Zeugen nicht vernommen? Staatsanwaltschaft erklärt Karl-Erivan Haub weiter für tot
18.08.2023, 17:31 Uhr Artikel anhören
Sein Verschwinden wirft Fragen auf: Karl-Erivan Haub.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
Ex-Tengelmann-Boss Karl-Erivan Haub könnte laut Recherchen von RTL und des "Stern" noch am Leben sein. Dennoch hat die Staatsanwaltschaft Köln die Aufhebung der Todeserklärung jetzt abgelehnt. Dabei hat sie mindestens einen wichtigen Zeugen gar nicht kontaktiert.
Im Fall des verschwundenen Milliardärs Karl-Erivan Haub hat die Staatsanwaltschaft Köln eine Aufhebung der Todeserklärung abgelehnt. "Es haben sich keine konkreten und einer Überprüfung zugänglichen Hinweise für ein Überleben des Verschollenen über den Zeitpunkt der Todeserklärung hinaus ergeben", teilte die Kölner Behörde dem "Stern" mit. Die Voraussetzungen für einen Antrag auf Aufhebung der Todeserklärung lägen demnach nicht vor.
Haub wird seit einem Skiausflug am Matterhorn im Jahr 2018 vermisst und wurde im Mai 2021 vom Amtsgericht Köln für tot erklärt. Recherchen von RTL und "Stern" wiesen jedoch darauf hin, dass der frühere Tengelmann-Chef noch am Leben sein könnte. RTL-Investigativreporterin Liv von Boetticher hatte Hinweise darauf erhalten, dass er sich zumindest zeitweise im Jahr 2021 in Moskau aufgehalten haben soll - und die Familie davon Kenntnis hatte.
Die Gerüchte halten sich hartnäckig, wonach der frühere Tengelmann-Chef sein Verschwinden in Zermatt möglicherweise bewusst herbeigeführt haben könnte, um ein neues Leben in Russland zu beginnen. Zuletzt verdichteten sich die Hinweise zu einem Netz an nachweislich kriminellen Akteuren der russischen Wirtschaft mit Verbindungen zu Geldwäsche und den Russischen Nachrichtendiensten.
Zu den Hinweisen, die von Boetticher recherchiert hat, zählen unter anderem Fotos aus Moskau, aber auch Informationen zu Zahlungen des Bruders und aktuellen Tengelmann-Chefs Christian Haub an den Sicherheitschef von Tengelmann, welcher zusammen mit einem Krisenmanager das Verschwinden von Karl-Erivan Haub untersucht hatte und den "finalen Beweis" erbringen sollte, dass der Verschollene noch lebt. Diese Zahlungen waren nach Informationen aus Tengelmann-Kreisen eine erfolgsabhängige Vergütung.
"Der Mann auf den Fotos sieht wie Haub aus"
Ihre Recherche-Unterlagen hatte von Boetticher der Staatsanwaltschaft Köln übergeben, die im Mai eine Überprüfung der Todeserklärung einleitete. "Auch Informationen über die in der medialen Berichterstattung häufig genannten Fotos waren Gegenstand der Prüfung. Diese sollen aus dem Jahr 2021 stammen und mutmaßlich die für tot erklärte Person zeigen", erklärte die Behörde jetzt. "Da die Aufnahmen jedoch weder zur Verfügung stehen noch zu beschaffen sind, können Existenz, Echtheit und Zeitpunkt der Aufnahmen nicht überprüft werden."
Für von Boetticher wirft die Entscheidung der Staatsanwaltschaft mehr Fragen auf, als sie beantwortet: "Ich bin irritiert darüber, dass mindestens ein Zeuge, der Zugang zu den Fotos hatte, von der Staatsanwaltschaft Köln bisher nicht kontaktiert wurde", sagte sie dem "Stern". Ob überhaupt Zeugen vernommen wurden, sei nicht bekannt. Die Behörde habe wochenlang keine Stellungnahme abgegeben und Versuche der Kontaktaufnahme durch RTL seien erfolglos gewesen.
Die Journalistin verwies auf Fotos, welche mithilfe eines israelisch-amerikanischen Unternehmens im Februar 2021 über das biometrische Überwachungssystem von Moskau gewonnen worden sein sollen. Sie könne nicht zweifelsfrei sagen, ob der darauf abgebildete Person, tatsächlich der verschollene Ex-Tengelmann-Chef sei, sagte von Boetticher im Mai im Interview mit ntv.de. "Der Mann auf den Fotos sieht aber wie Haub aus. Er trägt eine dicke blaue Winterjacke und eine Mütze." Auch wollen Anwohner ihn bei einem Vor-Ort-Besuch von Ermittlern erkannt haben, so die Reporterin.
Die Ermittlungsagentur war zuvor von Christian Haubs Seite beauftragt worden, den "finalen Beweis" für das Fortleben seines Bruders Karl-Erivan zu erbringen. Daran war eine erfolgsabhängige Vergütung in Millionenhöhe verknüpft, die laut Zeugen bereits im Jahr 2021 an den Sicherheitschef von Tengelmann ausbezahlt wurde. Eine entsprechende signifikante Erhöhung der Bilanz ist im Unternehmen des Sicherheitschefs über den Bundesanzeiger nachzuweisen.
Strafanzeige gegen Bruder eingereicht
Die Staatsanwaltschaft erklärte dazu auf Anfrage von RTL und des "Stern", dass das Verschollenheitsgesetz keine tiefergehenden Untersuchungen vorsehe. Das Antragsrecht der Behörde auf Aufhebung einer Todeserklärung bestehe aufgrund des öffentlichen Interesses an der Revidierung einer sachlich falschen Erklärung, teilte eine Sprecherin mit. "Dies setzt voraus, dass man aufgrund vorliegender Erkenntnisse tatsächlich von einer falschen Todeserklärung ausgehen muss, es also eindeutig ist, dass der Verschollene die Erklärung überlebt hat." Die Rolle der Staatsanwaltschaft im Verschollenheitsgesetz unterscheide sich dabei ganz erheblich von ihrer Rolle in Ermittlungsverfahren, in denen die Behörde gesetzlich verpflichtet sei, im Falle eines Anfangsverdachtes Ermittlungen einzuleiten.
Im Hinblick auf die Fotos aus Moskau erklärte die Sprecherin, dass diese - selbst wenn sie der Staatsanwaltschaft vorgelegen hätten - nicht per se zu einer Aufhebung der Todeserklärung von Haub geführt hätten, da nicht verifiziert sei, dass dort tatsächlich der ehemalige Tengelmann-Chef im Jahr 2021 zu sehen sei.
Von Boetticher hatte im Mai auch eine neunseitige Strafanzeige gegen Christian Haub wegen falscher eidesstattlicher Versicherung mit detaillierten Beweisangeboten bei der Staatsanwaltschaft Köln eingereicht. Dieses Verfahren bleibt von der Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Todeserklärung aus juristischer Sicht unberührt. Eine Stellungnahme zu den Ermittlungen in diesem Fall lehnte die Staatsanwaltschaft unter Verweis auf das Persönlichkeitsrecht ab.
Quelle: ntv.de, Marc Drewello/stern.de