Sport

Strippenzieher oder Marionette? Bachs letzter Schritt auf den Olymp

"Ich bin immer offen für sachliche und konstruktive Kritik, aber alles hat seine Grenzen": Thomas Bach.

"Ich bin immer offen für sachliche und konstruktive Kritik, aber alles hat seine Grenzen": Thomas Bach.

(Foto: dpa)

Er ist nicht schlechter, aber auch nicht besser als die anderen Kandidaten. Dennoch gilt es als sicher: Das Internationale Olympische Komitee wählt heute den deutschen Karrierediplomaten Thomas Bach zum mächtigsten Mann im Weltsport. Bleibt die Frage nach seinem Freund, dem Scheich.

In Buenos Aires wird sich also entscheiden, ob die Gebete von Franz Beckenbauer erhört werden. Wofür die Lichtgestalt des deutschen Sports in diesen Tagen betet? Für Thomas Bach. Als Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes ist der 59-Jährige oberster deutscher Sportfunktionär. Ab 17.30 Uhr soll Bach sogar der einflussreichste der Welt sein. Dann verkündet das Internationale Olympische Komitee, wer die Nachfolge von Jacques Rogge als Präsident des IOC antreten darf. Dann weiß die Welt, was Beckenbauers Gebete bewirken. Und ob der Sport und Deutschland den Präsidenten bekommen, den sie verdienen, wie die "Süddeutsche Zeitung" schrieb.

Die fünf Herausforderer von Bach

Richard Carrion (Puerto Rico/60): Der IOC-Schatzmeister ist der Mann des Geldes. Der Banker ist seit 1990 Mitglied des IOC und gilt als gut vernetzt.

Ng Ser Miang (Singapur/64): Der Multimillionär und ehemalige Segler ist wie Bach derzeit IOC-Vizepräsident. 2010 war er vielgelobter Organisationschef der ersten olympischen Jugendspiele in Singapur.

Denis Oswald (Schweiz/66): Oswald nahm als Ruderer an drei Olympischen Spielen teil und führt seit 1989 den Weltverband Fisa. Seit 1991 Mitglied im IOC.

Wu Ching-Kuo (Taiwan/66): Taiwans einziges IOC-Mitglied führt seit 2006 den Weltboxverband AIBA. Seine Wahl wäre ein politischer IOC-Affront gegen China.

Sergej Bubka (Ukraine/49): Der Weltrekordhalter im Stabhochsprung ist mit seinen 49 Jahren der mit Abstand jüngste Kandidat im IOC-Rennen. Hat zuletzt viel Boden gut gemacht.

Auf dem Papier ist die Krönung Bachs durch die IOC-Vollversammlung beschlossene Sache. Gerätselt wird nur, wie viele Wahlgänge der frühere Fechter aus Tauberbischofsheim gegen seine fünf Konkurrenten benötigen wird, um als erster Deutscher den Olymp zu besteigen. Chancen auf eine Sensation werden lediglich IOC-Finanzchef Richard Carrion aus Puerto Rico und Stabhochsprung-Weltrekordler Sergej Bubka aus der Ukraine eingeräumt. Der ambitionierte Ng Ser Miang aus Singapur hat durch die Kür Tokios zum Olympiaort 2020 nur noch trübe Aussichten. Zwei Wahlsiege für Asien, so tickt das IOC einfach nicht. Normalerweise.

Wie das IOC tickt, glaubt Bach nach 22 Jahren als Mitglied, zehn davon als Vizepräsident, zu wissen. Er hat den Wahltag in Buenos Aires herbeigesehnt. Dort, wo er 1977 mit dem Florett-Team aus aussichtsloser Position noch Mannschaftsgold bei der WM gewann, will er nun den ultimativen persönlichen Triumph. "Man hat trainiert über viele Monate, man hat die Testwettkämpfe absolviert, jetzt fiebert man wirklich dem Tag der Entscheidung entgegen und sagt: Hoffentlich ist es endlich so weit." Was Bach nicht sagt: Er wartet nicht erst seit Monaten. Nach der Bekanntgabe seiner Kandidatur im Mai 2013 schrieb der Olympia-Insider Jens Weinreich in seinem Blog: "Seit dem Olympischen Kongress 1981 in Baden-Baden, spätestens aber seit seiner IOC-Aufnahme in Birmingham 1991, weiß der denkende Teil der Welt, dass der Industrielobbyist Thomas Bach, UDIOCM, Schüler von Horst Dassler, FDP-Mitglied, Günstling von Juan Antonio Samaranch, Herrscher der Grauzone und Mann der vielfältigsten Lebenssachverhalte, IOC-Präsident werden will."

Aber was heißt schon sicher?

Anders als 1977 muss Bach in Buenos Aires diesmal keinen Rückstand aufholen, er hat einen Vorsprung zu verteidigen. Im ersten Wahlgang werden sehr wahrscheinlich 93 IOC-Mitglieder abstimmen, die absolute Mehrheit für den Sieg liegt bei 47 Stimmen. Das Bach-Lager geht offenbar von 42 sicheren Stimmen aus. Aber was heißt schon sicher? Die Favoritenrolle kann auch zur Last werden, weiß der Kanadier Richard Pound. Er ging 2001 als Favorit in die Präsidentenwahl. Als Sieger aus ihr hervor ging Jacques Rogge, der nun nach zwölf Jahren gezeichnet abtritt. "Der Nachteil des Führenden ist, dass dich jeder attackiert - von hinten und von der Seite", erinnert sich Pound. Auch Bachs Sieg schien phasenweise so sicher, dass in den IOC-Zirkeln bereits die Abkürzung "ABB" geraunt worden sein soll. "Anyone but Bach", Hauptsache nicht Bach.

Vor Olympia in London: Thomas Bach läuft mit der Fackel durch die Stadt.

Vor Olympia in London: Thomas Bach läuft mit der Fackel durch die Stadt.

(Foto: dpa)

E ntscheidend geschadet hat das dem DOSB-Boss nicht. Wie vor 36 Jahren kämpft der bestens vernetzte Multifunktionär, dessen Nähe zu Siemens, Adidas und dem arabischen Wirtschaftsraum kein Geheimnis, zur Freude der Anwälte des Anwalts Bach aber selten Thema ist, in Buenos Aires nicht allein. Im Gegenteil. Mit dem kuwaitischen Scheich Ahmad Al-Sabah weiß der Wirtschaftslobbyist eine der schillerndsten und einflussreichsten Figuren im olympischen Business auf seiner Seite. Das warf zuletzt sogar die Frage auf, ob der König der olympischen Strippenzieher nicht vielleicht selbst eine Art Marionette ist. Grund waren allzu freimütige Äußerungen des Scheichs in einer kritischen WDR-Doku, in der das IOC-Mitglied mit seiner verbotenen Wahlempfehlung für Bach nicht nur die olympischen Ethiker auf den Plan rief.

Al-Sabah sprach vielmehr von einem zwölf Jahre alten Deal und von Abmachungen, die Bach nach seiner erfolgreichen Wahl zu erfüllen habe. Das führte nicht nur zu einer IOC-Ermahnung für den Scheich. Es führte auch zu Fragen, worin diese angeblichen Gegenleistungen wohl bestehen könnten. Bachs Wahlkampfmotto "Einheit in Vielfalt" allein dürfte den Scheich ebenso wenig von seinen Qualitäten überzeugt haben wie das Programm, das sich inhaltlich wenig von der Konkurrenz abhebt. Bach ist kein schlechterer Kandidat als die anderen. Aber ist er als Deutscher automatisch ein besserer? Sein Schweizer Konkurrent Denis Oswald nahm die angeblichen Kontakte am Tag vor der Wahl zum Anlass für eine scharfe Attacke auf den Deutschen. "Ich möchte einen unabhängigen Kandidaten, der nicht auf bestimmte Allianzen angewiesen ist und der seine Position für nichts anderes nutzt als zum Wohle des Sports", sagte Oswald, 66 Jahre alt, dem öffentlich-rechtlichen Schweizer Radiosender RTF.

"Es gibt keine Wahlversprechen"

Der Deutschen Presse-Agentur teilte Bach mit: "Es gibt keine Wahlversprechen. Das bezieht sich auf Sachthemen, aber auch auf Personen." Selbstverständlich ist es nicht, dass Bach zu solch unangenehmen Fragen Stellung bezieht. Einige deutsche Medien beklagten zuletzt, der DOSB-Präsident lasse kritische Fragen zu seiner Vergangenheit von seinem Anwalt Christian Schertz zurückweisen. Bach selbst sagte in Buenos Aires dazu: "Ich bin immer offen für sachliche und konstruktive Kritik, aber alles hat seine Grenzen. Wenn es klar unter die Gürtellinie geht, finde ich es legitim, sich zu wehren. Alles muss man sich nicht gefallen lassen."

Die "Main Post" war so frei, ihre von Anwalt Schertz nicht beantworteten Fragen zu veröffentlichen. Ob die Verweigerung Bach tatsächlich verdächtig macht, wie die Zeitung schlussfolgert? Auf jeden Fall vermittelt sie einen Eindruck davon, wo sich die Gürtellinie des IOC-Präsidenten in spe befindet. Im Gegensatz zur Welt der Ringe, wo sich der Jurist und olympische Karriererist vortrefflich bewegt, liefert Bachs Mut zur Meinungslücke national Angriffspunkte. Verglichen mit seinem hohen Engagement um höchste IOC-Würden kommt sein Beitrag zur Debatte um die viel diskutierte Dopingstudie arg bescheiden daher. Er propagiert zwar öffentlich eine Null-Toleranz-Politik, auch im Wahlkampf. Ein Anti-Doping-Gesetz lehnt sein DOSB jedoch ab. Auch eine eigene Meinung zu den Erkenntnissen der Forscher aus Berlin abseits des Stehsatzes "Im Prinzip alles bekannt" hat sich das DOSB-Oberhaupt innerhalb von fünf Wochen nicht bilden können. Der Hinweis des Sportbundes, er habe die Studie initiiert, jetzt sei die Steiner-Kommission gefragt, muss reichen. Ähnlich verhält es sich beim russischen Anti-Homosexuellen-Gesetz.

Die Vorfreude des deutschen Sports auf einen IOC-Präsidenten Thomas Bach ist ungebrochen. "Wir sind Olympia", das klingt. Nicht nur bei Franz Beckenbauer sorgt die Wahl vorab für heftige patriotische Hitzewallungen. Auch Fußball-Bundestrainer Joachim Löw und NBA-Star Dirk Nowitzki ließen ihre besten Wünsche ausrichten. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) nutzte seine Vorladung zur Sondersitzung des Bundestags-Sportausschusses nicht für einen substanziellen Beitrag zur Diskussion der bundesdeutschen Dopingvergangenheit. Wichtig war ihm nur, die besten Wünsche der Bundesregierung für das ebenfalls wahlkämpfende FDP-Mitglied Bach auszurichten.

Für Franz Beckenbauer ist die jüngste Kritik an Bach "unverständlich", er hat schließlich auch schon Fifa-Boss Joseph Blatter einen Persilschein ausgestellt. Zu Bach sagte er der "Bild am Sonntag": "Ausgerechnet in seinem Heimatland wird er attackiert, mit an den Haaren herbeigezogenen Vorwürfen." Er hoffe, "dass ich Thomas Bach einen Tag vor meinem Geburtstag gratulieren kann, wenn er als erster Deutscher in das höchste Amt des Sports gewählt ist." Für Beckenbauer wäre es ein Sieg von nationalem Interesse, "eine große Auszeichnung für uns alle". Der Boden ist bereitet, auch wenn man beim kuriosen Wahlvolk des IOC nie etwas mit Sicherheit weiß. Doch wenn in Buenos Aires alles so kommt wie eingefädelt, verabredet, erhofft oder erbetet, dann ist der große Gewinner erst einmal nicht Deutschland oder der Weltsport. Es ist Thomas Bach.

Quelle: ntv.de

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