Wanderwitz: Demokratie-Defizit Ostdeutschland holt wirtschaftlich auf
07.07.2021, 14:11 Uhr
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung Marco Wanderwitz sieht wirtschaftlich eine positive Entwicklung der neuen Bundesländer, beim Demokratieverständnis aber starke Defizite.
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Der Ostbeauftragte der Bundesregierung legt Zahlen vor, die die wirtschaftlich positive Entwicklung der neuen Bundesländer bestätigen. Deutlich düsterer ist seine Bestandsaufnahme, was das Wahlverhalten und das Demokratieverständnis angeht. Er sieht die Demokratie gefährdet.
Auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung hängt die ostdeutsche Wirtschaft hinter dem Westen zurück. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag 2020 in den neuen Ländern einschließlich Berlin bei 32.422 Euro, wie aus dem Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit hervorgeht. In den alten Ländern lag der Wert bei 41.940 Euro.
Der durch die Corona-Pandemie bedingte Einbruch fiel entsprechend in Ostdeutschland mit minus 3,8 Prozent geringer aus als im Westen, wo die Wirtschaftsleistung um 5,1 Prozent zurückging. Die Arbeitslosenquote lag im Osten im Durchschnitt bei 7,6 Prozent und im Westen bei 5,6 Prozent. Der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Länder, Marco Wanderwitz, betonte bei der Vorstellung des Berichts in Berlin, die Wirtschaftskraft Ostdeutschlands liege mittlerweile bei 81 Prozent des Bundesdurchschnitts. Im Jahr 2010 hatte das BIP der neuen Bundesländer und Berlins noch bei 74,2 Prozent des gesamtdeutschen Niveaus gelegen. Berlin bildet allerdings einen Sonderfall: Die Bundeshauptstadt sowie ihr Umland kommen auf 100,1 Prozent der bundesdeutschen Wirtschaftskraft. Die Region bildet damit eines der Zugpferde der neuen Bundesländer.
Einige Regionen in den neuen Ländern hätten deutlich aufgeholt. "Von einer flächendeckenden Strukturschwäche kann nicht mehr gesprochen werden." Der CDU-Politiker verwies in diesem Zusammenhang auf einen Paradigmenwechsel der Bundesregierung weg von der Förderung Ostdeutschlands insgesamt hin zu einem gesamtdeutschen Ansatz. So würden ländliche periphere Regionen in Ostdeutschland genauso gefördert wie strukturschwache im Westen.
Ein Drittel der Ostdeutschen fühlt sich als "Bürger zweiter Klasse"
"Wo wir allerdings noch deutliche Unterschiede weiterhin finden, sind die politischen Einstellungen der Menschen", sagte der in Chemnitz geborene Wanderwitz. "Für die neuen Länder kennzeichnend ist eine im Vergleich zu den alten Ländern durchgängig skeptischere, distanziertere, und auch kritischer ausgeprägte Grundeinstellung gegenüber Politik und Demokratie." So gebe es in Ostdeutschland ein "Gefühl der kollektiven Benachteiligung". Allerdings sähen sich lediglich ein Drittel der Menschen als "Bürger zweiter Klasse", in Westdeutschland hätten ein Viertel der Menschen dieses Gefühl. Hier habe die Bundesregierung noch Arbeit vor sich. "Ein gesellschaftliches Auseinanderdriften können und dürfen wir nicht akzeptieren", mahnte Wanderwitz.
Er bekräftige auch seine umstrittene Haltung zum Wahlverhalten der Menschen in den ostdeutschen Ländern, wo die AfD zumeist mehr Stimmen erhält als im Westen. Es sei nicht zu bestreiten, dass "wir alle in einer Diktatur sozialisiert worden sind", betonte der CDU-Politiker mit Blick auf die DDR-Vergangenheit. Dies sei eine Beschreibung des Ist-Zustandes. "Wenn ich eine rechtsradikale Partei wähle, dann ist doch etwas nicht in Ordnung mit mir", fügte er hinzu. "Das machen doch Demokratinnen und Demokraten nicht."
"Wer mit einer Reichskriegsflagge an der Bundesstraße steht, mit dem kann man schwer reden", fügte Wanderwitz hinzu. Das seien aber auch nicht alle. Da müsse es ein Dialogangebot geben. "Aber es kann doch nicht die Reaktion der Politik sein, dass als Dank für rechtsradikales Wählerverhalten eine besonders liebevolle Ansprache gewählt wird." Vielmehr müsse klar gesagt werden: "Das macht man nicht, das gefährdet die Demokratie."
Quelle: ntv.de, als/rts/DJ/AFP