Wirtschaft

Inflationsausgleich ohne Zutun Warum das belgische Modell für Deutschland nicht taugt

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In Belgien ist die Höhe der Gehälter gesetzlich geregelt.

In Belgien ist die Höhe der Gehälter gesetzlich geregelt.

(Foto: IMAGO/Sabine Gudath)

In vielen Lebensbereichen explodieren die Preise. Während hierzulande immer mehr Menschen schauen müssen, wie sie über die Runden kommen, steigen in Belgien automatisch die Gehälter. Doch was sich erstmal paradiesisch anhört, taugt weder für Belgien noch für Deutschland.

Das Leben in Deutschland hat sich in den vergangenen Monaten deutlich verteuert. Egal ob für Sprit, Strom oder Lebensmittel - die Preise sind in vielen Bereichen gestiegen. Was hingegen bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht steigt, ist das Gehalt.

Das ist in Belgien anders. Dort ist die Höhe der Gehälter gesetzlich geregelt. Steigen die Preise, verdienen Angestellte im öffentlichen Dienst und im privaten Sektor automatisch mehr: Denn Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, das Gehalt an das jeweils aktuelle Preisniveau anzupassen. Das Konzept stammt aus den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts. Ihm liegt ein Index zugrunde, der die Preise für Lebensmittel, Wohnen und Energie berücksichtigt. Treibstoff, Alkohol und Tabak bezieht der Index hingegen nicht mit ein.

Auch wenn es aus Sicht der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen paradiesische Zustände sind, hält Dominik Groll vom Kieler Institut für Weltwirtschaft sogenannte Indexlöhne aus ökonomischer Sicht nicht für sinnvoll, da es Gefahren für Beschäftigung und Inflation birgt. "Würden die Löhne automatisch mit den Verbraucherpreisen steigen, sähen sich die heimischen Unternehmen nicht nur höheren Energiekosten, sondern auch noch höheren Lohnkosten gegenüber", sagt Groll ntv.de.

Von der Explosion der Preise für importierte Energieträger wie Erdgas und Rohöl profitieren nur die allerwenigsten Unternehmen. Weil Energie für viele Produktionsprozesse nötig sei, würden Unternehmen ihre Preise anheben und so zusätzlich die Inflation anheizen. Unternehmen sähen sich gezwungen, wegen der "höheren Lohnkosten mit Stellenabbau zu reagieren", sagt Groll.

"Der kranke Mann Europas"

Automatisch mehr Gehalt bei steigenden Preisen drückt auch die Wettbewerbsfähigkeit, kritisieren Unternehmen. Der Vorsitzende des belgischen Unternehmerverbands (VBO), Pieter Timmermanns, warnte bereits Anfang des Jahres: Wenn nicht bald etwas gegen steigende Lohnkosten und eine damit einhergehende Wettbewerbskrise unternommen werde, drohe Belgien erneut "der kranke Mann Europas" zu werden.

Timmermanns befürchtet, dass die Lohnkosten in seinem Land in den nächsten zwei Jahren um bis zu acht Prozent steigen könnten. "Das würde die internationale Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Unternehmen noch mehr schwächen", zitiert "VRT Nachrichten" den VBO-Vorsitzenden. Er schlug deswegen vor, einen Teil der Indexierung durch eine Einmalzahlung abzufangen. Aussicht auf Erfolg hat dieser Vorschlag momentan nicht.

Auch EU-Beamte profitieren

Befürworter einer Indexierung argumentieren: Gehälter, die mit der Inflation steigen, können den sozialen Frieden sichern. Schließlich reiche die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften heute oft nicht mehr aus, um inflationsbedingte Verluste auszugleichen. Die schwindende Kaufkraft hat kürzlich sogar die Gewerkschaft der Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank dazu veranlasst, Gehaltserhöhungen entsprechend der Inflationsrate in der Eurozone zu fordern.

"Das Fehlen einer Indexierung bedeutet, dass die Arbeitnehmer bei einem Preisschock immer die Leidtragenden sind", zitiert das Wirtschaftsportal "Bloomberg" Carlos Bowles, ein Ökonom der EZB und Vizepräsident der Gewerkschaft IPSO. Auf Zustimmung ist die Forderung bei EZB-Präsidentin Christine Lagarde nicht gestoßen.

Während die Gehälter immer weniger wert sind und Arbeitnehmer in Deutschland von einer automatischen Lohnerhöhung nur träumen können, profitieren in Brüssel übrigens auch rund 60.000 EU-Beamte von der Regelung. Inflationsbedingte Gehaltseinbußen müssen sie nicht hinnehmen. Auch ihre bereits hohen Gehälter und Löhne werden automatisch angepasst – sie dürfen wohl mit mindestens 8,5 Prozent mehr Lohn rechnen.

Quelle: ntv.de

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