Wirtschaft

Kritik an Geschäften mit Rosatom Siemens Energy bleibt Russlands Atomkonzern treu

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Siemens Energy betont, bestehende Verträge mit Rosatom einhalten zu wollen.

Siemens Energy betont, bestehende Verträge mit Rosatom einhalten zu wollen.

(Foto: picture alliance / Schoening)

Trotz des Ukraine-Kriegs pflegt Siemens Energy weiterhin Geschäftsbeziehungen zum russischen Staatskonzern Rosatom. Insbesondere die Beteiligung an einem AKW-Projekt in Ungarn sorgt für Kritik. Siemens Energy verteidigt sich.

Bei den Sanktionen gegen den russischen Energiesektor macht die Europäische Union eine Ausnahme. Anders als bei Öl, Gas und Kohle gibt es in der Atomindustrie keine Handelsbeschränkungen. Einem Bericht der Umweltschutzorganisation Greenpeace zufolge profitieren davon vor allem zwei westliche Konzerne: die französische Framatome und der deutsche Konzern Siemens Energy.

Ihr wichtigster Geschäftspartner sei dabei nicht irgendein Unternehmen, sondern die unmittelbar dem Kreml unterstellte Rosatom. Der Staatskonzern ist für den zivilen, aber auch für den militärischen Bereich der russischen Kernkraft verantwortlich. In der Ukraine hat Rosatom den Betrieb des von russischen Streitkräften besetzten Atomkraftwerks Saporischschja übernommen.

"Große europäische Unternehmen haben laufende Verträge im Wert von Hunderten Millionen Euro für den Export ihrer Spitzentechnologie und ihres Fachwissens in russische Kernkraftwerke und in die Nuklearprojekte Rosatoms im Ausland", heißt es in dem Greenpeace-Bericht. Framatome und Siemens Energy hätten "eine Schlüsselrolle im Atomprogramm von Rosatom" inne und würden somit indirekt den russischen Angriff auf die Ukraine unterstützen.

Siemens Energy will Verträge einhalten

Tim Proll-Gerwe, Pressesprecher von Siemens Energy, entgegnet den Vorwürfen von Greenpeace auf Twitter: "Unsere Mitarbeiter arbeiten nicht für Rosatom in Russland und wir haben keine 'lukrativen' Verträge; der Umsatz im Jahr 2022 lag im einstelligen Millionenbereich." Sein Unternehmen werde bestehende Verträge einhalten, "auch unter besonderen Umständen". Überdies liefere Siemens Energy keine heiße Kerntechnik, sondern Sicherheits- und Leittechnik.

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Allerdings bezieht sich Greenpeace auf genau diese Leittechnik. Entsprechende Systeme werden von Fachleuten als Gehirne der Kraftwerke bezeichnet, weil sie Anlagen selbstständig steuern und im Ernstfall sogar Reaktoren abschalten können. Siemens-Energy-Sprecher Proll-Gerwe hält dagegen: Die Leittechnik komme nicht bei Kernkraftwerken in Russland zum Einsatz, sie sorge vielmehr für die Sicherheit europäischer Kraftwerke.

Er meint damit wohl auch das Kernkraftwerk im ungarischen Paks. Dort baut Rosatom derzeit zwei neue Reaktorblöcke. 2019 und 2020 hat Siemens Energy dafür Verträge zur Lieferung von Leittechnik unterzeichnet, lediglich die Genehmigung des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle steht noch aus. Ein solches System kostet mehrere Hundert Millionen Euro.

Lieferung würde "aktiv Kriegstreiber unterstützen"

Das stößt auf Kritik. "Durch die Lieferung wichtiger Komponenten für Rosatoms AKW-Projekt Paks II in Ungarn würde Siemens Energy aktiv Kriegstreiber unterstützen und Europas Abhängigkeit von Russland verstärken", sagte Sebastian Rötters von der Umweltschutzorganisation Urgewald dem "Handelsblatt". Siemens Energy betont dagegen, diverse Regierungen innerhalb der EU hätten "auch nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine explizit gebeten, unsere Leittechnik für das Projekt Paks II in Ungarn zu liefern". Das Unternehmen sei der einzige Anbieter von Leittechnik, der europäische Sicherheitsstandards erfüllen könne.

Auf Anfrage von ntv.de verweist Siemens Energy auf seine Hauptversammlung im Februar. Vorstandschef Christian Bruch sagte damals, die Verträge seien vor dem russischen Überfall auf die Ukraine abgeschlossen worden, Neugeschäfte gebe es keine. "Wir sehen uns an bestehende Verträge grundsätzlich gebunden."

Auf jener Aktionärsversammlung sprach auch der russische Umweltaktivist und Träger des Alternativen Nobelpreises, Wladimir Sliwjak. Er forderte die Konzernleitung auf, alle Geschäfte mit Rosatom zu stoppen. Der Staatskonzern sei Teil des geopolitischen Plans des Kremls, möglichst viele Länder von Russland abhängig zu machen, und sei zudem durch den Betrieb des AKWs Saporischschja direkt am Ukraine-Krieg beteiligt. "Die Zusammenarbeit mit Kriegsverbrechern sollte für jedes europäische Unternehmen inakzeptabel sein."

Greenpeace warnt vor militärischer Verwendung

Laut dem Greenpeace-Bericht könnte die Spitzentechnologie von Siemens Energy sogar in Russlands nuklearem Militärprogramm verwendet werden, etwa beim Betrieb von U-Boot-Reaktoren. "Rosatom ist für alle Bereiche des russischen Atomprogramms verantwortlich - von Reaktoranlagen über Waffen bis zu U-Booten." Bereits jetzt bestehe "ein sehr reales Risiko, dass europäische Unternehmen Russland mit waffenfähiger Nukleartechnologie beliefert haben".

Die Bundesregierung setzt sich schon länger dafür ein, den Handel von Brennstäben und Kernkrafttechnik mit Russland zu beschränken. Wirtschaftsminister Robert Habeck forderte im April, auch den zivilen Nuklearsektor in künftige EU-Sanktionspakete einfließen zu lassen. Moskau sei kein verlässlicher Partner mehr. Doch die EU konnte sich bislang nicht zu Sanktionen gegen die russische Atomindustrie durchringen.

Neben Ungarn blockiert vor allem Frankreich einen solchen Beschluss. Das Land setzt in seiner Energieversorgung vorrangig auf Kernkraft und bezieht Teile seines Urans aus Russland. Zudem pflegt der Framatome-Konzern enge Beziehungen zu Rosatom. Beide Unternehmen betreiben etwa ein gemeinsames Werk für AKW-Brennstäbe im niedersächsischen Lingen.

Insgesamt werden laut einer Analyse des österreichischen Umweltbundesamts 21 Kernreaktoren in der EU mit Brennstäben von Rosatom beliefert, vor allem in den Ländern Osteuropas. Demnach deckt der Staatskonzern knapp ein Viertel der Uranlieferungen in die EU ab. Das Papier zeigt: Rund anderthalb Jahre nach Kriegsausbruch ist Europa noch immer abhängig von Russlands Atomindustrie.

Quelle: ntv.de

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