Sport

IOC-Mitglied Pound über Doping und Zwangsjacken "Bei Usain Bolt beide Augenbrauen heben"

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"Sauber sein oder nicht sauber sein - das ist die Frage": Das kanadische IOC-Mitglied Richard Pound ist eine der kritischsten Stimmen im Weltsport.

(Foto: Thomas Søndergaard/Play the Game)

Richard Pound ist der Posterboy der kritischen Sportwelt, auch wenn sich der 71-jährige Kanadier selbst nie so nennen würde. Lieber benennt er unverblümt die Missstände im Weltsport, und das als hochrangiger Sportfunktionär von innen heraus. Pound war Gründungspräsident der Welt-Anti-Doping-Agentur und sitzt seit 1978 im Internationalen Olympischen Komitee.

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Pound mit dem "Play the Game"-Award in Aarhus.

(Foto: Thomas Søndergaard/Play the Game)

In dieser Woche wurde er auf der Sportkonferenz “Play the Game” im dänischen Aarhus für seine Lebensleistung im Kampf gegen Doping ausgezeichnet. Im Interview mit n-tv.de erklärt Pound, warum er trotz der vielen Widerstände immer noch seinen Optimismus bewahrt, wie viele Augenbrauen er bei Rennen von Sprint-Superstar Usain Bolt hebt, ob Deutschland stolz auf IOC-Präsident Thomas Bach sein sollte - und wann der Tag des Jüngsten Sportgerichts kommt.

n-tv.de: 2011 haben Sie davor gewarnt, dass dem Sport das Schicksal der World Wrestling Federation drohe, die sich in World Wrestling Entertainment umbenennen musste - weil sie nur noch Unterhaltung ist. Wir würden Ihnen gern einige Stichworte geben und Sie sagen uns: Sport oder bereits Wrestling. Fangen wir mit der IOC-Präsidentenwahl an.

Richard Pound: Nun, das war Sport in dem Sinne, dass das Ergebnis nicht vorher feststand. Ein guter Beobachter konnte es wahrscheinlich vorhersagen, aber es war nicht sicher und es war nicht einstimmig. Das war ein guter Wettkampf.

Und Radsport?

Ich schaue mir die Tour de France nicht mehr an. Es interessiert mich einfach nicht. Vielleicht eines Tages wieder, wenn der neue Präsident eine Kehrtwende schafft.

Ein Leben im olympischen Sport

Richard Pound (*1942) nahm 1960 an den Olympischen Spielen 1960 in Rom als Schwimmer teil, später wurde er Präsident des kanadischen Olympischen Komitees. Im Internationalen Olympischen Komitee sitzt er bis heute. Nach dem Korruptionsskandal um Salt Lake City übernahm er eine zentrale Rolle im olympischen Reformprozess. 2000 unterlag er bei der Wahl zum IOC-Präsidenten dem Belgier Jaques Rogge. Als entschiedener Doping-Gegner leitete er von 1999 bis 2007 als Gründungspräsident die Welt-Antidoping-Agentur Wada.

Wie sieht es mit dem Anti-Doping-Kampf aus?

Da gibt es viele gute Seiten: Wir haben jetzt ein System, eine Methode und einen Prozess - das wird Erfolg haben, wenn die verantwortlichen Leute das tatsächlich wollen. Wenn es ihnen egal ist oder sie gar keine Doper fangen wollen, können allerdings schlimme Dinge passieren.

Sie haben dieses Dilemma in Anlehnung an Shakespeares Hamlet mit dem Satz “Sauber sein oder nicht sauber sein - das ist die Frage” zusammengefasst. Wer stellt diese Frage tatsächlich - und wer lieber nicht?

Manche Organisationen tun es. Ich glaube, in meiner Heimat Kanada ist die nationale Anti-Doping-Agentur ernsthaft um einen sauberen Sport bemüht. Wir mussten es aber auf die harte Tour lernen, 1988 in Seoul. Die Erkenntnis, dass Ben Johnson und seine Entourage gedopt waren, war ein echter Weckruf für Kanada. Es gibt noch andere Länder, von denen man weiß: Dort gab es ein Problem. Und einige Länder, wo es immer noch ein Problem gibt.

Zum Beispiel?

Das können Sie als erfahrene Reporter genauso einfach herleiten wie ich. Die Schwierigkeit ist, seine Behauptungen auch vor Gericht zu beweisen - wenn sie dich auf 12 Millionen Dollar verklagen. Solche Beweise habe ich nicht. Aber spekulieren ist leicht ...

Wir wollen nicht spekulieren. Es gab in den letzten Jahren einige Dopingprozesse, zum Beispiel um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes. War das ein ernsthafter Versuch, die Vorgänge aufzudecken – oder wurden dort Informationen vertuscht?

Ich glaube, die Informationen existieren. Die Ermittlungsbehörden haben einen sehr guten Job gemacht. Allerdings wollten die spanischen Gerichte die verschiedenen Indizien nicht zulassen und unter Verschluss halten. Und jetzt wollen sie sie sogar zerstören.

Kann Doping die Olympische Idee und den Olympischen Sport zerstören?

Das könnte passieren. Es ist eine besondere Form der Korruption. Regeln werden bewusst gebrochen, um den Ausgang eines Wettkampfes zu beeinflussen.

Schauen Sie sich eigentlich gern Wettkämpfe mit Sprint-Superstar Usain Bolt an?

Mache ich, ja. Und ich hoffe, dass er sauber ist. Aber wenn man heutzutage eine bemerkenswerte Leistung sieht und nicht völlig blind durch die Welt läuft, muss man sich fragen: Geht hier auch alles mit rechten Dingen zu? Die Anti-Doping-Agentur in Jamaika war bis vor Kurzem nicht sehr aktiv. Anstatt nur eine Augenbraue zu heben, sollten es bei Bolt eher beide sein.

Sie warnen häufig dass dem Sport eine gewaltige Krise droht. Wann ist der Tag des jüngsten Gerichts gekommen und wie merken wir das?

Ich fürchte, das kann sehr schnell gehen. Auf einmal sagen die Leute: Warum gehe ich überhaupt zu diesem Spiel, wenn das Ergebnis schon vorher feststeht? Nur um zu sehen, wie die Wettmafia ihre Wetten gewinnt? Da mache ich doch lieber etwas anderes. Oder die Sponsoren. Sie fragen sich plötzlich: Warum sollte ich mein Ansehen mit der Unterstützung eines Sports ruinieren, der vielleicht korrupt ist? Ich unterstütze lieber etwas anderes. Wenn das einmal anfängt, kann es einen Dominoeffekt haben. In Asien sind nach Spielmanipulationen plötzlich ganze Fußballligen verschwunden, weil sich einfach niemand mehr für sie interessiert hat.

Wann ist dieser Moment gekommen?

Vielleicht Dienstag? Nein? Die Aufmerksamkeit für die schlechten Seiten des Sports wächst. Die Leute sagen: Dort gibt es Korruption, dort wird ständig gedopt. Es braucht nicht viel, bis die erste wichtige Organisation aussteigt. Und dann wird jeder sagen: Ja, ihr habt Recht.

Die meisten Sponsoren scheinen aber noch ganz zufrieden zu sein.

Diejenigen, die den Unterhaltungssport sponsern. Aber auch die sind gefährdet, wenn die Fans plötzlich das Interesse an ihrer Sportart verlieren. Es ist ganz einfach: Wenn dem organisierten Sport das private Geld entzogen wird, dann gibt es keinen organisierten Sport mehr. Angenommen, auf der nächsten Aktionärsversammlung steht plötzlich die Frage im Raum, warum das eigene Unternehmen einen verlogenen Sport unterstützt. Dann wäre der Ausstieg aus dem Sponsoring nicht die schlechteste Option für die Geschäftsführung.

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"Thomas Bach hat eine lange Beziehung zum Scheich, ich habe damit kein Problem."

(Foto: imago sportfotodienst)

Eine andere Sache, die große Sponsoren gar nicht gebrauchen können, sind soziale Proteste, die den Sport überschatten. Das haben wir beim Confed Cup gesehen, das erwarten wir für die WM 2014. Die Leute begehren gegen die Korruption und die enormen Kosten auf. Ist das die Zukunft von großen Sportereignissen?

Das muss nicht so sein. Es ist offensichtlich, dass mehr neue, extrem teure Stadien gebaut werden, als man wirklich braucht - und das an zweifelhaften Orten. Nach 30 Tagen Weltmeisterschaft steht dann plötzlich ein 80.000 Zuschauer fassendes Stadion mitten in Brasilien, das nie ausgelastet wird. Das verbessert den Ruf des Sports nicht wirklich.

Durch Sotschi 2014, die Fußball-WM 2018 und Katar 2022 scheint es eine Machtverschiebung im Weltsport nach Russland und in den Arabischen Raum zu geben. Kann das negative Folgen haben?

Kommt ganz darauf an, wie sich dieser geballte Einfluss auswirkt. Viele Jahre war Großbritannien führend im Sport, dann wurde es Europa, jetzt sind es die USA. Das ändert sich, wenn sich die Wirtschaft ändert und sich Gesellschaften weiterentwickeln. Solange die Interessen des Sports bestmöglich gewahrt bleiben, ist mir egal, wer den größten Einfluss hat.

Aber genau das ist die entscheidende Frage: Geht es noch um die Interessen des Sports?

Russland und Katar haben die schlechtesten technischen Bewertungen von der Fifa-Evaluationskommission erhalten. Trotzdem haben sie gewonnen. Da kann man sich natürlich fragen: Warum nur? Oder auch, wie es ein drei-Millionen-Einwohner-Land wie Katar schafft, die klugen Wahlmänner der Fifa von einer WM bei einer Durchschnittstemperatur von 50 Grad zu überzeugen. Ich habe darauf keine Antwort.

Der neue IOC-Präsident Thomas Bach wurde von Scheich Ahmad al-Sabah protegiert. Das sorgt in Deutschland durchaus für Skepsis.

Wer sich zur Wahl stellt, sammelt auch Stimmen. Überall, wo es möglich ist. Thomas Bach hat eine lange Beziehung zum Scheich, ich habe damit kein Problem. Es gibt bisher noch keine Anzeichen, dass das IOC bald in Afghanistan einmarschieren muss, nur weil ein Scheich das möchte.

Sollten wir hierzulande also einfach stolz sein, dass ein Deutscher das höchste Amt im Weltsport bekleidet?

Das wäre zumindest ein guter Anfang. Wenn man dann seine Meinung ändern muss - okay. Aber es ist eine ziemlich große Anerkennung für ihr Land, dass ein Deutscher an der Spitze des Weltsports steht. Machen sie sich das Glas halb voll, nicht halb leer.

Trotz Ihrer Warnungen und kritischen Kommentare, trotz Ihrer öffentlichen Zweifel behaupten Sie von sich, nicht desillusioniert zu sein vom Sportzirkus. Sind Sie ein Wrestling-Fan?

Nein, nein, überhaupt nicht. Ich finde, wir haben ein weltweit funktionierendes Dopingkontrollsystem auf die Beine gestellt. Wie schnell international reagiert wurde – das ist ein Wunder. Wenn ich das 1999 vorausgesagt hätte, als ich erstmals Wada-Präsident geworden bin, hätte man mich in eine Zwangsjacke gesteckt.

Besteht also Hoffnung, dass das Jüngste Sportgericht ausfällt?

Ich habe ja nicht mein halbes Leben mit Sport verbracht, nur um ihn verschwinden zu sehen. Ich hoffe, der Sport versteht die Notwendigkeit, die richtigen Antworten zu geben. Sonst könnte es fatal werden. Wenn Du deine Diabetes richtig behandelst, kannst du noch lange weiterleben. Aber wenn du nichts machst, dann stirbst du.

Mit Richard Pound sprachen Christian Bartlau und Christoph Wolf

Quelle: ntv.de

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