"Ein geiler Abend, der traurig endet" Der BVB scheitert schrecklich schön
09.04.2014, 05:46 Uhr
Trotz aufopferungsvollen Kampfs mussten die Borussen den Platz mit hängenden Köpfen verlassen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Immer wenn das Flutlicht in der Champions League angeht, wird Borussia Dortmund zur Drama-Queen. Auch im Viertelfinal-Rückspiel gegen Real bleibt sich der BVB treu. Mit einer Notelf setzt er neue Maßstäbe: in schönem Scheitern.
Tore: 1:0 Reus (24.), 2:0 Reus (37.)
Borussia Dortmund: Weidenfeller - Piszczek (81. Aubameyang), Friedrich, Hummels, Durm - Kirch, Jojic, Großkreutz, Mkhitaryan, Reus - Lewandowski
Real Madrid: Casillas - Carvajal, Pepe, Ramos, Coentrao - Illara (46. Isco), Modric, Alonso - di Maria (73. Casemiro), Bale, Benzema (92. Varane)
Referee: Skomina (Slowenien) Zus: 65.829
Schüsse: 12:10 Ecken: 6:5
Die Arbeit an einem Wunder beginnt in normalen Fußballstadien mit einem Tor. In der Dortmunder Fußballoper begann sie am Dienstagabend mit einer Torwart-Großtat. Als Torhüter Roman Weidenfeller in der 16. Minute gegen Real Madrid den Elfmeter von Angel di Maria parierte, wurde aus der vagen BVB-Hoffnung auf ein unmögliches Comeback im Champions-League-Viertelfinale plötzlich Überzeugung.
Statt dem BVB nach dem 3:0 im Hinspiel mit einem Auswärtstor früh den Knockout zu verpassen, erlebte Real Madrid nach Weidenfellers Heldentat vor der Gelben Wand einen "Abend voller Leiden". So formulierte es Madrids Trainer Carlo Ancelotti später, sichtlich gezeichnet von einer dramatischen Fußballdarbietung. Mut- und hilflos mussten seine Madrilenen in weiten Teilen des Spiels mitansehen, wie die Dortmunder vor begeisternder Kulisse über sich hinauswuchsen und sie selbst phasenweise zu Fußballzwergen schrumpften.
Nach dem Schlusspfiff fiel BVB-Innenverteidiger Neven Subotic, einer von fünf Langzeitverletzten Stammspielern, seinem Trainer und den Kollegen um den Hals. "Neven hat mir gesagt, er ist unheimlich stolz, Teil dieser Mannschaft zu sein", berichtete Trainer Jürgen Klopp nach einem "außergewöhnlichen Abend", den der BVB in der Königsklasse des europäischen Fußballs ja inzwischen regelmäßig liefert. Klopp schlug außerdem vor: "Das Spiel musst du konservieren und als Video allen zeigen, die einmal ein Hinspiel 0:3 verlieren." Einsortiert werden müsste dieses Video allerdings in die Rubrik "Thriller ohne Happy End", denn für Klopps Drama-Spezialisten war es der vorerst letzte große Champions-League-Abend.
Die aufregendste Mannschaft der Königsklasse

Zwei Tore von Marco Reus reichten nicht aus, um den BVB vor dem Viertelfinal-Aus zu bewahren.
(Foto: imago/Jan Huebner)
Trotz der bravourösen Leistung, trotz eines Doppelpacks von Marco Reus schon vor der Pause, trotz eines Stadions, das sich kollektiv heiser brüllte und trotz der Tatsache, dass Reals Tormaschine ohne den verletzten Superstar Cristiano Ronaldo erstmals seit Ewigkeiten auswärts leer ausging, ist die aufregendste Mannschaft der "Königsklasse" im Halbfinale nur noch Zuschauer - weil der BVB in der zweiten Halbzeit aus mehreren hochkarätigen Chancen nicht das für eine Verlängerung nötige dritte Tor machte. Dann, davon dürfte nicht nur BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke überzeugt gewesen sein, "wäre Real Madrid tot gewesen".
Als die euphorischen, minutenlangen Standing Ovations nach dem Schlusspfiff verklungen waren, fiel das Fazit von Abwehrchef Mats Hummels dann auch ernüchternd aus: "Wir hatten die Möglichkeit, in der 2. Halbzeit das 3:0 zu erzielen. Dann hätten wir eine der größten Sensationen in der Geschichte des Fußballs hinlegen können." So aber, sagte Hummels, "war es nur ein geiler Abend, der traurig endet". Ur-Borusse Kevin Großkreutz hatte Tränen in den Augen.
Klopps Umstellungen hatten System

BVB-Coach Jürgen Klopp bewies bei der taktischen und personellen Aufstellung ein glückliches Händchen.
(Foto: imago/MIS)
Bei aller berechtigten Trauer über die verpasste Sensation darf es aber schon als Coup gelten, dass Dortmund bis zum Schlusspfiff überhaupt vom Wunder träumen durfte. Hummels selbst hatte die Chancen aufs Weiterkommen vorab auf maximal "drei Prozent" beziffert. Als Stadionsprecher Norbert Dickel die Fans kurz vor Anpfiff noch einmal pflichtschuldig daran erinnerte, dass man "uns Dortmunder" nie abschreiben dürfe, da staunten die noch immer über die Aufstellung des BVB. Mit Oliver Kirch, Manuel Friedrich und Milos Jojic hatte Klopp drei Reservisten in seine Anfangsformation beordert. Die überraschende Startaufstellung schien seine späte Rache an ZDF-Moderator Jochen Breyer zu sein, der Dortmunds Champions-League-Saison schon nach dem Hinspiel für beendet erklärt hatte - und den BVB-Coach damit vor einem Millionenpublikum erzürnte.
Doch Klopps Umstellungen waren kein diskretes Abschenken gegen einen übermächtigen Gegner. Sie waren nach den Ausfällen von Nuri Sahin (Rückenprobleme) und Sokratis (überspielt) zwar aus der Personalnot geboren. Aber sie hatten System. Statt im üblichen 4-2-3-1 spielte der BVB gegen Real im 4-1-4-1 mit Kirch als einzigem Sechser. Ziel war, Real mit noch früherem Pressing als üblich sofort unter Druck zu setzen und die Spielkontrolle zu übernehmen.
Das funktionierte, weil Real mehr darum bemüht war, Torhüter Iker Casillas ins Spiel einzubeziehen, als die Räume im nur von Kirch bewachten BVB-Mittelfeld auszunutzen. Die Madrilenen spielten in der ersten Halbzeit in Dortmund so wie der BVB in Madrid. Ängstlich, abwartend, fehlerhaft, mit Hackentricks ins Nichts als Höhepunkt. Di Marias verschossener Elfmeter nach Lukasz Piszczeks vermeintlichem Handspiel blieb der einzige Madrider Torschuss in der ersten Halbzeit. Dortmund hatte sieben, darunter neben dem Reus-Doppelpack zwei Großchancen durch Henrikh Mkhitaryan (19.) und Hummels (32.). Ex-Bundesligatrainer Winfried Schäfer twitterte in der Halbzeitpause: "Real hat, wie so oft gegen deutsche Teams, die Hosen voll."
Spektakuläres Ende einer Champions-League-Saison
Nach dem Wechsel fing sich Real zwar und traute sich mit seiner Offensivabteilung um 100-Millionen-Mann Gareth Bale sogar nach vorne. Doch Dortmund blieb das Team mit dem größeren Willen und den besseren Chancen - und hätte ab der 52. Minute in Überzahl sein müssen. So sah es nicht nur Klopp, nachdem der gelb-vorbelasteten Xabi Alonso einen BVB-Konter an der Mittellinie gestoppt hatte: "Das war ein taktisches Foul, und dafür gibt's ne Gelbe Karte. Und wenn man schon eine hat, geht man raus", sagte Klopp: "Das wäre bei der Wucht, mit der wir heute gespielt haben, schwer geworden für Madrid."
Im Gegensatz zu Schiedsrichter Damir Skomina, mit dessen Leistung er nicht zufrieden war, mochte Klopp an seinen Spielmacher Mkhitaryan keinen Vorwurf richten. Der Armenier traf in der 65. Minute, wunderbar freigespielt, nur den linken Außenpfosten des leeren Real-Tores. Danach vergab Großkreutz (70.) eine weitere Großchance, was die Begeisterung des Publikums nur noch weiter steigerte. Statt dem dritten Treffer im Rückspiel trauerte Klopp ohnehin der Nullnummer im Hinspiel nach. "Mit einem Tor in Madrid und heute zweien wären wir durch. Chelsea hat diesen lässigen Weg gewählt, wir nicht."
Für den BVB endet damit eine erneut verrückte Champions-League-Saison spektakulär. Begonnen hatte sie mit Klopps legendärem Ausbruch in Neapel. Nach Kevin Großkreutz' Last-Minute-Glückstor in Marseille war sie auf dramatische Weise in die Verlängerung K.o.-Runde gegangen. Mit dem hochverdienten, aber brotlosen Heimsieg über Real Madrid setzten die Dortmunder zum Abschluss nun noch einmal neue Maßstäbe in schönem Scheitern. "Von einer Million Möglichkeiten, auszuscheiden, war das die Beste", fasste Klopp den denkwürdigen Fußballabend zusammen: "Aber du bist trotzdem ausgeschieden."
Quelle: ntv.de