Blatter, Fifa, Machterhalt "Nur noch ein Witz"
01.06.2011, 10:28 Uhr
Joseph Blatter - kann er machen, was er will?
(Foto: REUTERS)
Der Fußball-Weltverband Fifa wählt einen Präsidenten, doch alle Welt spricht nur über Korruption - das Kernthema von Sylvia Schenk, die bei Transparency International Deutschland das Chapter Sport betreut. Das Krisenmanagement von Fifa-Boss Joseph Blatter nennt die 58-Jährige einen Witz und sagt, ein Wirtschaftsunternehmen hätte ihn längst gefeuert. Warum er von der Fifa weiter protegiert wird, erklärt Schenk im Gespräch mit n-tv.de - und macht deutlich, dass sie selbst den Job nicht haben möchte: "Sich einfach so wählen zu lassen, ist Harakiri."
n-tv.de: Der Fifa-Wahlkampf hat sich in den letzten Tagen zur Schlammschlacht entwickelt. Wie konnte die Situation in der Fußball-Familie, die Präsident Joseph Blatter so gern beschwört, so eskalieren?
Sylvia Schenk: Ich glaube, irgendwann ist es dem Blatter einfach aus den Händen geglitten. Sein größter Fehler war, dass er Mohamed Bin Hammam und Jack Warner vor die Ethik-Kommission gezerrt hat. In dem Moment hatten sie ja im Grunde nichts mehr zu verlieren. Das ist immer so: Wenn man in eine Eiterbeule reinpiekt, dann platzt sie auf. Wenn Jack Warner irgendwas weiß und auch nur ein Teil der Vermutungen zutrifft, die in der Öffentlichkeit immer über seine Verbindungen und Hintergründe kolportiert werden, dann wird er was erzählen und dann hat er auch was zu erzählen. Das hat sich dann am Wochenende ja auch gezeigt.
Vom Fifa-eigenen Ethikkomitee ist Blatter vom Vorwurf der Korruption entlastet worden. Was ist dieser Freispruch wert?
Ich gehe mal davon aus, dass er ebenso vorläufig ist wie die Suspendierungen von Mohamed Bin Hammam und Jack Warner. Es war ja keine Zeit, alles gründlich zu untersuchen, und insofern muss man abwarten, ob da jetzt noch Berufung eingelegt wird.
Würde das etwas ändern? Der frühere Präsident des Bundesgerichtshofs Günter Hirsch ist im Januar 2011 aus dem Ethikkomitee zurückgetreten, weil es dort keinen echten Aufklärungswillen gebe – jetzt gilt er hierzulande als eine Art Kronzeuge für die Alibifunktion der Kommission.
Hirsch ist für mich kein Kronzeuge für irgendwas. Meines Wissens ist er nie zu den Sitzungen hingefahren. Wenn er tatsächlich, und das ist ja nie anders dargestellt worden, nie intern gesagt hat: Liebe Kollegen, da müssen wir anders vorgehen, da müssen wir uns beschweren, dann finde ich so einen Rücktritt mit irgendwelchen Behauptungen bei der Faktenlage eigentlich peinlich. Und nur auf einer solchen Grundlage zu sagen, alle Mitglieder der Ethik-Kommission taugen nichts, das wäre ein bisschen billig. Unabhängig davon halte ich die Struktur der Kommission und ihren Kompetenzzuschnitt für problematisch. Da müssen Änderungen stattfinden. Das betrifft ein Initiativrecht und noch mehr unabhängige Personen, die sich dann auch wirklich sinnvoll einbringen.

Sylvia Schenk betreut bei Transparency International Deutschland das Thema Sport. Sie war mal Präsidentin des Bundes deutscher Radfahrer und schmiss den Job hin, um sich nicht erpressbar zu machen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Ist Joseph Blatter in ihren Augen noch als Fifa-Präsident tragbar?
Er wird es auf jeden Fall schwer haben, der Fifa neue Glaubwürdigkeit zu verschaffen, wenn er es denn überhaupt will. Das wird auf jeden Fall eine Herkulesaufgabe. Wenn er wiedergewählt wird, muss man sehen, was er dann tatsächlich macht. Ob er das Ruder rumreißt oder ob er versucht, die Sache auszusitzen. Die vergangenen Tage haben gezeigt: wenn man zulange zu viel aussitzt, dann sammelt sich so viel an, dass es irgendwann explodiert.
Trotzdem behauptet Blatter, dass es gar keine Fifa-Krise gibt, sondern nur Schwierigkeiten – die die Familie lösen wird.
Also es war nur noch ein Witz, zu sagen, wir sind in keiner Krise. Wäre die Fifa ein Wirtschaftsunternehmen und der Vorstand hätte sich so verhalten, er wäre schon seit drei Tagen nicht mehr im Amt. Eine Krise zu leugnen, ist völliger Quatsch. Die Fifa sollte die nötigen Aufklärungen in unabhängige Hände legen, nur so lässt sich Glaubwürdigkeit zurückgewinnen.
In einem Wirtschaftsunternehmen wäre Blatter in ihren Augen schon lange weg - warum ist er in der Fifa noch da und wird vom Exekutivkomitee gestützt?
Sie verkennen die Machtstrukturen in der Fifa! Wir haben hier kein Wirtschaftsunternehmen, in dem die Gesellschafterversammlung oder der Aufsichtsrat als Kontrollinstanzen tätig werden können. Hier haben wir einen Wahlprozess von unten nach oben. Das sind völlig andere Strukturen und das macht es auch schwierig, etwas zu ändern. Sie müssen einen Beschluss des Fifa-Kongresses haben, wenn sie Dinge transparent machen wollen oder die Wahl verschieben.
Blatter könnte auch freiwillig verzichten und das Exekutivkomitee genau darauf hinwirken.
Aber sehen Sie sich doch mal an, wer überhaupt in dem Exekutivkomitee sitzt. Ich sehe da weder Delegierte, bis auf den englischen und schottischen Verband, noch sehe ich irgendein Mitglied des Exekutivkomitees, das sagt: Wir wollen Blatter nicht mehr! Selbst Bin Hammam und Warner sind wieder eingefangen.
Aber warum?
Da stellt sich einmal die Frage, ob alle mit drinstecken. Das könnte eine Erklärung sein. Das andere ist, dass nicht gerade die charakterstärksten Leute im Exekutivkomitee sind. Die wollen ihre Posten nicht gefährden. Andere trauen sich nicht. DFB-Präsident Theo Zwanziger versucht es ja gerade mal so ein bisschen, nachdem er lange auch nichts gesagt hat. Und einige sind Blatter auch per se schon lange aus Dankbarkeit verbunden und wollen ihn nicht fallen lassen, weil er ja viel für die Fifa geleistet hat. Die Fifa steht insgesamt gut da und das wird Blatter intern auch hoch angerechnet.
Tatsächlich hat Blatter die Fifa-Finanzen saniert, nur dabei auch den Ruf ruiniert. Bedingt sich das in Sportgroßverbänden?
Nicht nur in Sportverbänden wie Fifa und IOC. Das kann auch in der Politik passieren. Der Fifa ging es zu lange zu gut und dann ist immer die Gefahr da, dass man Reformen nicht angeht. Bei der Fifa sind die Gelder ja wirklich explodiert und sie wird immer von allen hofiert. Dann ist es sehr schwierig zu erkennen: Ja, ich habe Veränderungsbedarf. Aber wirklich gute Führung erkennt so etwas trotzdem. Das ist versäumt worden bei der Fifa.
Franz Beckenbauer hofft, dass mit der Wahl alle Diskussionen über Korruption beendet sind und die Fifa zur Tagesordnung übergehen kann. Ist nicht genau das tatsächlich zu befürchten?

Schenk: "Wenn wir in Deutschland darüber reden, wer die gegenwärtige Situation verantwortet, dann ist es das gesamte Exekutivkomitee, dann ist es auch Franz Beckenbauer."
(Foto: picture alliance / dpa)
Das ist Franz Beckenbauer, aber selbst der "Kaiser" hat nicht immer Recht. Er war doch vier Jahre mit drin, er hätte immer alles auf die Tagesordnung bringen können. Wenn wir in Deutschland darüber reden, wer die gegenwärtige Situation verantwortet, dann ist es das gesamte Exekutivkomitee, dann ist es auch Franz Beckenbauer. Damit sage ich nicht, er ist korrupt. Aber die gegenwärtige Situation verantwortet er mit.
Sie selbst fordern eine Erneuerung der Fifa. Ist die denn unter Blatter überhaupt noch denkbar?
Das ist natürlich sehr schwer, weil er selber in einer Glaubwürdigkeitskrise steckt und auch angeschlagen wirkt. Und er muss es natürlich auch wollen. Ansonsten kennt er natürlich sämtliche Leute, sämtliche Tricks und sämtliche Mechanismen innerhalb des Fußballs. Ob er die nutzt und ob er noch die Kraft hat, dann wirklich auch das Ruder rumzureißen, das ist natürlich die große Frage. Er hätte es auf jeden Fall einfacher als jemand, der völlig neu von außen kommt. Wenn ich morgen Fifa-Präsidentin werden würde, könnte ich auch nicht soviel ändern. Ich würde gegen eine Wand laufen.
Würden Sie das Amt im Moment überhaupt annehmen?
Ich alleine auf gar keinen Fall. Da müsste klar sein, unter welchen Bedingungen bestimmte Strukturänderungen angegangen werden, wie das Exekutivkomitee insgesamt aussieht. Das müsste schon noch eine Menge drumherum passieren. Sich einfach so wählen zu lassen, ist Harakiri.
Was müsste - unter welchem Präsidenten auch immer - konkret geschehen?
Wir brauchen mehr Transparenz, wir brauchen klare Kriterien für bestimmte Entscheidungen. Da gibt es eine Menge Sachen, die getan werden können. Wenn der Blatter wiedergewählt wird, wonach es aussieht, dann soll er sich Beratungsunternehmen holen und die zwei Monate lang alle Strukturen untersuchen lassen. Das Ergebnis wird dann öffentlich gemacht und klar gesagt, das muss geändert werden, dort sind die Risikobereiche für Korruption, dort gibt es Intransparenzen. Dann macht er einen Sonderkongress im Herbst, lässt das alles beschließen und die Strukturen sind geändert. Geht alles.
Das klingt angesichts der bisherigen Erfahrungen wie hehres Wunschdenken.
Was heißt Wunschdenken? Sie wollten wissen, was man machen kann, und ich sage Ihnen, was man machen kann. Ob Blatter das dann macht und ob er die Mehrheiten dafür kriegt, weiß ich ja jetzt nicht.
Müssen auch die Großsponsoren Druck machen und die unumgänglichen Reformen einfordern?
Auf jeden Fall. Auch die Politik sollte dem Blatter nicht mehr hinterherlaufen. Ich bin mal gespannt, wie er bei seiner Wiederwahl bei der Frauen-WM hier in Deutschland empfangen wird. Nur der Druck von außen kann in der Fifa etwas ändern.
Mit Sylvia Schenk sprach Christoph Wolf
Quelle: ntv.de