Wirtschaft

Experte zu Ursachen der Baukrise "Das war der Tod des Wohnungsbaus"

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Begonnene Projekte würden großteils noch fertig gebaut, sagt Immobilienexperte Braun. Einen großen Einbruch bei den Wohnungsfertigstellungen erwartet er in zwei bis drei Jahren.

(Foto: picture alliance/dpa)

Kaufpreise sinken. Baugenehmigungen gehen drastisch zurück. Mieten steigen. Der Immobilienmarkt rutscht in eine Krise, ausgelöst durch die Inflation und die Zinserhöhungen. Die eigentlichen Ursachen liegen aber tiefer, sagt der Vorstandschef des auf Immobilien spezialisierten Analyse- und Beratungsunternehems Empirica, Reiner Braun. Gegenmaßnahmen sind schwierig, aber möglich.

ntv.de: Die Kaufpreise für Wohnimmobilien sind im vergangenen Jahr erstmals seit zehn Jahren gefallen. Wo stehen wir in der Entwicklung des Immobilienmarktes? Ist die oft zitierte Blase geplatzt, ist die lange Boomphase endgültig zu Ende?

Reiner Braun: Das kommt darauf an, von welcher Boomphase, welchem Marktzyklus wir gerade sprechen. Der Nachfragezyklus ist ja ungebrochen, der Bedarf an Wohnungen ist nach wie vor bei Weitem nicht gedeckt und er steigt weiter. Gleichzeitig ist der Angebotszyklus allerdings definitiv vorbei. Die Zahl der fertiggestellten Wohnungen wird nicht nur den von der Bundesregierung angestrebten Zielwert von 400.000 pro Jahr nicht erreichen, sondern auch im Vergleich zu den 300.000, die wir zuletzt hatten, stark zurückgehen.

Das heißt, die Lage am Wohnungsmarkt wird sich weiter zuspitzen?

Ja. Auch unseren Berechnungen zufolge benötigen wir mittlerweile in Deutschland etwa 400.000 neue Wohnungen pro Jahr. Die Lücke zwischen Bedarf und Angebot wird also weiter aufgehen. Dabei wird der Tiefpunkt der Entwicklung erst ab circa 2025 erreicht. Bereits begonnene Bauvorhaben werden in den kommenden Jahren noch abgeschlossen werden. Denn was jetzt zunächst einbricht, sind die Baugenehmigungen und Baubeginne. Das wird bei den Fertigstellungen, also bei der Zahl der Wohnungen, die auf den Markt kommen, erst in zwei bis drei Jahren - je nach Art der Gebäude - sichtbar werden. Vor ein paar Jahren hat man ja davon gesprochen, dass die Lage am Wohnungsmarkt für Geringverdiener schwierig sei. Dann stellte man fest, dass sie auch für Durchschnittsverdiener schwierig geworden war. Nun wird es - zumindest an den gesuchten Standorten - selbst für Gutverdiener schwer. In Berlin, etwa im Prenzlauer Berg, sind jetzt schon einfach keine Mietwohnungen mehr auf dem Markt. Da hilft dann auch Geld nicht mehr weiter. Die Lage ist schon jetzt dramatisch und sie wird sich wohl weiter zuspitzen.

Was hat zu dieser Entwicklung geführt? Ist es allein die Zinswende der Notenbanken infolge der Inflation und die gestiegenen Zinskosten?

Das Problem liegt doch viel tiefer. Das wichtigste, was wir brauchen, ist Bauland! Das ist seit Jahren der limitierende Faktor Nummer eins beim Bauen. Die Kommunen, vor allem die Metropolen, müssten mehr Bauland ausweisen. Das ist weder durch die viel zitierte Nachverdichtung noch durch Aufstockungen oder andere Maßnahmen ersetzbar. Dazu kommt, dass ständig neue und verschärfte Vorschriften das Bauen in den vergangenen Jahren extrem verteuert haben. Außerdem ist das Wirrwarr aus Bauordnungen, Vorschriften und Gesetzen, die sich von Land zu Land und sogar von Kommune zu Kommune unterscheiden, kaum noch überschaubar. Die Baukosten sind in den vergangenen 20 Jahren etwa doppelt so schnell gestiegen wie die Gesamtinflation. Für sich genommen mag jede neue Klima-, Brand- oder Schallschutznorm nachvollziehbar sein, insgesamt hat das aber dazu beigetragen, Neubau in Deutschland fast unbezahlbar zu machen.

Sie reden gar nicht über die Zinswende und die in den letzten Krisenjahren akut gestiegenen Materialkosten. Der Einbruch am Wohnungsmarkt wurde doch eindeutig von den schnell gestiegenen Zinsen ausgelöst.

Die Zinsen sind auf vier Prozent gestiegen. Früher lagen sie mal bei acht Prozent und da wurde auch gebaut. Die Zinsen werden kaum wieder auf das Niveau der vergangenen Jahre von einem Prozent oder weniger fallen. Wir müssen uns mit dem neuen, eigentlich ja normalen Zinsniveau einrichten. Baulandmangel und steigende Anforderungen treiben seit Jahren die Preise nach oben. Die extremen Niedrigzinsen haben diese Probleme nur zeitweise überdeckt. Mit billigem Geld konnte man das teilweise ausgleichen. Dann stiegen durch die Pandemie und den Krieg in der Ukraine die Materialkosten plötzlich stark an, und die Bauzinsen vervielfachten sich. Das war dann der Tod des Wohnungsbaus.

Wenn das Kernproblem nicht bei den Zinsen liegt, sondern beim Baulandmangel und der Überforderung durch Bürokratie und Vorschriften. Dann wäre es Ihrer Ansicht nach also möglich, bei entsprechendem politischem Willen, ausreichend zu bauen und die Wohnungskrise zu überwinden?

Überspitzt formuliert: Mit einer Bauordnung so schlank wie 1970 ist das möglich! Aber so einfach ist es natürlich nicht. Die überbordende Baubürokratie zurückzuschneiden, ist ein schwieriger und langwieriger Prozess. Es geht um Zehntausende Vorschriften und Normen, die sich auch noch von Bundesland zu Bundesland unterscheiden. Zum Großteil sind da Ingenieure mit Fachwissen gefragt. Es gibt aber auch schwierige politische Abwägungen, wie viel wir uns den Klimaschutz, aber auch Sicherheit kosten lassen wollen und wie das am effizientesten gestaltet wird. Bauland auszuweisen, wiederum ist Sache der Kommunen und dort ein außerordentlich schwieriges Thema. Was wir aber meiner Ansicht nach auf keinen Fall tun sollten, ist zu versuchen, gegen diese strukturellen Probleme anzusubventionieren!

Also keine zusätzliche Unterstützung weder für Unternehmen noch für Mieter und Eigenheimkäufer?

Auf die Schnelle könnten eigenkapitalersetzende Darlehen für Ersterwerber sowie Fertigstellungsprämien beim Mietwohnungsbau helfen, dem abzusehenden Einbruch des Wohnungsbaus in den nächsten Jahren entgegenzuwirken. Die grundlegenden und langfristigen Faktoren aber lassen sich nicht wegsubventionieren. Das gilt auch für die kommenden Kosten durch die Klimaschutzpläne der Bundesregierung. Grundsätzlich würde natürlich eine Inflationsanpassung der bestehenden Förderung der Vermögensbildung viele Ausgabenschocks abmildern.

Diese Pläne, vor allem das umstrittene Verbot neuer Öl- und Gasheizungen, trifft vor allem Eigenheimbesitzer hart. Die Preise für Wohneigentum fallen bereits, die Finanzierungskosten steigen. Braut sich da eine Krise für Hauseigentümer zusammen? Jüngst warnte etwa Creditreform vor einer Zunahme von Zwangsversteigerungen.

Das erwarte ich derzeit nicht. Anders als etwa in angelsächsischen Ländern sind die Zinsen bei Immobilienfinanzierungen in Deutschland in der Regel zehn oder mehr Jahre festgeschrieben. Die meisten Eigenheimbesitzer haben zudem nicht zu 100 Prozent fremdfinanziert, sondern mit einem signifikanten Eigenkapitalanteil. Wenn jetzt jemand nach 10 oder 15 Jahren eine Anschlussfinanzierung braucht, hat er in der Regel auch schon einen erheblichen Teil der Schulden getilgt, sodass er vielleicht nur noch 80 oder 70 Prozent der ursprünglichen Kaufsumme finanzieren muss. Das dürfte in den meisten Fällen möglich sein, auch wenn der Wert des Hauses weiter fallen und die Zinsen hoch bleiben sollten. Größere Probleme könnten Immobilienbesitzer bekommen, die ihre Käufe zu 100 Prozent fremdfinanziert haben, sowie die hoch verschuldeten kommunalen Wohnungsgesellschaften. Wenn die ihre Schulden nicht mehr tragen können, werden die Kommunen sie für viel Geld retten müssen.

Welche weitere Entwicklung erwarten Sie bei den Preisen?

Die Preisentwicklung kann niemand seriös vorhersagen. Auf die Preise wirken verschiedene entgegengesetzte Kräfte: Die gestiegenen Zinsen und die Inflation haben die Kaufkraft und damit die Nachfrage einbrechen lassen. Auf der anderen Seite ist der Bedarf hoch und wird es wohl bleiben. Wo sich da ein neues Gleichgewicht findet, hängt von vielen Faktoren, etwa von der Entwicklung der Konjunktur oder den Bauordnungen ab. Die Materialkosten sind ja immerhin zuletzt wieder deutlich gesunken.

Mit Reiner Braun sprach Max Borowski

Quelle: ntv.de

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