Fußball

"David" Union gegen "Goliath" Hertha Berlin ist im Derby-Fieber

Schalke-Dortmund? St. Pauli-HSV? In Berlin interessiert nur das Stadtderby 1. FC Union Berlin gegen Hertha BSC. Es ist das erste Pflichtspiel-Duell seit 1950 - und eine Partie Ost gegen West, Köpenick gegen Charlottenburg, Arbeiterklasse gegen Bürgertum. Kurz: Gut gegen Böse.

Zuschauer aus beiden Teilen Berlins kamen am 27. Januar 1990 ins Berliner Olympiastadion zum Freundschaftsspiel zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin. Damals siegte Hertha mit 2:1 (1:1).

Zuschauer aus beiden Teilen Berlins kamen am 27. Januar 1990 ins Berliner Olympiastadion zum Freundschaftsspiel zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin. Damals siegte Hertha mit 2:1 (1:1).

(Foto: picture alliance / dpa)

Es war in den Goldenen 20ern - so erzählt die Legende. Als in Zeiten eines ungleichen Kampfes ein Schlachtruf ertönte. Ein Schlachtruf wie Donnerhall. Der all jenen - so erzählt die Legende weiter - die ihn in diesem Augenblick zum ersten Mal hörten, das Blut in den Adern zum Sieden brachte. Niemand konnte damals ahnen, dass er Zeuge eines historischen Moments geworden war. Noch heute, Jahrzehnte danach, in scheinbar aussichtslosen Kämpfen, erschallt er laut von den Rängen. Wie damals, als der Durchhaltewillen der Schlosserjungs aus Oberschöneweide ins Unermessliche stieg. Eine Legende nahm ihren Lauf. Ein Mythos begann zu leben. Und er wird niemals, niemals vergessen: EISERN UNION!

(Prolog zum Theaterstück von Jörg Steinberg: "Und niemals vergessen - Eisern Union")

Wenn dieser Schlachtruf aus Tausenden Kehlen ertönt und es nach Grillkohle, Bratwurst, Bier und frisch gemähtem Rasen riecht, dann weiß der versierte Fußballfan: Er ist in der Alten Försterei in Köpenick, Berlins größtem reinen Fußballstadion - der Heimspielstätte des 1. FC Union Berlin, dem "FC St.Pauli des Ostens". Dem Verein, dem nachgesagt wird, schon immer "etwas anders" gewesen zu sein: dreckig, aber sympathisch - Underdog eben. Wenn es dann auch noch in den Sportteilen der Berliner Gazetten seit Tagen nur ein einziges, immer wiederkehrendes und von allen Seiten beleuchtetes Thema gibt, dann weiß man: Es ist Derby-Zeit und die Millionen Einwohner der deutschen Hauptstadt, der größten Metropole des Landes, sind, na klar, im Derby-Fieber. Ob sie wollen oder nicht.

Zum Derby gibt es Alkohol

Dieser Gruß der Unioner an die Hertha-Fans wird auch beim Derby zu sehen und zu hören sein.

Dieser Gruß der Unioner an die Hertha-Fans wird auch beim Derby zu sehen und zu hören sein.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Das Spiel der Spiele heißt 1. FC Union Berlin gegen Hertha BSC und wird heute um 18 Uhr angepfiffen. Wen scheren da Champions League, Bayern München oder EM-Qualifikation? Union gegen Hertha, das bedeutet auch 20 Jahre nach der Wiedervereinigung: Osten gegen Westen, Ost-Berlin (Köpenick) gegen West-Berlin (Charlottenburg), Benachteiligung gegen Bevormundung, Arbeiterklasse gegen Bürgertum, David gegen Goliath - kurz: Gut gegen Böse. So stilisieren und plakatieren es die Medien. Und die Deutsche Fußball-Liga mischt kräftig mit. Die DFL hat mit ihrer Ostphobie die Partie der beiden Stadtrivalen mal eben zum "Risikospiel" erklärt. Damit gilt die höchste Sicherheitsstufe, was bedeutet, dass sich rund um die friedlichen etwa 19.000 Fans im ausverkauften Stadion etwa 600 Polizisten tummeln werden. Dazu kommen noch einmal 300 von Union gestellte Ordner. Und das, obwohl es zwischen den beiden Vereinen keine lang gehegte und gepflegte Feindschaft gibt wie beispielsweise zwischen Herne-West und Lüdenscheid-Nord. Vielleicht haben die Bürokraten von der DFL den Scherz von Hertha-Coach Markus Babbel, man werde von Union zwar mit Blumen empfangen, aber leider seien noch Töpfe dran, nicht verstanden.

Helme sind beim ersten Stadtderby nur vonnöten, um den Gegner an das liebevoll selbst umgebaute Stadion zu erinnern.

Helme sind beim ersten Stadtderby nur vonnöten, um den Gegner an das liebevoll selbst umgebaute Stadion zu erinnern.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Richtig zum Kochen bringt das Duell die Berliner Fußballseele nicht, Unions Sportdirektor Christian Beeck hofft recht harmoniebedürftig: "Es sollte so schön werden, dass wir am Freitag alle sagen: Ach, könnte nicht am Dienstag schon wieder ein Derby sein." Die fehlende Brisanz bei aller Rivalität, schließlich spielen beide Vereine in der 2. Fußball-Bundesliga, hat auch Union-Präsident Dirk Zingler erkannt: Es wird alkoholhaltiges Bier im Stadion ausgeschenkt. In der "Berliner Zeitung" unterstrich er zudem noch einmal: "Da sind die Duelle mit unsere alten Ost-Kontrahenten wesentlich brisanter als das Hertha-Spiel." Ein Derby gegen den Union-Intimfeind BFC Dynamo wird es aber wegen des sportlichen Niedergangs des ehemaligen Stasi-Klubs so schnell nicht geben.

Provinzposse um Herthas Stadionmiete

Die Verantwortlichen beider Vereine haben das erkannt und machen auf Schönwetter, kochen das Duell der beiden besten Berliner Fußballklubs auf kleiner Flamme. Zu Recht, denn beim letzten Aufeinandertreffen von Union und Hertha, zur Einweihung der von rund 2000 "Eisernen Fans" selbst umgebauten und zweitligatauglich gemachten Alten Försterei, gab es keinerlei Vorkommnisse. Auseinandersetzungen der Fans gab es nur verbaler Natur - mit Frotzeleien: Den Satz "Wir haben ein Stadion und ihr nicht" wird es auch beim Derby wieder zu hören geben. Denn im Gegensatz zum "Fußballtempel Alte Försterei" ("11Freunde"), wo der Fan direkt am Spielfeld steht und seine Gesänge mit Presslufthammer-Lautstärke herausschreit, will im "Leichtathletik-Oval" Olympiastadion selbst bei vollbesetzten Rängen Stimmung nicht so recht aufkommen - zu weit ist der zumeist sitzende Fan vom Spielfeld entfernt.

Die Diskussion um die vom Berliner Senat gestundete Stadionmiete der Hertha erscheint bei näherer Betrachtung eher als Provinzposse denn als die Wettbewerbsverzerrung, als die sie Union-Präsident Zingler verkaufen will. Klappern gehört halt zum Handwerk, auch gerade weil die beiden Stadtrivalen sportlich derzeit Welten trennen: Erstliga-Absteiger Hertha ist mit drei Siegen in die neue Saison gestartet. Die vor einem Jahr in die 2. Liga aufgestiegenen Unioner haben bisher nur einen Punkt auf der Habenseite und sind somit bereits zu Saisonbeginn mitten im Abstiegskampf. Der Etat der beiden Kontrahenten spiegelt die sportliche Situation perfekt wider: Hier rund 12 Millionen Euro bei Union, dort knapp 35 Millionen Euro bei der Hertha.

"Torsten Mattuuuuuschka, hau ihn rein!"

Aber genau das kann das erste Berliner Pflichtspiel-Derby seit über 60 Jahren zum Fußballfest machen. Dann nämlich, wenn der Underdog den übermächtig erscheinenden Gegner überraschend schlägt. So wie beim letzten Pflichtspielaufeinandertreffen 1950. Damals hieß der Sieger SG Union Oberschöneweide, einer der Vorläuferklubs des 1. FC Union Berlin. Das Ergebnis damals: 5:1. Darüber würden sich die Eisernen Fans auch heute freuen. Ein dreckiges 1:0 reicht aber auch.

Das Tor dann am besten kurz vor Schluss durch einen Freistoß von Mittelfeldmann und Identifikationsfigur Torsten Mattuschka. Denn dann erklingt "seine" Hymne in der Alten Försterei - gesungen von tausenden glücklichen Fans auf die Melodie von "Can’t Take My Eyes Off Of You": "Torsten Mattuuuuuschka, Du bist der beste Mann. Torsten Mattuuuuuschka, Du kannst, was keiner kann. Torsten Mattuuuuuschka, hau ihn rein für den Ver-eei-ein!"

Quelle: ntv.de

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