Sport

25 Jahre nach erstem Weltrekord Charity von "Hollywood"-Hingsen

Es war ein glühend heißer Spätsommertag, als am 15. August 1982 in Ulm die Karriere des "Hollywood"-Hingsen begann. Der zwei Meter große und zwei Zentner schwere Duisburger Modell-Athlet mit Hang zur Show war mit vier Bestleistungen in fünf Disziplinen sensationell in den Zehnkampf gestartet. Doch dann brachten ein verrenkter Wirbel und drückende Schwüle das Unternehmen Weltrekord in Gefahr. Hingsens Glück war, dass ein Gewitter die Luft vor dem 1.500-m-Lauf mit Sauerstoff anreicherte. Er lief drei Sekunden schneller als nötig, um den Weltrekord von Daley Thompson auf 8714 Punkte zu steigern.

"Der erste Weltrekord ist immer der schönste", sagt der 48 Jahre alte Versicherungsmakler, der ein Jahr später in Bernhausen bei Stuttgart mit 8825 Punkten erneut die Bestmarke vom Briten zurückholte und 1984 in Mannheim mit 8832 Zählern - noch heute deutscher Rekord - zum dritten Mal in die Annalen einging. Doch den drei Weltrekorden standen auch drei böse Niederlagen des deutschen Ausnahmeathleten gegen den ebenso katzengewandten wie kaltschnäuzigen Briten gegenüber. Genau genommen gewann der Sohn eines Nigerianers und einer Schottin alle sieben Duelle gegen den Deutschen, dem er den Spitznamen aus der amerikanischen Filmwelt verpasste.

Denn Hollywood war gar nicht so weit weg von Santa Barbara, der kalifornischen Heimat von Jeanne Purcell, der bildhübschen Amerikanerin, die Jürgen Hingsen damals im Trainingslager kennenlernte. Es war eine Story wie geschaffen für die Erfolgsgeschichte des Muskelmannes, der den Verlockungen der Frauenwelt nicht immer widerstehen konnte. Der Traumhochzeit folgten schwierige Jahre, rein privat, aber auch sportlich. Wie bei der EM 1982 in Athen unterlag der Schützling des Uerdinger Trainers Norbert Pixken auch bei der WM-Premiere 1983 in Helsinki und Olympia 1984 in Los Angeles dem britischen Widersacher, der ihm frech den Schneid abkaufte.

Dabei schienen die Sommerspiele in der Heimat seiner Jeanne wie vom großen Dramaturgen inszeniert für den Aufstieg vom Sportstar ("ich war damals das, was später Boris Becker verkörperte") zum internationalen Helden. Es war wohl ein Sonnenstich, der ihn vor dem Stabhochsprung die Krönung der Karriere kostete. Die Bilder, als Hingsen hilflos am Stab herunter glitt, prägten sich ein. Aber mehr noch vier Jahre später bei Olympia in Seoul die Szenen vom Fehlstart-Trauma, das dem Monate zuvor schon körperlich angeschlagenen 30-Jährigen beim letzten Aufbäumen statt Gold das schlimme Ende der Karriere bescherte.

"Ich habe heute noch Albträume und glaube, 100 m laufen zu müssen", sagt Jürgen Hingsen, der versichert, damals habe ihn die Angst vor den nächsten Disziplinen angesichts des lädierten Knies in Panik versetzt, aus der die vier Fehlstarts resultiert hätten. "Neue Zeitmessungen haben offenbar ergeben, dass der letzte Fehlstart gar keiner war. Aber es ist müßig, das jetzt noch einmal aufzurollen." Als reinen "Blödsinn" tut Hingsen die Version ab, einen Tag nach dem Dopingfall um 100-m-Olympiasieger Ben Johnson habe er selbst eine positive Kontrolle gefürchtet und sich dieser durch die Disqualifikation entziehen wollen.

Das Drama seines letzten Olympia verfolgt ihn bis heute. "Mich sprechen auch Geschäftspartner noch darauf an. Aber in erster Linie schlägt mir doch Bewunderung für meine Weltrekorde entgegen", sagt Hingsen, der heute rund 15 Kilo mehr auf den Rippen hat ("zu wenig Zeit für Sport") als zu seiner großen Zeit. Beim weltgrößten Industrie-Versicherungsmakler (AON), der 1.800 seiner 50.000 Mitarbeiter in Deutschland hat, baute er den Bereich Sport-Media-Entertainment auf und will neue Geschäftsfelder eröffnen. "Meine früheren Erfolge und die guten Kontakte öffnen mir viele Türen", sagte Hingsen. So habe er 90 Prozent der Fußball-Nationalmannschaft und viele andere Sportstars versichert, bei der Fußball-WM 2006 auch den Rechteverwerter Infront und die Weltreiterspiele in Aachen.

Einen Rollentausch gab es auch im privaten Bereich. Der blonden Kalifornierin Jeanne folgte im Kontrast die schwarzhaarige Francesca mit sizilianischen Wurzeln. Von der einstigen Ehefrau ist er seit 2006 geschieden. "Alles verlief im Guten, wir telefonieren öfter", sagt Jürgen Hingsen. Die älteste Tochter Jacqueline (20) studiert in Hamburg Tourismus und Event-Management, die jüngere Alexandra (12) lebt bei der Mutter, die inzwischen mit "dem obersten Richter von Santa Barbara" liiert sei.

Nach der Karriere war der heute in Düsseldorf wohnende Hingsen 1994 Präsident des deutschen Zehnkampfteams, 1996 Co-Autor eines erfolgreichen Buches ("Voll in Form für Management"). Einen weiteren Film nach dem Streifen "Drei und eine halbe Portion" (1984 - u. a. mit Karl Dall) gab es wohl aufgrund des verpatzten Karriereendes nicht. Dem Mitwirken in der RTL-Tanzshow "Lets Dance" (2006) soll ein Vierteljahrhundert nach dem ersten großen Zehnkampf-Coup im November ein Weltrekordversuch ganz anderer Art folgen: Mit hunderten Teilnehmern im Cha-Cha-Cha. Hingsen hofft auf Erträge von einer Viertelmillion für notleidende Kinder, "denn Charity ist für mich ein sehr wichtiges Thema."

von Gerd Holzbach, sid

Quelle: ntv.de

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