Wirtschaft

Marcel Fratzscher im Interview "Eine Eskalation des Kriegs ist das größte Rezessionsrisiko"

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Marcel Fratzscher leitet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Marcel Fratzscher leitet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

(Foto: picture alliance/dpa)

Die deutsche Wirtschaft rutscht in die Rezession. DIW-Chef Fratzscher erklärt, was die Schwächephase für Verbraucher bedeutet, warum sie noch nicht vorbei ist und wie die Bundesregierung gegensteuern könnte.

Wir haben das zweite Quartal in Folge ein negatives Wachstum und erfüllen damit jetzt die Definition einer technischen Rezession. Sind das nur saisonale Effekte oder tatsächlich Ausdruck der Schwäche der deutschen Wirtschaft?

Marcel Fratzscher: Zunächst fand die Rezession im Winterhalbjahr statt, im laufenden Quartal rechnen wir schon wieder mit positiven Zahlen. Aber insgesamt wird die Wirtschaft eher auf Vorjahresniveau bleiben und sich auch im kommenden Jahr nicht sichtbar erholen. Eine Besonderheit an der momentanen Lage ist, dass der private Konsum ungewöhnlich schwach ist.

Der ist durch die Inflation geschwächt?

Ja, die Reallöhne gehen deutlich zurück. Menschen mit geringen Einkommen sind davon besonders hart getroffen, weil die Inflation deutlich über den Lohnerhöhungen liegt. Die EZB wird die Zinsen wohl noch einmal erhöhen, was auch die Investitionen und die Löhne schwächt.

Also wird die Kaufkraft auch langfristig niedrig bleiben?

Die Kaufkraft von Menschen mit geringen und mittleren Einkommen wird wohl weiter deutlich sinken - ihre individuelle Inflation ist zwei- bis dreimal höher. Menschen mit hohen Einkommen können die Kosten für Energie und Lebensmittel noch relativ gut wegstecken. Zum Teil haben sie sogar deutliche Ersparnisse aus den Corona-Zeiten und durch die Entlastungen bei der Einkommensteuer.

Anders als der Konsum hat sich das Investitionsklima positiv entwickelt.

Die Weltwirtschaft ist dabei, sich zu erholen, und davon profitiert eine offene Volkswirtschaft wie die deutsche besonders stark. Das zeigt sich auch in den Exportzahlen. Die Auftragsbücher der Unternehmen sind jetzt wieder ordentlich gefüllt. Von der Öffnung Chinas nach den Corona-Lockdown-Maßnahmen profitieren natürlich Exportunternehmen, der Dienstleistungssektor weniger.

In der ersten Schätzung war das Statistische Bundesamt noch von einer Stagnation ausgegangen. Wie kommt es aus Ihrer Sicht zu der recht deutlichen Abweichung von 0,3 Prozentpunkten?

Für uns Ökonomen sind 0,3 Prozentpunkte keine starke Abweichung. Das ist nicht unerwartet. Wichtig ist, dass wir erst einmal in der Schwächephase bleiben werden und noch viel passieren kann, das die Wirtschaft erneut in eine Rezession treibt.

Was zum Beispiel?

Eine Eskalation des Kriegs in der Ukraine ist sicherlich das größte Risiko. Auch das Lieferkettenproblem ist noch nicht endgültig behoben. Und geopolitische Konflikte, zum Beispiel zwischen China und den USA, könnten sich verschärfen.

Der Blick auf das Gesamtjahr fällt also wenig positiv aus?

Genau, wir rechnen mit Wachstum um die null Prozent. Es könnte auch leicht positiv oder negativ sein, aber das wissen wir nicht. Normalerweise folgt auf eine Rezession ein recht deutlicher Aufholprozess, aber genau davon gehen wir nicht aus. Gesamtwirtschaftlich reden wir eher von einer Stagnation auf absehbare Zeit. Menschen mit geringen Einkommen könnten vier oder fünf Jahre brauchen, bis die Kaufkraft ihrer Löhne wieder Vorkrisenniveau erreicht.

Was könnte die deutsche Wirtschaft aus dieser negativen Phase wieder herausbringen?

Massive Investitionen, die vor allem die ökologische und digitale Transformation schneller voranbringen. Die Politik könnte einerseits bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen schaffen und andererseits Menschen mit geringen Einkommen gezielt entlasten. Das müsste für die Bundesregierung oberste Priorität haben.

Mit Marcel Fratzscher sprach Victoria Robertz.

Dieses Interview erschien zuerst bei capital.de

Quelle: ntv.de

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