Käpt’n Lahm und seine schwarzgelben Freunde Löws Vollpfosten retten Trauerkloß
27.03.2013, 05:37 Uhr
Gut erzogen: DFB-Elf bedankt sich bei den Fans.
(Foto: picture alliance / dpa)
Mit einer Slapstick-Gala sorgen Deutschlands Fußballer gegen Kasachstan dafür, dass in der WM-Qualifikation alles planmäßig läuft. Auch wenn Philipp Lahm nicht merkt, dass die Dortmunder seinen Bayern die Show stehlen.
Nur Philipp Lahm von FC Bayern München gab sich hinterher ahnungslos. "Mir ist auf dem Platz gar nicht aufgefallen, dass die Dortmunder alle Tore gemacht haben - weil wir alle dasselbe Trikot tragen." Hat er das nicht schön gesagt, der Kapitän? Aber abgesehen davon, dass die deut schen Fußballer an diesem lausig kalten Abend allenfalls das gleiche Leibchen trugen, nämlich in zehnfacher Ausfertigung ein weißes mit schwarzen Streifen, war es nicht nur den 43.520 Zuschauer im ausverkauften Stadion durchaus aufgefallen, dass ausschließlich Spieler, die im Alltag in Schwarzgelb auflaufen, beim 4:1 gegen Kasachstan in dieser Qualifikationspartie zur Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien für die Tore gesorgt hatten.
Tore: 1:0 Reus (23.), 2:0 Götze (27.), 3:0 Gündogan (31.), 3:1 Schmidtgal (46.), 4:1 Reus (90.)
Deutschland: Neuer - Lahm, Mertesacker, Boateng, Schmelzer - Khedira, Gündogan - Müller, Özil, Reus (91. Jansen) - Götze
Kasachstan: Sidelnikov - Gorman, Kirow, Mucharow (78. Schomko), Engel - Nurdauletov (46. Dscholtschijew), Dimitrenko - Korobkin, Konysbajew, Schmidtgal - Ostapenko (64. Kukeyew)
Schiedsrichter: Özkahya (Türkei) - Zuschauer: 44.300
Marco Reus nach 23 Minuten, Mario Götze vier und Ilkay Gündogan weitere vier Minuten später sowie noch einmal, quasi mit dem Abpfiff, Marco Reus trafen in Nürnberg. Und weil parallel in Warsc hau auch Robert Lewandowski (21./50.) und Lukasz Piszczek (28.) beim 5:0 der Polen gegen San Marino trafen, summierten sich an diesem Abend die Dortmunder Tore auf stolze sieben. Soviel BVB war selten in der Nationalmannschaft. Das hat zur Folge, dass die DFB-Elf nun nach sechs Begegnungen mit 16 Punkten die Tabelle der Gruppe C anführt, und das souverän. Dementsprechend zufrieden zeigte sich Bundestrainer Joachim Löw, der auch registriert hatte, dass seine Spieler während der 90 überwiegend unterhaltsamen Minuten den Ball sage und schreibe sechs Mal ans Aluminiumgestänge des kasachischen Tores nagelten. Das hatte etwas von Scheibenschießen überambitionierter Vollpfosten und nahm bisweilen wenn nicht groteske, so doch slapstickwürdige Ausmaße an.
"Die erste Hälfte war gut, nach der Pause hätten wir auch noch das eine oder andere Tor erzielen können. Aber da war das Spiel ja schon entschieden. Die Kasachen haben mit zehn Mann um den Strafraum herum gestanden und wollten gar kein Fußball spielen", konstatierte der Bundestrainer, der, das für die Statistikfreunde, den 63. Sieg in seinem 92. Länderspiel einfuhr. Davon, dass er sich nach dem Treffer der Kasachen Sorgen gemacht habe, wollte er partout nichts wissen. "Ich hatte aber keine schwedischen Gefühle, denn Kasachstan kann offensiv nicht das bringen, was die Schweden können." Wie einst beim 4:4. Nein, konnten sie in der Tat nicht. Doch da war ja noch der Mann im orangeroten Trikot, der mit seinem Patzer ein ganzes Volk glücklich machte. Die deutschen Spieler in der Einzelkritik:
Manuel Neuer: Er wollte es spielerisch lösen, wie er es ausdrückte. Und nicht den Ball planlos weghauen. Hinterher war er schlauer. "Das hätte ich aber lieber machen sollen." So aber verlor er in die ser 46. Minute den Ball - und der Fürther Kasache Heinrich Schmidtgal schoss ein Tor. Was die kleine Fandelegation der Gäste auf der Haupttribüne des Nürnberger Stadions in extaseähnliche Zustände versetzte. Der 26 Jahre alte Torhüter des FC Bayern aber im strahlend orangeroten Leibchen war nach seinem 38. Länderspiel ganz und gar geknickt. "Ich habe heute ein Geschenk verteilt. Ich muss mich entschuldigen bei der Mannschaft, das war wohl die Initialzündung dafür, dass wir eine schlechte zweite Halbzeit hatten." Ein Fehler halt, es wird ihm eine Lehre sein. Ansonsten hatte er, ähnlich wie so häufig in München, wenig zu tun. Was dazu führte, dass er fror und nach 43 Minuten unter dem Gejohle des da noch geneigten Publikums wagemutig fast bis zur Mittellinie stürmte, um auch mal an den Ball zu kommen. Nach seinem Patzer gab es dann Pfiffe. Unschön irgendwie.
Philipp Lahm: Wenn nicht alle schon vor seinem 98. Länderspiel gewusst hätten, dass dieser Philipp Lahm ein richtig Guter ist, wäre seine Vorstellung als rechter Verteidiger an diesem Abend noch beeindruckender gewesen. Mit seinen 29 Jahren gehört der Münchner zu den Älteren in einer immer jünger werdenden deutschen Mannschaft. Aber wenn einem der gar nicht mehr ganz so neue deutsche Ballstaffettenfetischismus entgegenkommt, dann ihm. Nicht nur, als er mit einem energischen Sololauf das 2:0 durch Mario Götze vorbereitete. Er hatte das gesamte Spiel sichtlich Freude daran, mit den Kollegen in der Offensive für Wirbel zu sorgen und dort als dribbelstarker Rechtsaußen zu agieren. In der Abwehr gab's ja gegen erneut biedere Kasachen nicht so viel zu tun. Und sonst? Hatte er "die zweite Halbzeit so schlecht nicht gesehen. Wir haben noch viele Riesenmöglichkeiten herausgespielt. Vielleicht fehlte das eine oder andere Prozent. Aber diese Mannschaft schafft es, schon früh alles klar zu machen."
Per Mertesacker: Weil die etatmäßigen Innenverteidiger Holger Badstuber und Mats Hummels verletzt fehlten, durfte sich der 28-Jährige vom FC Arsenal in seinem 88. Länderspiel mit dem ino ffiziellen und von ihm wenig geschätzten Titel des Abwehrchefs schmücken. Hatte vor der Partie via "Frankfurter Allgemeine Zeitung" verkündet, er sei "kurz vor dem Höhepunkt". Die Frage lautete, an welchem Punkt seiner Karriere er sich fühle, kurz vor seinem zehnjährigen Dienstjubiläum. Er glaubt: "Ich spiele den Ball genauer als je zuvor." Nach der Partie gegen Kasachstan kann ihm zumindest niemand das Gegenteil beweisen. Gab allerdings auch nicht sonderlich viel Arbeit für ihn. Aber da kann er ja nichts für.
Jérome Boateng: Hatte eigentlich seine Rolle als flexibel einsetzbarer Aushilfskellner in allen defensiven Lagen an den S chalker Benedikt Höwedes verloren. Doch weil der sich beim Hinspiel in Astana verletzt hatte, kam der 24 Jahre alte Münchner zu seinem 28. Länderspiel, diesmal als Adjutant des Abwehrchefs Mertesacker in der Innenverteidigung. Wo er eine nahezu fehlerfreie Partie absolvierte. Da auch er nicht überbeschäftigt war, versuchte er es häufiger weiter vorne - und hätte gerne per Distanzschuss ein Tor erzielt. Was ihm aber verwehrt blieb. Wohl auch, weil er kein Dortmunder ist. Dafür gelang ihm die Vorlage zur Vorlage zum 3:0 durch Ilkay Gündogan, als er den Ball fein zu Mesut Özil passte.
Marcel Schmelzer: Der Makel ist schnell benannt. Der 25 Jahre alte Verteidiger blieb in Nürnberg der einzige Dortmunder, der kein Tor erzielte. Nicht einmal den Pfosten traf er. Dennoch war sein elftes Länderspiel kein schlechtes. Verstand sich auf d er linken Seite prima mit seinem Vereinskollegen Marco Reus, der ihm ja ein Tor abgeben kann. Ansonsten agierte er nicht ganz so schwungvoll nach vorne wie sein Pendant auf der rechten Seite, ein gewisser Philipp Lahm. Vielleicht weil Marcel Schmelzer in der Nationalmannschaft immer noch eher darauf bedacht ist, keine Fehler zu machen. Schließlich hatte er sich noch am Spieltag im Gespräch mit dem Berliner "Tagesspiegel" über zu viel Aufmerksamkeit beschwert. "Der Fokus der Medien ist auf diese Position fixiert." Aber auch erklärt, was ihn antreibt. "Meine Aufgabe ist es, der beste Fußballspieler zu sein, der ich sein kann." Allerdings wisse auch er: "Ein Fehler, und es kann sein, dass du öffentlich wieder zum Deppen wirst."
Sami Khedira: Hatte eine heikle Szene gegen den Kasachen Sergej Ostapenko zu überstehen. Und es war schon etwas Glück dabei, dass der türkische Schiedsrichter Halis Özkahya den Tritt des defensiven Mittelfeldspielers von Real Madrid nicht ahndete. Auch sonst trat Sami Khedira, 25 Jahre alt, in seinem 39. Länderspiel als Abräumer vor der Abwehr mitunter sehr rustikal in seinen Zweikämpfen auf. Hatte Pech, als er nach 73 Minuten nur den Pfosten traf. Aber mit diesem Schicksal war er an diesem Abend ja nicht alleine.
Ilkay Gündogan: Bester Mann des Spiels. Nicht nur weil er als Dortmunder selbstvers tändlich ein Tor schoss, sein erstes im Trikot des DFB. Und ebenso selbstredend Pfosten und Latte traf. Und das alles ausgerechnet in Nürnberg, wo er beim Club zum Bundesligaspieler reifte und dann in die große, weite Fußballwelt auszog. Mittlerweile ist der 22-Jährige beim BVB eine feste Größe. Und nach nur sieben Länderspielen drauf und dran, das auch in der Nationalmannschaft zu werden. Dabei hatte er sich vor der Partie eher defensiv gegeben. Die "Süddeutsche Zeitung" hatte ihn gefragt, was er denn davon halte, dass angeblich der FC Barcelona Interesse daran habe, ihn unter Vertrag zu nehmen. Als Nachfolger des großartigen Xavi. "Eine Ehre", sei der Vergleich. Aber das sei dann doch "noch mal ein anderes Niveau." Auch der Diskussion, ob er denn nun der bessere Bastian Schweinsteiger sei, hatte er sich diskret entzogen. Er zeigt’s als wesentlich stärkere Hälfte der Doppelsechs halt lieber auf dem Platz. Und sagte hinterher: "Wir haben in der zweiten Halbzeit zu wenig gemacht, hatten aber trotzdem einige Chancen. Ich denke, dass wir mit dem 4:1 gut leben können. Wichtig waren die drei Punkte."
Thomas Müller: Dem 23-Jährigen gelang in seinem 41. Länderspiel auf der rechten Mittelfeldseite kein Tor. Weil er beim FC B ayern spielt. Und vielleicht auch, weil Bastian Schweinsteiger nicht dabei war. Der hatte nach der Partie in Kasachstan über das 1:0, das beide für sich beanspruchten, gesagt: "Letztendlich ist die Hühnerbrust vom Thomas noch im Weg gewesen. Ohne die Berührung wäre der Ball, glaube ich, auch nicht reingegangen. Von mir aus kann er das Tor ruhig haben." Nette Geste, doch in Nürnberg kam Thomas Müller, der eigentlich immer für eine Überraschung gut ist, schlichtweg nicht zum Zug, auch wenn er sich wie stets mühte. Aber immerhin: Er war an allen deutschen Toren irgendwie beteiligt. Und nach 76 Minuten traf er zumindest die Latte. Also fast. Kasachstans Torhüter Andrej Sidelnikov lenkte den Ball mit den Fingerspitzen dorthin.
Mesut Özil: Zweitbester Mann des Spiels. Aber nur, weil der 24 Jahre alte Mittelfeldzauberer von Real Madrid nie beim 1. FC Nürnberg gespielt hat. Da ist die Geschichte mit Ilkay Gündogan, der in der Heimat reüssiert, einfach schöner. Abgesehen davon, war es au ch bei Mesut Özils 46. Länderspiel eine große Freude, ihm dabei zuzusehen, wie er rennt und rennt und rennt und doch dabei Fußball zelebriert, sich auf engem Raum dreht und scheinbar ohne zu schauen, den Ball präzise zum Kollegen passt. Das mag gegen Kasachstan leichter fallen als gegen einen wehrhafteren Gegner, sieht aber trotzdem gut aus. Und ist es auch. Zum Beispiel als er das 3:0 prima vorbereitete. Das schoss, genau, dieser Gündogan. Mesut Özil selbst traf nur den Pfosten.
Marco Reus: Das Hinspiel in Astana hatte der Dortmunder noch gelbgesperrt verpasst. Nun brach der 23-Jährige in seinem 15. Länderspiel auf der linken Außenbahn den Bann und festigte nach 23 Minuten seinen Ruf als 1:0-Experte. Ein Dortmunder halt, der zudem durch seine mitreißende Spielfreude besticht. Auch wenn er sich hin und wieder eine kleine Auszeit nimmt. Sein zweiter Treffer nach knappen anderthalb Stunden war bereits sein fünftes Tor in dieser WM-Qualifikation. Dass er danach für den Hamburger Marcell Jansen ausgewechselt wurde, erwähnen wir nicht, weil es überhaupt keine Rolle mehr spielte. Zumal Marcell Jansen nicht einmal den Pfosten oder sonst irgenderwas traf.
Mario Götze: Ihm blutete gleich zu Beginn der Partie die Nase, so dass der 20-Jährige in seinem 22. Länderspiel gleich zweimal an der Seitenlinie behandelt werden musste. Was zur Folge hatte, dass die DFB-Elf zeitweise ganz ohne Angreifer spielen musste. Und nic ht nur mit einem, der wie es heißt, das Toreschießen nicht gelernt hat und demnach auch kein richtiger Angreifer ist. Was ihn als echten Dortmunder nicht daran hinderte, auch im zweiten Spiel gegen die Kasachen innerhalb von fünf Tagen ein Tor zu erzielen. Er ist, auch wenn er einige Chancen vergab, "eine Variante, die uns flexibler macht", wie der Bundestrainer sagte. Als, einigen wir uns darauf, vorderster Mittelfeldspieler, traf er nur einmal voll den Pfosten - aber das nur der Vollständigkeit halber.
Quelle: ntv.de