Warnschuss an alle Hersteller Was hinter Edekas knallhartem Preiskampf steckt
28.04.2023, 11:45 Uhr Artikel anhören
Ganze 17 Konzerne beliefern die Edeka-Gruppe zurzeit nicht.
(Foto: picture alliance / SvenSimon)
Was ist dran am Vorwurf der "Gierflation", verlangen Lebensmittelhersteller überhöhte Preise? Branchenexperten gehen davon aus, sind aber trotzdem zuversichtlich für Verbraucher. Edeka führt einen ungewohnt harten Preiskampf mit Henkel und Co. - und verfolgt dabei auch ganz eigene Ziele.
Im Lebensmittelhandel ist ein außergewöhnlich scharfer Preiskampf entbrannt. Ganze 17 Konzerne beliefern Edeka nicht mehr. Deutschlands größter Lebensmitteleinzelhändler bekommt keine Produkte mehr von Konsumgüterriesen wie Procter & Gamble, Mars und Pepsi sowie Teilen von Henkel, Schwartau und Unilever. Teils weil die Edeka-Gruppe sie aus dem Sortiment genommen hat, teils haben die Hersteller sich selbst entschieden, nicht mehr zu liefern. "Streit und Eskalation gibt es immer wieder, aber in der Schärfe habe ich das in 30 Jahren noch nicht erlebt", sagt Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg, im Gespräch mit ntv.de.
Selbst für Experten wie ihn ist es schwer einzuschätzen, ob Edeka den Lebensmittelriesen zu Recht vorwirft, überzogene Preise zu verlangen. Doch auch Rüschen hat den Eindruck, "dass die Hersteller die aktuell hohe Inflation nutzen, um ihr eigenes Preisniveau anzuheben". Allerdings verfolgt Edeka mit der aggressiven Vorgehensweise über die Öffentlichkeit in den Augen des Branchenkenners auch eigene Ziele.
Die internationalen Hersteller auf der einen Seite verdienen in Deutschland vergleichsweise wenig, weil die hiesigen Kunden sehr preisorientiert einkaufen, also einen relativ kleinen Teil ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Discounter erreichen hierzulande einen Marktanteil von 40 Prozent, wie Rüschen erklärt. "Dadurch stehen die deutschen Tochtergesellschaften der Produzenten intern unter Druck, höhere Margen zu erzielen." Im Moment bietet sich die Gelegenheit, das tatsächlich zu erreichen. Insofern sei der Vorwurf überhöhter Preise nicht von der Hand zu weisen, sagt der Handelsexperte, wenn auch schwer zu beweisen oder gar quantifizieren.
Edeka warnt so auch andere Hersteller
Auf der anderen Seite nutzt Edeka den Moment Rüschen zufolge für Signale an gleich drei Empfänger. "Man versucht, sich als Anwalt des Kunden darzustellen." Indem die Supermarktkette den Streit über die Öffentlichkeit austrägt, warne sie außerdem auch alle anderen Hersteller, dass Edeka Preiserhöhungen nicht einfach akzeptieren werde, sondern auch mit ihnen hart verhandelt. Drittens signalisiere Edeka auf diesem Wege auch seinen selbständigen Einzelhändlern, dass die Gruppe hart für sie verhandele und dass diese das vorübergehende Auslisten eines Herstellers mittragen müssten.
Edeka-Chef Markus Mosas Vorwurf richtet sich vor allem an die großen Markenartikelhersteller - die ihre Gewinne in den vergangenen zwei Jahren steigern konnten. "Allerdings sind das nur die internationalen und keine deutschen Zahlen", stellt Rüschen klar. Und die vier großen deutschen Handelsketten - Edeka, Rewe, Schwarz-Gruppe und Aldi - haben mit ihren hohen Marktanteilen zwar eine enorme Einkaufsmacht, bei den großen internationalen Herstellern fällt diese jedoch deutlich kleiner aus. Denn ein global agierendes Unternehmen kann es sich durchaus leisten, in Deutschland aus dem Sortiment zu fliegen.
Wenn auch wohl kaum auf Dauer. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass die großen Konzerne dauerhaft nicht mehr bei Edeka und Rewe vertreten sind", sagt Thomas Roeb, Professor für Handelsbetriebslehre an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, im Gespräch mit ntv.de. Beide Seiten werden seiner Einschätzung nach einen Kompromiss finden. Wer dabei besser abschneidet, wird die Öffentlichkeit allerdings nicht erfahren, weil die Unternehmen ihre Konditionen im Gegensatz zu dem Preiskampf nicht offenlegen werden.
Henkel: Noch nie gesehener Kostenanstieg
Die Hersteller weisen den Vorwurf überhöhter Preise, den auch Rewe erhebt, zurück. Henkel beispielsweise verweist auf ntv.de-Anfrage auf die aktuell "extrem hohen" Rohstoff- und Logistikkosten. "Wir können diesen Anstieg, den wir in dieser Breite und auch in dieser Ausprägung so noch nie gesehen haben, nicht vollständig kompensieren", teilt eine Unternehmenssprecherin mit. "Daher führt auch kein Weg daran vorbei, mit Preiserhöhungen zumindest Teile davon weitergeben zu müssen."
Für Edeka und Rewe spielen die Preise von Markenartikeln eine besonders große Rolle. Während Discounter Rüschen zufolge 30 bis 40 Prozent ihres Umsatzes mit Markenartikeln machen, sind es bei Edeka eher 70 bis 80 Prozent. Zudem müssten Edeka und Rewe ähnliche Preise erzielen wie die Discounter. Für Letztere seien die Preise der Markenprodukte jedoch ebenfalls sehr entscheidend. "Edeka-Chef Mosa spricht insofern schon für den gesamten Handel", meint der Branchenexperte. Als umsatzstärkster Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland sei Edeka schlicht als erstes Unternehmen gefragt. Die anderen Lebensmittelhändler träten lediglich ruhiger auf.
Unternehmensberaterin Heike Adam, die früher selbst für Henkel arbeitete, nimmt die Produzenten in Schutz. Preise würden im Voraus und für einen längeren Zeitraum gebildet, erklärt sie in einem Beitrag auf der österreichischen Plattform "Sheconomy". Während die Kosten in der Regel zum Großteil gut planbar seien, sei im vergangenen Jahr alles anders gewesen - die Dauer des Ukraine-Kriegs und die Energiepreisentwicklung seien zunehmend pessimistisch beurteilt worden. Vorübergehend drohte ein Gasmangel, die Inflationsrate stieg und stieg. "Aus dieser Perspektive sind die aktuell besonders hohen Gewinne kein Ausdruck von Gier, oder Gierflation, sondern Ergebnis der bestehenden großen Krisen und deren Unvorhersehbarkeit", schreibt Adam. Nun bildeten die Gewinne eine wichtige Rücklage für die anhaltende Inflation, und die Aktien der Unternehmen blieben attraktiv, gerade auch für Kleinanleger. Gewinne dienten zudem auch der Kompensation vergangener Verluste.
Experte fürchtete "Tankstellen-Situation", aber Wettbewerb funktioniert
Auch Rüschen sieht in der aktuell großen Unsicherheit eine entscheidende Rolle bei der Preiskalkulation der Hersteller. Ein Produzent, der seine Preise eigentlich kurzfristig senken könnte, weil die Energiepreise wieder sinken, tut das vielleicht nicht, weil er in einem Jahr Schwierigkeiten hätte, sie bei Bedarf wieder anzuheben. Denn die Preise von Markenprodukten schwankten in der Regel nicht innerhalb eines Jahres. "Das kann dazu führen, dass ein Hersteller im Moment eher einen höheren Preis durchsetzen will, als er momentan eigentlich bräuchte", sagt der Handelsexperte.
Mit Blick auf die Verbraucher sind die Branchenkenner trotzdem zuversichtlich. Zum einen dürften die Preissteigerungen künftig nicht mehr so stark ausfallen wie in den vergangenen Monaten. Zum anderen funktioniert offenbar der Wettbewerb. Roeb hatte zwischenzeitlich eine "Tankstellen-Situation" befürchtet, dass also kein Preiskampf mehr stattfindet. Doch inzwischen senken die Händler punktuell sogar die Preise, etwa für Milchprodukte. "Wenn der Spielraum da ist, nutzt der Handel ihn auch, sich preislich zu profilieren", sagt Rüschen. Edeka und Rewe konkurrieren dabei nicht nur untereinander, sondern auch mit den Discountern. "Deshalb haben wir im Lebensmittelhandel keine galoppierende Inflation zu befürchten."
Quelle: ntv.de