"In existenzieller Gefahr" Karstadt-Kaufhof-Mitarbeiter erbitten Nothilfe
19.03.2020, 11:26 Uhr
Der Betriebsrat von Galeria Karstadt Kaufhof schlägt Alarm. Die Verordnungen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie seien existenzbedrohend für Einzelhändler. In einem dramatischen Appell fordern die Arbeitnehmervertreter schnelle und unbürokratische Hilfen für die 30.000 Beschäftigten.
Der Gesamtbetriebsrat von Galeria Karstadt Kaufhof appelliert in einem offenen Brief dringend an die Bundesregierung, das Unternehmen mit schnellen und unkomplizierten Nothilfen zu unterstützen.
In dem Schreiben, das ntv.de vorliegt, heißt es, der deutsche Einzelhandel stehe in der Corona-Krise "in der ersten Reihe der betroffenen Unternehmen". Alleine bei Karstadt seien "30.000 Arbeitsplätze und deren Familien in existenzieller Gefahr und es gilt, diese Gefahr abzuwenden", schreibt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Jürgen Ettl. "Im deutschen Einzelhandel sprechen wir von über 3,1 Mio. Arbeitsplätzen." Anders als in der Finanzkrise 2008 treffe die Corona-Krise diesmal "die gesamte Realwirtschaft".
Wegen der Ansteckungsgefahr sind mittlerweile alle Einzelhandelsgeschäfte geschlossen. Nur Supermärkte und Geschäfte, die für die Grundversorgung notwendig sind, sind noch geöffnet. Bei Karstadt und Kaufhof dürfen nur die Lebensmittel- und Drogerieabteilungen der Kaufhäuser geöffnet sein.
Die gesamte Branche ist alarmiert. Sollte der Shutdown sich über zwei Monate hinziehen, werde die Branche dies nicht überstehen, warnt der Handelsverband Deutschland (HDE). Mit jedem Tag Schließung verliere der Handel im No-Food-Bereich, zu dem etwa Textilien, Möbel, Unterhaltungselektronik und Parfümerien zählen, 1,15 Milliarden Euro, beziffert Hauptgeschäftsführer Stefan Genth den Schaden. Pleiten seien programmiert.
Zwar loben die Karstadt-Beschäftigten die bisherigen Hilfen der Bundesregierung in ihrem Brief, der neben der Bundeskanzlerin auch direkt an die Bundesminister für Arbeit, Finanzen und Wirtschaft gerichtet ist. Aber sie warnen auch davor, dass diese "allein auf keinen Fall ausreichen" werden. Der Betriebsrat äußert ausdrücklich großes Verständnis für die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung, gibt aber zu bedenken, dass ein "Normalzustand" nicht so leicht eintreten werde. "Ein 'Hochfahren' des Geschäftsbetriebes wird nicht 'über Nacht' gehen und auch unsere Kundinnen und Kunden werden einige Zeit brauchen, bevor sie zur Normalität zurückkehren werden", wie Betriebsratschef Ettl schreibt.
Gehälter sicherstellen, Kurzarbeitergeld aufstocken
"Wir und alle anderen Einzelhändler sind DRINGEND auf sofortige staatliche Unterstützung angewiesen, um dem schlimmsten Fall zu entgehen", heißt es in dem Schreiben. Als Soforthilfe und in Übereinstimmung mit dem HDE fordern die Beschäftigten deshalb "schnellstens" Direkt-Zahlungen bis zum 23. März 2020 "zur Sicherstellung der Gehaltszahlungen", KfW-Bürgschaften ohne Eigenbeteiligung und ohne Risiko-Partnerschaft der privaten Banken sowie die sofortige Stundung der für März und April fälligen Zahlungen an die Sozialversicherungsträger und Finanzbehörden.
Die im Eilverfahren geschaffenen Gesetzesbestimmungen zum Kurzarbeitergeld müssten "schnell und unkompliziert" bearbeitet werden, heißt es in dem Schreiben weiter. Wegen des niedrigen Lohnniveaus werde es vielen Beschäftigten "schwerfallen, mit dem abgesenkten Einkommen ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können". Deshalb müssten die Prozentsätze von derzeit 60 bis 67 Prozent auf 85 bis 90 Prozent angehoben werden.
Die Bundesregierung hat ihr beschlossenes Schutzschild-Programm für die Wirtschaft und Unternehmen inzwischen auch auf Selbstständige ausgeweitet. Die Rezession infolge des Kampfes gegen die Corona-Krise habe inzwischen "fast alle Bereiche der Volkswirtschaft" erreicht, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Sie hinterlasse "zum Teil Bremsspuren und Ergebnisse, die über Jahre und Jahrzehnte hinaus ihre Wirkung entfalten können, wenn wir nicht umsichtig, klug und gemeinsam vorgehen".
Am Freitag hatte der Wirtschaftsminister noch betont, dass "kein gesundes Unternehmen" wegen der Covid-19-Lungenkrankheit in die Insolvenz und "kein Arbeitsplatz verloren" gehen dürfe. Dieser Wortlaut hat sich angesichts der täglichen Zuspitzung der Lage schon wieder geändert: Es gehe darum, "dass wir möglichst viele Unternehmen erhalten in ihrer puren Existenz" und "möglichst auch viele Arbeits- und Beschäftigungsverhältnisse erhalten", heißt es nun.
Quelle: ntv.de, ddi