Forderung nach raschem Neuanfang Ökonomen und Verbände warnen vor monatelanger Hängepartie
07.11.2024, 15:51 Uhr Artikel anhören
Nach dem Bruch der Ampel-Koalition fordern Wirtschaftsverbände, Unternehmen, Gewerkschaften und Ökonomen eine schnelle Rückkehr zu stabilen politischen Verhältnissen.
(Foto: Christian Charisius/dpa)
Die deutsche Wirtschaft dringt nach dem Bruch der Ampel-Regierung auf einen raschen Neuanfang in der Politik. Die Unternehmen bräuchten Planungssicherheit und die Wirtschaftskrise im Land erfordere umgehend wieder stabile politische Verhältnisse - so äußerten sich sinngemäß eine ganze Reihe von Wirtschaftsverbänden, Ökonomen und auch Gewerkschaften zu den Entwicklungen in der Bundesregierung. Mögliche Neuwahlen erst im März seien zu spät. Ein Überblick:
"Nichts braucht unsere Wirtschaft derzeit mehr als das Vertrauen in einen wirtschaftspolitischen Kurs, der die Bedingungen für Investitionen und Wachstum endlich wieder verbessert", kommentierte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, das Geschehen. "Wir hoffen deshalb auf eine kurze Übergangsphase." Es brauche eine handlungsfähige Regierung mit einer Mehrheit im Parlament. Bei einer solchen Regierung müsse dann "die Stabilisierung unserer Wirtschaft ganz oben auf der Prioritätenliste stehen", fuhr Adrian fort: "Energiekosten runter, Steuern investitionsfreundlich gestalten, Auflagen und vielfältige Berichtspflichten müssen gestrichen, Planungs- und Genehmigungsverfahren schnell vereinfacht werden."
Als "konsequent" bezeichnete der Industrieverband BDI den Bruch der Ampel-Regierung. Die Regierungsparteien seien in den vergangenen Monaten ihrer "gemeinsamen Verantwortung für die Sicherung der Zukunft des Landes immer weniger gerecht geworden", erklärte Verbandspräsident Siegfried Russwurm. Nun seien rasch wieder "stabile Verhältnisse" nötig. Ähnlich äußerte sich der Automobilverband VDA: "Weiteren Stillstand kann Deutschland sich in dieser Lage nicht leisten." Der Außenhandelsverband BGA hält jeden weiteren Tag mit der aktuellen Bundesregierung für einen "verlorenen Tag".
Auch Unternehmen warnen davor: Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing forderte zügige Reformen und einen stabilen Rahmen für die Finanzierung von Investitionen in der Wirtschaft. Deutschland könne sich keinen Stillstand mehr erlauben. "Jeder Monat mit fehlenden Reformen wird später nichts anderes als ein fehlendes Wachstumsjahr sein", schrieb er auf LinkedIn. Jetzt gehe es darum, eine stabile und zukunftsorientierte Regierung zu bilden.
Lanxess-Vorstandschef Matthias Zachert begrüßte das Ende der Ampel ausdrücklich. "Kein Verständnis habe ich dafür, dass der Kanzler Neuwahlen erst im März herbeiführen will", sagte der Chef des Spezialchemie-Konzerns. "Der Kanzler muss unverzüglich den Weg für Neuwahlen freimachen. Jetzt. Jeder Tag zählt."
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte am Mittwoch Bundesfinanzminister Christian Lindner im Streit um die Haushalts- und Wirtschaftspolitik entlassen und für den 15. Januar die Vertrauensfrage im Bundestag angekündigt. Bis Ende März könnte es dann dem Kanzler zufolge Neuwahlen geben. Bis dahin will er in einer Minderheitsregierung mit den Grünen weiterregieren, außerdem bleibt Verkehrsminister Volker Wissing im Amt, der die FDP verlassen hat.
Der Deutsche Mieterbund sieht im Abgang der FDP die Chance auf rasche Verbesserungen beim Mieterschutz. Der Bundestag könne die verbliebenen Koalitionspartner "in ihrem bis dato durch die FDP blockierten Bestreben nach verbessertem Mieterschutz" unterstützen, erklärte DMB-Präsident Lukas Siebenkotten. Zumindest müsse rasch der Weg "für die Umsetzung der im Koalitionsvertrag vereinbarten mietrechtlichen Reformen" freigemacht werden. So läuft etwa die Mietpreisbremse nach derzeitigem Stand Ende 2025 aus. Ihre Verlängerung müsse nun "schnellstmöglich" beschlossen werden, erklärte der DMB. Das hatte die Regierung auch in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart.
Ökonomen nannten das Ampel-Aus den richtigen Schritt. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, hält Scholz' Pläne für "sinnvoll, jetzt noch vor Auflösung des Bundestages und vor Neuwahlen zu versuchen, zentrale Gesetzespakete wie den Bundeshaushalt und den Ausgleich der kalten Progression zu verabschieden". Sonst müsse auf die vorläufige Haushaltsführung zurückgegriffen werden - das wiederum würde Investitionen bremsen und Jobs gefährden, warnte er.
"Die Entscheidung des Bundeskanzlers zur Beendigung dieser Regierung zu diesem Zeitpunkt ist riskant", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Marcel Fratzscher. "Sie dürfte jedoch das geringere Übel im Vergleich zu einer Fortsetzung der politischen und wirtschaftlichen Paralyse sein." Die beste Option seien jetzt baldige Neuwahlen, um eine neue, handlungsfähige Bundesregierung zu finden, die sich der großen Verantwortungen für Deutschland und für Europa stelle.
Ähnlich äußerte sich der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA). "Aus der tiefen wirtschaftlichen Krise ist nun mutwillig eine politische Krise gemacht worden", sagte BGA-Präsident Dirk Jandura. "Diese Art von Führung hat niemand bestellt und niemand verdient." Statt das Land durch schwere See zu lenken, gebe der Bundeskanzler das Steuerrad aus der Hand. "Wir fordern Neuwahlen, und zwar so schnell wie möglich", betonte Jandura. Das verlangt auch der Verband der Chemischen Industrie (VCI). "Das Ampel-Aus kommt zur Unzeit", sagte dessen Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup. "Wir brauchen jetzt schnell Klarheit. Eine monatelange Hängepartie und politischen Stillstand können wir uns nicht leisten."
Quelle: ntv.de, jki/AFP/rts