Börsen geben nach Sorgen um Bankensektor nicht gebannt
20.03.2023, 10:20 Uhr Artikel anhören
Um das Vertrauen in den Bankensektor zurückzugewinnen, sind womöglich weitere Maßnahmen nötig.
(Foto: dpa)
Die bedeutendste Bankenfusion in Europa seit der Finanzkrise soll die Ängste vor einer Bankenkrise zerstreuen. Anlegern reichen allerdings weder die Übernahme der Credit Suisse noch die Maßnahmen mehrerer Notenbanken zur Beruhigung.
Nach der mühsam ausgehandelten Übernahme der angeschlagenen Credit Suisse durch die Schweizer Großbank UBS herrscht an internationalen Finanzmärkten vorerst weiter Unruhe. Der DAX und die wichtigsten asiatischen Börsen gaben überwiegend nach. Sowohl der Milliardendeal in der Schweiz als auch die Maßnahmen mehrerer Notenbanken zur Liquiditätsversorgung des Finanzsystems konnten gegen die Ängste vor einer möglichen Bankenkrise nur wenig ausrichten.
Der DAX fiel am Morgen auf ein weiteres Tief seit Januar und rutschte mit zuletzt minus 1,12 Prozent auf 14.602,19 Punkte. Damit knüpfte der deutsche Leitindex zugleich nahtlos an die Abschläge der Vorwoche von mehr als vier Prozent an. Auch der MDax der mittelgroßen Unternehmenswerte verlor in den ersten Handelsminuten deutlich und gab um 1,90 Prozent auf 25.944,45 Zähler nach. "Die ersten Reaktionen auf die Credit-Suisse-Übernahme durch die UBS waren durchaus positiv", kommentierte ntv-Börsenkorrespondentin Nancy Lanzendörfer. "Allerdings sind die Kursvorzeichen mittlerweile wieder rot. Die Unsicherheit rund um das Bankenthema ist zurück, die Sorgen um eine Bankenkrise sind nicht gebannt."
Die Titel der Credit Suisse sackten im frühen Handel um 63 Prozent auf 0,68 Franken ab - unter den von der UBS bezahlten Kaufpreis von 0,76 Franken. Die Anteile der UBS brachen um 13 Prozent auf 14,92 Franken ein. Europaweit rutschten Titel von Finanzdienstleistern und Versicherern zum Teil tief ins Minus. Auch die Aktien von Banken in Deutschland und Frankreich stürzten ab. Der Kurs der Deutschen Bank etwa brach um fast zehn Prozent ein, der der Commerzbank um über sieben Prozent. Der europäische Bankenindex fiel um 5,3 Prozent und der Index der Versicherer um 3,3 Prozent.
Bafin: Deutsches Finanzsystem stabil und robust
Die Finanzaufsicht Bafin hält das deutsche Finanzsystem nach der Rettungsaktion weiter für widerstandsfähig. "Das deutsche Finanzsystem erweist sich weiterhin als stabil und robust," teilte ein Sprecher der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht mit. Die Bafin habe die aktuellen Marktentwicklungen im Blick und berücksichtige sie im Rahmen ihrer laufenden Aufsicht.
Die UBS übernimmt den kleineren Lokalrivalen für drei Milliarden Franken - gut 3 Milliarden Euro. Zusätzlich steht sie für Verluste von bis zu fünf Milliarden Franken gerade. Hinzu kommen eine staatliche Verlustgarantie von 9 Milliarden Franken sowie Liquiditätszusagen im Umfang von bis zu 200 Milliarden Franken. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) unterstützt die Transaktion mit Liquiditätshilfen und gewährt den Banken ein Darlehen von bis zu 100 Milliarden Franken. Zusätzlich könne die SNB der Credit Suisse ein mit einer Ausfallgarantie des Bundes gesichertes Liquiditätshilfe-Darlehen von bis zu 100 Milliarden Franken gewähren, hieß es. Die Schweizer Regierung sicherte der UBS eine Garantie von 9 Milliarden Franken zu.
Andere Notenbanken begrüßten in einer ersten Reaktion die Maßnahmen. Eine Übernahme der zweitgrößten Schweizer Bank Credit Suisse durch die größere UBS ist die bedeutendste Bankenfusion in Europa seit der Finanzkrise vor 15 Jahren. Sie bedeutet das Ende für die 167 Jahre alte Credit Suisse, deren Hauptsitz gegenüber der erbitterten Rivalin UBS am Zürcher Paradeplatz liegt. Vorausgegangen war ein Verhandlungsmarathon, an dem die beiden Banken sowie Spitzenvertreter von Politik und Aufsichtsbehörden teilgenommen hatten. Staat und Aufsichtsbehörden ging es darum, einen Flächenbrand zu verhindern.
Ausfall würde internationales Finanzsystem erschüttern
Die Schweizer Regierung in Bern stand unter erheblichem Druck, die Lage zu stabilisieren und die Credit Suisse zu stützen. Denn Credit Suisse ist einer der weltweit größten Vermögensverwalter und gehört zu den 30 global systemrelevanten Banken, deren Ausfall das internationale Finanzsystem erschüttern würde. Der Schweizer Bundespräsident Alain Berset sagte, "der Bundesrat ist überzeugt, dass die Übernahme die beste Lösung ist, um das Vertrauen wiederherzustellen". Credit Suisse habe Vertrauen der Kunden verloren, Liquidität habe gewährleistet werden müssen. Die Transaktion sei wichtig für die Stabilität des schweizerischen Finanzplatzes, hieß es weiter.
SNB-Präsident Thomas Jordan betonte, die Reputation sei für die Volkswirtschaft der Schweiz zentral. Finanzministerin Karin Keller-Suter sagte, der Bund habe die Garantie von 9 Milliarden Franken gegeben, um Risiken der Credit Suisse abzufangen. "Die Steuerzahler haben nur geringes Risiko" - jedes andere Szenario hätte mehr Kosten verursacht. Man habe einen privaten Partner und eine solide Bank, die die Credit Suisse übernehme. Es handele sich nicht um eine staatliche Rettung, betonte die Ministerin. Der Bund habe lediglich eine Garantie übernommen.
Neuer Branchenriese verwaltet 5 Billionen US-Dollar
UBS-Verwaltungsratspräsident Colm Kelleher sprach von einer Riesenchance für UBS. Die Kombination beider Banken stärke die Position. Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) begrüßte die Übernahmelösung sowie die vom Bund und der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ergriffenen Maßnahmen. Bei der Credit Suisse habe die Gefahr einer Zahlungsunfähigkeit bestanden, auch wenn die Bank weiterhin solvent gewesen sei, hieß es weiter. Die Credit Suisse hatte zuletzt unter erheblichem Vertrauensverlust der Anleger gelitten. Der Aktienkurs war auf ein Rekordtief gefallen, nachdem der größte Investor der Bank die Bereitstellung von weiterem Kapital ausgeschlossen hatte und das Institut weiter mit Geldabflüssen zu kämpfen hatte.
Mit der Fusion zu einem neuen Branchenriesen soll laut UBS ein Finanzinstitut mit einem verwalteten Vermögen von mehr als 5 Billionen US-Dollar entstehen. Zu möglichen Stellenstreichungen könnten keine Aussagen gemacht werden, hieß es am Sonntagabend. Zusammen beschäftigen beide Institute etwa 120.000 Mitarbeiter. Die Bilanzsumme der UBS mit mehr als 72.000 Beschäftigten belief sich 2022 auf umgerechnet 1030 Milliarden Euro, die der Credit Suisse mit gut 50.000 Beschäftigten auf umgerechnet 535,44 Milliarden Euro. Die UBS hatte 2022 einen Gewinn von 7,6 Milliarden Dollar - aktuell 7,07 Milliarden Euro - erwirtschaftet. Credit Suisse wies dagegen einen Verlust von 7,3 Milliarden Franken - 7,4 Milliarden Euro - aus.
Quelle: ntv.de, chl/dpa/rts/AFP