Mit "attack, attack, go!" die Hertha retten König Rehhagel regiert Berlin
20.02.2012, 13:37 Uhr
Alle Augen auf Otto: Mit 73 Jahren soll Rehhagel die Hertha vor dem Abstieg retten, in einer Liga, in der er zuletzt vor zwölf Jahren auf der Bank saß - ob das klappt, darauf ist er selbst gespannt.
(Foto: Reuters)
Genial oder fatal? Otto Rehhagel soll Hertha BSC vor dem Abstieg retten. Die Berliner empfangen ihn wie einen Monarchen, und der Altmeister hat auch schon einen Matchplan. Immer nur an Fußball denken und dann "attack, attack, go!" Daran, ob das der Königsweg aus der Krise ist, scheint niemand zu zweifeln. Dabei ist die Liaison bis zum Saisonende nicht ohne Risiko.

Nicht nur für den Verein, auch für Hertha-Manager Michael Preetz ist Rehhagel die letzte Chance.
(Foto: Reuters)
Vielleicht ist so einer genau der Richtige. Vielleicht ist er so einer, den sie in Berlin jetzt brauchen. Einer, der ausstrahlt, dass ihm niemand etwas kann. Einer, der mit der Weisheit seiner 73 Lebensjahre sagt: "Es ist nur ein Spiel. Wenn wir das tatsächlich nicht schaffen sollten, dann hat's eben nicht gereicht." Bis zum Sommer, für zwölf Spiele, trainiert Otto Rehhagel nun den Fußball-Bundesligisten Hertha BSC. Und in diesen zwölf Spielen soll er das abwenden, wovor sie sich alle fürchten: dass sie nach dem Aufstieg im Sommer am Ende der Saison sofort wieder in die zweite Liga zurückkehren.
Nur ein Spiel. Man stelle sich vor, Michael Skibbe, sein glückloser Vorgänger für 52 Tage, hätte das gesagt. Aber Otto Rehhagel darf das. 226 Mal war er als Spieler dabei, 820 Mal hat er als Trainer eine Mannschaft in der Bundesliga betreut. Sein sportliches Lebenswerk schuf er in Bremen, wo er von 1981 bis 1995 arbeitete. Er machte aus dem Aufsteiger eine Spitzenmannschaft, wurde zweimal Meister, zweimal Pokalsieger und gewann einmal den Europapokal. Nach 14 Jahren beim SV Werder kam er anschließend beim FC Bayern München nicht gut zurecht, dafür gelang ihm mit dem 1. FC Kaiserslautern in der Saison 1997/1998 der ganz große Coup. Das erste und bisher einzige Mal in der Geschichte der Bundesliga wurde ein Aufsteiger Deutscher Meister. Und seit er mit Griechenland 2004 in Portugal sensationell die Europameisterschaft gewann, ist ihm der Titel "König Otto", den sie ihm schon in Bremen verliehen hatten, nicht mehr zu nehmen.
"Größtes Comeback seit Elvis 1968"
"Ich biete mich nirgendwo an - außer bei meiner Frau."
"Jeder kann sagen, was ich will."
"Mal verliert man - und mal gewinnen die anderen."
"Die Wahrheit liegt auf dem Platz."
"Mit 50 bist Du als Fußball-Trainer reif für die Klapsmühle."
"Modern spielt, wer gewinnt."
"In diesem Geschäft gibt es nur eine Wahrheit: Der Ball muss ins Tor."
"95 Prozent meiner Spieler merken, dass ich meine Spieler liebe."
Der Empfang am Sonntag in Berlin jedenfalls war eines Monarchen würdig. Mehr als 50 Journalisten und 15 Kamerateams drängten sich im Presseraum unweit der Geschäftsstelle der Hertha, als könnten sie es nicht glauben und müssten sich daher persönlich davon überzeugen, dass der Altmeister tatsächlich wieder im Geschäft ist. "Das größte Comeback seit Elvis 1968", nannte es der frühere norwegische Nationalspieler Jan Age Fjörtoft im Bezahlsender Sky. In der Tat ist die Personalie spektakulär, allenfalls vergleichbar mit Udo Latteks Rückkehr aus dem Ruhestand vor zwölf Jahren, als er gemeinsam mit dem Novizen Matthias Sammer die Borussia aus Dortmund in den letzten fünf Spieltagen vor dem Sturz in die Zweitklassigkeit bewahrte. Übrigens in der Saison, in der Otto Rehhagel das bisher letzte Mal auf der Trainerbank eines Bundesligisten saß.
Während nun Berlins Manager Michael Preetz, der auf dem Podium neben ihm saß, wahrscheinlich erstmals seit Wochen nahezu vergnügt in sich hinein lächelte, nahm König Otto die ihm geschenkte Aufmerksamkeit mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein wie selbstverständlich hin. Druck? Kennt er nicht. "Meine Reputation kann man mir nicht mehr nehmen." Alles schon gesehen, alles schon erlebt. Bleibt die Frage, ob die Erfolge, die einer in der Vergangenheit gefeiert hat, der Hertha in der Gegenwart helfen. In Berlin glauben sie fest daran.
Da darf Otto Rehhagel so viele Phrasen dreschen, wie er will. Alle müssten sich von nun an nur auf Fußball konzentrieren, die kommenden "drei Monate an nichts anderes mehr denken". Nur gemeinsam könnten sie das schaffen, es gehe ums Kollektiv. "Nur die Spieler können das retten." Die Jungs müssten nur versuchen, das, "was ich ihnen mit auf den Weg gebe, in die Tat umzusetzen". Denn: "Ich kann keine Tore schießen, das will ich ihnen gleich sagen." Das konnten die Trainer vor ihm auch nicht. Aber Michael Preetz lächelte sogar dann noch, als ein Journalist unwidersprochen sagen durfte, Otto Rehhagel habe in Berlin ein Himmelfahrtskommando übernommen. Dabei hätte er durchaus darauf hinweisen können, dass die Lage zwar ernst, aber nichts aussichtslos ist.
Seit elf Spielen ohne einen Sieg
Der Verein steht, auch nachdem er alle fünf Spiele in der Rückrunde verloren und seit elf Partien nicht mehr gewonnen hat, immer noch nicht auf einem Abstiegsplatz, noch beträgt der Vorsprung zwei Punkte. Das hat die Hertha allerdings vor allem dem Umstand zu verdanken, dass sich der SC Freiburg und der FC Augsburg beharrlich weigern, ein Spiel zu gewinnen. Eines haben die Berliner allerdings bereits erreicht: Alle reden über Otto Rehhagel. Auch nach der Niederlage gegen den Deutschen Meister aus Dortmund, als die Interimstrainer René Tretschok und Ante Covic ihre Mannschaft so gut eingestellt hatten, dass es vor 74.244 Zuschauern im ausverkauften Olympiastadion zu einem achtbaren 0:1 reichte, für das es allerdings auch keine Punkte gab.
Jürgen Klopp, Trainer des BVB, war hinterher sichtlich beeindruckt von der Arbeit seiner jungen Kollegen, die von nun an Otto Rehhagel als Assistenten zur Seite stehen. Auch vom Altmeister, der sich gerne als demokratischen Diktator bezeichnet, hält er viel. Zumal der Hertha in ihrer Situation ein wenig Erfahrung nicht schade. Ein überragender Trainer sei Otto Rehhagel, ein großartiger Kollege, findet Klopp: "Er brennt an beiden Enden." Die Rollen mit Tretschok und Covic hat Rehhagel schon verteilt: Er sei, ganz klar, der Spiritus rector, der führende Geist. "Die Jungs machen die Arbeit. Ich werde aber immer dabei sein und eingreifen." Dabei könne auch er noch etwas lernen, schließlich lerne man im Leben nie aus.
Gespür für die Stimmung im Team
Beim Start der Bundesliga 1963 war er als Spieler der Berliner dabei, oder wie er sagt: "Zu Hertha habe ich natürlich auch immer eine Beziehung gehabt. Ich hab' ja hier den ersten Ball mit angestoßen." Jetzt schließt sich der Kreis. Die Mannschaft sei in großen Schwierigkeiten und brauche Hilfe. "Ok, hab' ich gesagt, dann versuch' ich's." Gefragt hat ihn Michael Preetz. Für den Manager ist es die letzte Chance, nach der unschönen Trennung vom Aufstiegstrainer Markus Babbel und dem Flop mit Michael Skibbe muss das mit Otto Rehhagel jetzt funktionieren. Dessen Gehalt bis zum Saisonende soll sich auf 250.000 Euro belaufen, hält er die Klasse, kommen weitere 500.000 Euro dazu. Genial oder fatal?
Für Otto Rehhagel spricht, das er abseits moderner Trainingslehre ein Gespür für die Stimmung in einer Mannschaft hat und aus den Spielern, gemessen an ihren Fähigkeiten, das Beste herausholt. Er lässt sie das spielen, was sie können. Und wenn es, wie in Griechenland, ein System mit dem letzten Libero im Weltfußball ist. Gegen ihn spricht, dass niemand weiß, ob es auch diesmal klappt. Das ist das Risiko, das bleibt.
Nur: Das wäre bei jedem anderen auch so gewesen. Bei Krassimir Balakow oder Thomas Doll, zwei der Kandidaten, die im Gespräch waren. Otto Rehhagel jedenfalls sagt: "Ich bin gesund, ich bin fit. Und ich kann sagen: Jungs, attack, attack, go!" Klingt schon fast nach Matchplan. Vielleicht ist so einer genau der Richtige.
Quelle: ntv.de