht Merz hart an
In seiner Replik auf die Kanzlererklärung sagt AfD-Parteichef Tino Chrupalla, als Vertreter der größten Oppositionsfraktion, es sei "widerrechtlich, russisches Staatsvermögen zu enteignen". Merz bringe Deutschland "mutwillig in einen Konflikt mit Russland", um ein "korruptes System um den Noch-Präsidenten Selenskyj" zu unterstützen. Chrupalla hat viele kritische Worte für die Bundesregierung, insbesondere für den Westdeutschen Merz, und Kiew, keine indes für Moskau. Die Redner aller anderen Parteien sehen sich einmal mehr in ihrem Bild von der AfD bestätigt, dass diese Putins Interessen vertrete, nicht die deutschen. Chrupallas Rede hätte in der russischen Staatsduma wohl mehr Applaus bekommen als im Reichstagsgebäude.
In der Regierungsbefragung, die der Regierungserklärung vorangegangen war, wollten AfD-Politiker wissen, was mit den Sicherheitsgarantien gemeint ist, die in der Berliner Erklärung angeboten werden. Darin ist von einer "multinationalen Truppe" die Rede, die europäische Unterstützerstaaten der Ukraine anbieten. "Wir würden auch russische Übergriffe und Angriffe erwidern", sagte Merz hierzu am Dienstagabend im ZDF, aber nichts Konkretes über eine Beteiligung der Bundeswehr.
Merz redet auch im Bundestag nicht allzu viel darüber, aber klar ist: Stimmt Russland zu, dass europäische Truppen die Ukraine im Gegenzug für Gebietsverzichte gegen erneute Angriffe absichern, wird sich die Bundesrepublik nicht heraushalten können. Der Kanzler nennt diese noch unklare Rolle Deutschlands und Europas "den Preis des Friedens". Zu diesem Preis gehöre, "dass Deutschland im Kreis der Verbündeten auch zu Sicherheitsgarantien für die zukünftige Ukraine nach einem Waffenstillstand beiträgt", so Merz im Bundestag. "Über den konkreten Beitrag wird zu reden sein."
Merz auffallend ruhiger, konzentrierter Auftritt dürfte auch einer zunehmenden Erschöpfung geschuldet sein. Am Dienstagabend räumte der CDU-Chef ein, dass auch er dringend die Pause über den Jahreswechsel brauche.
"Wachstumsdynamik in Europa auslösen"
Während offen ist, ob die EU sich zu einer weiteren Finanzierung der Ukraine aufraffen kann und Russland doch noch in ernsthafte Verhandlungen über einen Waffenstillstand einsteigt, steht Europa laut Merz auch wirtschaftlich am Scheideweg. "Es liegt an uns selbst, ob wir aus diesem Epochenbruch mit neuer Stärker hervorgehen, ob wir frei, ob wir sicher und ob wir auf Dauer wohlhabend sind", sagt Merz eingangs seiner Rede. Der Krieg in der Ukraine tobt schließlich auch deshalb weiter, weil Europa zunehmend isoliert ist in der Welt, was zu einem großen Teil auch die tiefgreifende Wirtschaftskrise Deutschlands erklärt.
Das deutsche Wirtschaftsmodell baue "auf den regelbasierten Zugang zu Märkten, auf Zugang zu Rohstoffen, Technologien und Kapital" auf, so Merz. "Dieses Modell sieht sich aber immer größeren Herausforderungen und Restriktionen ausgesetzt, allen voran durch US-Zölle und chinesische Exportbeschränkungen, vor allem für kritische Rohstoffe und Halbleiter." Merz mahnt dazu, Europa über die Ausweitung von Handelsabkommen wirtschaftlich breiter aufzustellen, sei es das Abkommen mit den Mercosur-Staaten Südamerikas, mit Mexiko oder Indonesien.
Die vielfältige Kritik an diesen Abkommen aus dem Inland, mehr noch aber aus anderen EU-Hauptstädten nennt Merz "kleinteiliges Mäkeln", das nicht auf Höhe der Zeit sei. Er findet sich also durchaus in den Schuhen seines Vorgängers Olaf Scholz wieder. Auch der sozialdemokratische Kanzler hatte die Rezession während seiner Amtszeit mit globalen Verwerfungen erklärt und war wegen Widerstands der europäischen Partner nicht mit neuen Handelsabkommen vorangekommen. Der damalige Oppositionsführer Merz hatte das kaum gelten lassen.
Nun ist Merz selbst Kanzler und schon nach kurzer Zeit im Amt unbeliebter als Scholz, doch aufstecken will er nicht. Die so ernsthafte Lage bietet in Merz' Analyse auch Chancen: "Wenn wir jetzt erfolgreich handeln, können wir eine neue Wachstumsdynamik in Europa auslösen", meint der Kanzler. Er habe einen von 21 EU-Regierungschefs unterschriebenen Brief an den EU-Ratsvorsitzenden Antonia Costa geschickt. Darin fordere er ein "gesondertes Treffen zu dem Thema Wettbewerbsfähigkeit und Bürokratieabbau". Das werde nun am 12. Februar stattfinden.
Merz will vorankommen, den Druck der Gesamtsituation für kraftvolle Entscheidungen anstelle lahmer Kompromisse nutzen. Kommt die EU am Freitag mit einer gemeinsamen Entscheidung zu den russischen Vermögen erfolgreich aus dem Jahr heraus, hätte Merz tatsächlich Rückenwind für den Start in 2026. Zumindest der Kanzler gibt sich darüber im Bundestag ganz optimistisch.