Milliardenvermögen vernichtet Oligarchen zahlen bereits Preis für Kreml-Aggression
23.02.2022, 17:04 Uhr
Den russisch-finnischen Oligarchen Gennadi Timschenko kostete die Russland-Krise in diesem Jahr bereits 6,5 Milliarden Dollar.
(Foto: imago images / ITAR-TASS)
Sie seien ein "Witz", "ziemlich dünn" oder "lauwarm", schimpfen Putin-Kritiker über Sanktionen gegen bislang nur wenige russische Milliardäre in Großbritannien. "Wo sind die anderen 50 Oligarchen?", ätzt einer. Doch auch ohne Sanktionen kommt die Russland-Krise den russischen Geldadel teuer zu stehen.
Die vom Westen eingeleiteten Sanktionen gegen den russischen Staat sowie einzelne Bürger tangieren Präsident Wladimir Putin bislang wenig. Zumindest vor laufenden Kameras gibt er sich cool. Sein Narrativ: Russland verteidige in der Ukraine lediglich seine berechtigten Interessen. Alle bisherigen Sanktionen - gegen die Geldelite des Landes, Duma-Abgeordnete oder Banken - könnten dem Land absolut nichts anhaben, signalisiert der Kreml. Kritische Beobachter und Russland-Experten pflichten dem teilweise bei, auch sie halten die Strafen für zu milde. Dabei kommen die Angehörigen der russischen Geldelite gar nicht so einfach davon, wie vielfach angenommen.
Insbesondere in Großbritannien wird Kritik laut, dass die Maßnahmen bislang wenig ambitioniert seien. Die britische Regierung hatte am Dienstag wegen der Eskalation in der Ukraine drei russische Superreiche und fünf russische Banken sanktioniert sowie Vermögen eingefroren. Zu ähnlichen Schritten wie Großbritannien griffen auch die EU und die USA. Die neuen EU-Sanktionen sehen unter anderem vor, jene 351 Abgeordnete des russischen Parlaments auf die Sanktionsliste zu setzen, die für die Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk gestimmt haben. Hinzu kommen Strafen gegen 27 weitere Personen und Organisationen.
"Wo sind die 50 anderen Oligarchen?"
Die "erste Salve" sei "ziemlich dünn", kommentierte der britische Labour-Abgeordnete Chris Bryant, der seit Längerem schärfere Geldwäschekontrollen in London fordert. Als "lauwarm" kritisierte auch der in London lebende Putin-Kritiker und US-Investor Bill Browder die Strafen. Per Twitter fragte er: "Wo sind VTB und Sberbank? Wo die anderen 50 Oligarchen?" VTB und Sberbank sind Russlands größte Banken, beide sind an der Londoner Börse zweitgelistet. "Das ist ein Witz. Das signalisiert den Oligarchen hier, dass nichts passiert, und dass das Lobbying der letzten Tage geglückt ist", schimpfte auch die Russland-Expertin Elisabeth Schimpfössl, die an der London School of Economics den Einfluss reicher Russen im Vereinigten Königreich erforscht.
Großbritanniens Wirtschaft ist eng mit Russland verflochten: London wird auch "Moskau an der Themse" oder "Londongrad" genannt, denn die Stadt ist bekannt dafür, viele russische Oligarchen zu beherbergen. Die Aktivitäten russischer Superreicher in London und anderen Teilen Großbritanniens werden seit Langem von Parlamentariern, Journalisten und Experten mit Sorge betrachtet. Die Geschäftsbeziehungen der Oligarchen reichen bis in die höchsten Kreise von Politik und Gesellschaft.
Dass die Sanktionen die hohen Erwartungen nicht erfüllen, mag sein. Dass insbesondere der Geldadel ungeschoren davonkäme, stimmt aber nicht. Das liegt allerdings nicht an Maßnahmen des Westens, sondern an den Reaktionen der Börsen auf die Krise. Der Streit, den Putin geschürt hat, hat ein Beben nicht nur am russischen Aktienmarkt ausgelöst. Der Moskauer Leitindex RTS hat innerhalb von vier Tagen mehr als Viertel seines Werts eingebüßt.
Russlands Milliardäre sind 32 Milliarden Dollar leichter
Davon wurden auch die russischen Superreichen getroffen, die bislang von Sanktionen verschont geblieben sind. Wie Berechnungen von Bloomberg zeigen, ist ihr Vermögen durch die Kurseinbrüche allein in diesem Jahr um 32 Milliarden US-Dollar geschrumpft. Die 23 Milliardäre des Landes verfügen demnach noch über ein Gesamtnettovermögen von 343 Milliarden Dollar. Ende vergangenen Jahres waren es noch 375 Milliarden, wie aus dem Billionaires Index der US-Finanzagentur hervorgeht.
Laut der Liste ist der größte Verlierer unter den russischen Milliardären Gennadi Timschenko. Ihn hat der Konflikt dieses Jahr bereits ein Drittel seines Vermögens gekostet, schreibt Bloomberg. Er besitzt demnach noch etwa 16 Milliarden US-Dollar, der Großteil stammt aus einer Beteiligung am russischen Gasproduzenten Novatek. Der 69-Jährige ist Sohn eines sowjetischen Militäroffiziers, der Putin Anfang der 1990er-Jahre kennengelernt und sich mit ihm angefreundet hat.
Timschenko gehört auch zu den ausgewählten Oligarchen, die London offenbar auf dem Schirm hatte und am Vortag sanktioniert hat. Die anderen beiden sind Boris Rotenberg und dessen Neffe Igor Rotenberg. Alle drei gelten als enge Verbündete Putins. Die Rotenbergs haben ihr Vermögen mit der Gaspipeline-Baufirma Stroygazmontazh gemacht, auch bekannt als auch S.G.M. Group. Igors Vater, Arkadi, ist einer von Putins ehemaligen Judo-Sparringspartnern. Er verkaufte die Pipeline-Firma 2019 für rund 1,3 Milliarden US-Dollar. Die Rotenbergs tauchen zwar nicht auf der Liste der 500 Superreichen von Bloomberg auf, aber auch sie dürften den Schwund durch die Russland-Krise im Depot zu spüren bekommen haben.
Beziffern lässt sich der Preis für die aus Moskau angezettelte Krise wiederum beim Mitgesellschafter von Novatek, Leonid Michelson. Sein Vermögen soll seit Anfang des Jahres um 6,2 Milliarden Dollar geschrumpft sein. Und auch Lukoil-Chef Wagit Alekperow ist rund 3,5 Milliarden Dollar leichter, nachdem die Aktien seines Energieunternehmens um fast 17 Prozent eingebrochen sind. Es sei nicht ausgeschlossen, dass sich die Vermögensvernichtung durch den Konflikt weiter fortsetze, schreibt Bloomberg. Danken werden die Oligarchen das Putin sicherlich nicht. Putin selbst steht bislang übrigens auf keiner Sanktionsliste. Das könnte aber auch damit zu tun haben, dass es bei ihm möglicherweise nicht viel Vermögen einzufrieren gibt.
Quelle: ntv.de