Wirtschaft

Experte über Führungswechsel Dudenhöffer: "Diess war ein Geschenk für VW"

Diess' Abgang kam für viele überraschend.

Diess' Abgang kam für viele überraschend.

(Foto: picture alliance/dpa/VW-Betriebsrat)

Herbert Diess muss seinen Posten in der VW-Chefetage räumen. Der umstrittene Topmanager habe sich einflussreiche Feinde gemacht, ohne ihn wäre der Konzern aber nicht für die Zukunft gewappnet, sagt Ferdinand Dudenhöffer. Im Interview mit ntv.de schätzt der Autoexperte auch ein, wie sich das "Porsche-Gate" auf Nachfolger Oliver Blume auswirken wird.

ntv.de: Wie überraschend kam der Wechsel an der VW-Konzernspitze für Sie?

Ferdinand Dudenhöffer: Es war überraschend und gleichzeitig nicht überraschend. Der Zeitpunkt war sicherlich überraschend, so kurz vor den Werksferien. Aber es hat sich in den vergangenen Monaten doch viel zusammengebraut. Von daher kam der Wechsel bei VW nicht aus heiterem Himmel.

War der Zeitpunkt denn strategisch klug gewählt?

Vor zwei Wochen hat VW die Grundsteinlegung für die hauseigene Batteriefabrik "Salzgiga" in Salzgitter vorgestellt. Kurz vor einem so wichtigen Termin wäre es schon sehr überraschend gewesen. Einen Tag nach der Grundsteinlegung ergibt das auch keinen Sinn. Jetzt sind die Werksferien dazwischen. Ein solcher Zeitpunkt gibt dem ein oder anderen die Möglichkeit, nochmal darüber zu schlafen und sich dann auf den Wechsel einzustellen. Das ist besser als mitten in einer Berichtsperiode.

Welche Bedeutung hatte Diess für VW?

Diess war genial und Diess ist genial. Er war ein Geschenk für VW. Denn VW braucht große Änderungen. Ohne Diess, ohne den Kampf mit dem Betriebsrat, wären viele Dinge nie durchgegangen. Vereinbarungen wären nur darauf bedacht gewesen, den Betriebsrat zufriedenzustellen und allen Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Dann würde VW noch bis ins Jahr 2050 in der Welt des Diesels und der Plug-in-Hybride leben. Diess aber hat den Konzern neu aufgestellt. Dazu war es jedoch wichtig, Konflikte einzugehen. Die Konflikte haben jetzt zu einem Managementwechsel geführt, ohne sie wäre VW aber weniger zukunftsfähig.

Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, VW braucht große Veränderungen?

Schauen Sie sich den Konzern an: Da hängt die Konstitution schief. Nicht umsonst kam Diesel-Gate zustande, nicht umsonst gab es damals den Sex-Skandal des ehemaligen Betriebsrats. VW ist kein normales Unternehmen. Das ist das Schlechte an VW. Dann ist da noch die Mitbestimmung: 50 Prozent der Aufsichtsratssitze sind von der IG Metall blockiert. Ohne IG Metall können Sie bei VW nichts werden, jedenfalls in Niedersachsen. Zudem gibt es dieses unglückliche VW-Gesetz, das dem Land Niedersachsen ein Vetorecht einräumt und so die Balance außer Kraft setzt. Die Landesregierung in Niedersachsen wiederum ist mit 20 Prozent beteiligt und von der Stimmung der IG Metall abhängig. VW ist also ein Unternehmen, bei dem die Stimmrechte im Aufsichtsrat nicht bei den normalen Aktionären liegen. In so einer Situation muss man schauen, wo Änderungen gemacht werden können.

War es Diess' Führungsstil, der ihn zu Fall gebracht hat?

Diess war in vielerlei Hinsicht zu konfrontativ. Die Kommunikation mit dem Betriebsrat war oft unglücklich. Die Familie Porsche-Piëch hat zwar immer den Wert von Diess gesehen. Aber er wurde zunehmend unsicher in seinem Sessel, weil er Feinde hatte. Seine Feinde waren die VW-Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo und auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. So eine Gemengelage bringt natürlich Probleme, insbesondere wenn der Druck steigt wie mit der Software-Sparte Cariad, die deutliche Problem verursachte.

Muss Blume jetzt die Versöhner-Rolle einnehmen?

VW ist ein Weltunternehmen, da geht es nicht nur darum, was in Wolfsburg los ist. Die meisten Gewinne werden in China gemacht. Diess hat den Konzern aus der Lethargie gelöst, er hat Steine ins Rollen gebracht hat. Diese Steine müssen jetzt verfestigt werden. Da ist es gut, jemanden wie Blume zu haben, der nicht mit Konfrontationen vorbelastet ist. Blume hat jetzt die große Chance, den Konzern zu stabilisieren. Ich glaube, deshalb ist der Wechsel sinnvoll, weil man bei VW in die Umsetzung der Strategie geht. Und bei der Umsetzung braucht man Verbündete.

Was zeichnet Blume aus?

Blume ist sehr kooperativ. Er ist im Austausch mit den Mitarbeitern und hat Porsche bislang hervorragend geführt. Er ist mit der Familie Porsche-Piëch sehr gut vertraut und kennt den Konzern schon lange.

Porsche peilt den Börsengang für das vierte Quartal 2022 an. Wirkt sich der Umbruch im VW-Konzern womöglich darauf aus?

Es wird beim Börsengang bleiben. Der ist wichtig und wird von Porsche-Finanzchef Lutz Meschke weiter vorangetrieben. Die Familie Porsche-Piëch hat ein großes Interesse, das historische Werk ihrer Ahnen weiterzuführen. VW hingegen braucht für zukünftige Großinvestitionen Eigenkapital, und von daher ist der IPO eine gute Sache. Eine andere Sache ist aber, wie es mit der Führung von Porsche weitergeht. Wenn der IPO erfolgreich beendet worden ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass der VW-Chef nicht gleichzeitig Chef von Porsche ist.

Noch vor seinem Amtsantritt ist Blume durch eigene Aussagen über einen engen Austausch mit Finanzminister Christian Lindner während der Koalitionsverhandlungen in die Kritik geraten. Welche Sprengkraft hat das "Porsche-Gate"?

Das war natürlich sehr unglücklich. Man ist auf beiden Seiten aber vernünftig zurückgerudert. Die Darstellung, dass Blume seine Aussagen bedauert, war gut und richtig. Er hat zugegeben, dass bei internen Sitzungen auch mal über die Stränge geschlagen wird. Das ist zwar nicht der beste Einstand, aber kein Dauerschaden. Die Belastung, die jetzt mitschwingt, wird sich mit der Zeit in Luft auflösen. In ein paar Wochen kommt die nächste Folge der ZDF-Satiresendung "Die Anstalt", dann gibt es wieder ein neues Thema.

Blume soll gesagt haben, es sei Porsche zu verdanken, dass die weitere Nutzung der synthetischen E-Fuels in den Koalitionsvertrag eingeflossen ist. Wird Volkswagen unter Blume also verstärkt auf E-Fuels setzen?

E-Fuels sind ein Nischenthema und nicht marktfähig. Das ist so eine Porsche-Geschichte. Für die alten 911-Fahrer war das ein Alibi, damit sie ihr Auto weiterfahren können. Das Thema hat für den Automobilmarkt aber keine Bedeutung. Dort geht es schnurstracks auf das batterieelektrische Auto zu. Da gibt es kein Zurück. Blume wird die Elektro-Strategie zu Hundert Prozent weiter umsetzen. Auch bei der Batterie-Produktion wird er das Konzept der Gigafactories weitertreiben. Der Startschuss für die erste konzerneigene Zellfabrik in Salzgitter ist gerade erst gefallen. Wie sollte Blume dem Betriebsrat vermitteln, dass er diese plötzlich nicht mehr braucht? Das wäre nicht umsetzbar.

Vor welchen Herausforderungen steht Blume?

Die erste Aufgabe wird sein, die Software zu stabilisieren. Blume muss schauen, wie er mit Cariad umgeht, was in Kooperation genutzt werden soll oder was eigenständig gemacht wird. Die Probleme in diesem Bereich waren der große Kritikpunkt an Diess und haben viel Geld gekostet. Blume wird daran ganz stark gemessen werden. Dann gibt es das ewige Problem Amerika. Blume muss es schaffen, Stück für Stück einen Gegenpol zur starken Abhängigkeit aus China zu entwickeln. Gleichzeitig muss VW in China wieder zurück zu alten Marktanteilen kommen. Da gab es in letzter Zeit einige Verluste. Zudem wird der Plan, die Gigafactorys weiter auszurollen, wichtig sein.

Ein Sorgenkind ist der Vertrieb. Was muss an dieser Stelle passieren?

Die Integration von Europcar in die VW-Financial-Services ist eine große Aufgabe. Und mit dieser Aufgabe wird der Autovertrieb von morgen wesentlich beeinflusst. Hohe Vertriebskosten und teure Händlernetze sind der wunde Punkt aller Autobauer, außer Tesla. Es geht darum, diesen wunden Punkt zu schließen und da wird Europcar eine sehr wichtige strategische Rolle spielen können. Also kümmert sich Blume gemeinsam mit Vertriebs-Vorständin Hildegard Wortmann um den Vertrieb von morgen und das heißt Digitalisierung, Digitalisierung, Digitalisierung.

Kann Blume den hohen Anforderungen gerecht werden?

Blume ist ganz klar ein Teamplayer. Und ein Teamplayer arbeitet gut mit seinen Kollegen zusammen. Wenn es um die Zusammenarbeit auf der Management-Ebene geht, wird er seine Fähigkeit als Teamspieler nutzen, um sein Team wie eine Fußballmannschaft in die richtige Position zu bringen. Inhaltlich wird Blume nach meiner Einschätzung die großen strategischen Pläne von Diess, mit Ausnahme der Software-Geschichte, weiter vorantreiben.

Mit Ferdinand Dudenhöffer sprach Marc Dimpfel

Quelle: ntv.de

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