Wirtschaft

Profitgier treibt die Preise Wie Firmen in der Inflation abkassieren

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Die Preisexplosion beim Essen übertrifft die allgemeine Inflationsrate inzwischen um das Dreifache. Lieferengpässe, steigende Produktionskosten oder Arbeitskräftemangel allein können diesen Anstieg nicht mehr erklären.

Die Preisexplosion beim Essen übertrifft die allgemeine Inflationsrate inzwischen um das Dreifache. Lieferengpässe, steigende Produktionskosten oder Arbeitskräftemangel allein können diesen Anstieg nicht mehr erklären.

(Foto: picture alliance/dpa)

Sind die Konzerne bei den steigenden Preisen Opfer oder Täter? Ökonomen, Währungshüter und selbst Investmentbanker räumen inzwischen ein, dass viele den derzeitigen Preisdruck ausnutzen und ihre Kunden gnadenlos schröpfen.

Wer in letzter Zeit einkaufen war, hat sicher bemerkt: In welches Regal man auch schaut, es gibt wenig Grund zur Freude. Denn der Preisanstieg bei Lebensmitteln ist auch mehr als ein Jahr nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ungebrochen. Egal ob Brot (23,8 Prozent), Eier (34,6 Prozent) oder Zucker (70,9 Prozent): Im Schnitt lagen die Lebensmittelpreise im März laut Statistischem Bundesamt um 22,3 Prozent höher als ein Jahr zuvor.

Zugleich haben die Energiepreise gerade einmal um 3,5 Prozent zugelegt, die Teuerung insgesamt nur um 7,4 Prozent. Die Preisexplosion beim Essen übertrifft die allgemeine Inflationsrate inzwischen um das Dreifache. Lieferengpässe, steigende Produktionskosten oder Arbeitskräftemangel allein können diesen Anstieg nicht mehr erklären. Vielmehr passiert das, was viele schon lange vermuten: Aldi, Rewe & Co. nutzen die Gunst der Stunde und langen kräftig zu.

Was sich an der Supermarktkasse zeigt, wird auch in der gesamten Wirtschaft immer mehr zum Problem. "Greedflation", also Gier-Inflation, nennen Ökonomen das Phänomen: Unternehmen nutzen die Verunsicherung der Verbraucher aus, um Erhöhungen durchzudrücken, die über ihre gestiegenen Kosten hinausgehen. Besonders im Handel, Gastgewerbe, Verkehr und Baugewerbe hätten "Firmen die Lage genutzt, um ihre Gewinne kräftig zu steigern", urteilte kürzlich das IFO-Institut. Denn die Gelegenheit ist günstig: Wenn alles sowieso teurer wird, kann kaum noch jemand einschätzen, wie viel mehr wirklich angemessen ist.

Inflation aus der Chefetage

Der Effekt lässt sich inzwischen auch statistisch belegen. Trotz aller Krisen war für die DAX-Konzerne 2022 ein Rekordjahr: Ihr Umsatz erhöhte sich laut der Wirtschaftsprüfung EY um mehr als 15 Prozent auf 1,8 Billionen Euro, den höchsten Stand seit Beginn der Auswertung im Jahr 2013. Die Gewinne legten mit 171 Milliarden Euro ebenfalls zu. Wichtigster Grund: "Den meisten DAX-Unternehmen gelang es, hohe Kosten bei Personal, Beschaffung und Energie an ihre Kunden weiterzugeben", sagt EY-Deutschland-Chef Henrik Ahlers.

Offenbar haben aber viele sogar noch was draufgepackt. Denn trotz explodierender Preise konnten viele Konzerne ihre Gewinne noch steigern. Laut der Statistikbehörde Eurostat ist Ende 2022 der Anteil der Konzerngewinne am erzeugten Mehrwert in der Eurozone auf 42 Prozent gestiegen, den höchsten Stand seit einem Jahrzehnt.

Eigentlich sollte es genau umgedreht sein: Steigende Produktionskosten und höhere Energiepreise verteuern die Herstellung und drücken auf die Gewinnmargen der Firmen. In diesem historischen Inflationszyklus ist aber das Gegenteil zu beobachten: Trotz explodierender Preise können viele Konzerne ihre Gewinne sogar noch steigern. Nicht nur Arbeitnehmer, die mehr Geld verlangen, sondern Manager und Aktionäre, die sich die Taschen füllen, heizen offenbar derzeit die Inflation immer weiter an.

Die Gewerkschaften erzählen diese Geschichte von der Profit-Preis-Spirale gieriger Unternehmen schon immer, um ihre steigenden Lohnforderungen zu untermauern. Und genauso regelmäßig tun Arbeitgeberverbände das als tarifpolitische Propaganda ab. Doch diesmal ist offenbar wirklich etwas dran.

Profitmargen gefährden sozialen Frieden

Selbst Investmentbanken bestätigen den Trend: Konzerne würden gestiegene Rohstoffpreise durch die Pandemie und den Ukraine-Krieg als "Ausrede" benutzen, um ihre Gewinnmargen zu erhöhen, urteilte kürzlich Albert Edwards von der Société Générale. In seinen 40 Jahren im Finanzwesen hätte die Gier-Inflation niemals zuvor solche Ausmaße angenommen. Auch er habe angenommen, dass die Gewinnmargen mit dem Abschwung im vergangenen Jahr deutlich fallen würden. "Wie falsch habe ich gelegen!", schreibt Edwards.

Ökonomen der US-Zentralbank in Kansas City haben Edwards' Analyse schon im Januar bestätigt. Demnach waren gestiegene Konzernmargen für mehr als die Hälfte der US-Inflation 2021 verantwortlich. Edwards befürchtet, dass die "übernormalen Profitmargen" in sozialen Unruhen münden könnten, wenn Ottonormalverbraucher zugleich so hart von der Inflation getroffen würden wie bisher. "Das Ende der Gier-Inflation muss sicher kommen. Ansonsten steht uns vielleicht das Ende des Kapitalismus bevor", warnt Edwards. "Das ist ein Riesenthema für die Entscheidungsträger, das einfach nicht länger ignoriert werden kann."

Die EZB hat das Problem inzwischen zumindest teilweise auf dem Schirm. "In letzter Zeit sind die Auswirkungen der Profite auf den Preisauftrieb im historischen Vergleich außergewöhnlich gewesen", konstatierten EZB-Ökonomen Ende März in einem Blogeintrag. Von 1999 bis 2022 hätten die Profite im Schnitt etwa ein Drittel zur Inflation beigetragen. Im vergangenen Jahr wären es dann aber zwei Drittel gewesen.

Die EZB ist auf dem Profit-Auge blind

EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta monierte etwa zur selben Zeit auch ganz offiziell, dass die Währungshüter die Gier der Konzerne bislang unterschätzt haben. "Es gibt viel Diskussion über Lohnwachstum. Aber wir achten wahrscheinlich nicht genug auf die andere Einkommenskomponente - nämlich Profite." Die Währungshüter sollten genauso aufmerksam gegenüber den Risiken einer Profit-Preis-Spirale sein, warnte Panetta.

Und hinter den Kulissen tut sich offenbar auch schon längst was. Laut Reuters hatte sich EZB-Chefin Lagarde schon Ende Februar mit den nationalen Notenbankchefs ins finnische Dorf Inari zurückgezogen. Bei dem diskreten Treffen in der Arktis brüteten die Währungshüter demnach über dutzenden Powerpoint-Folien, die zeigten, dass die Gier-Inflation real ist. Und die Profitmargen der Firmen trotz der allgemeinen Preisexplosion größer, nicht kleiner werden.

Kritik daran, dass die EZB sich zu einseitig auf die Seite der Konzerne schlägt und nicht auf die der Arbeitnehmer stellt, kommt von Paul Donovan, dem Chefvolkswirt der UBS Vermögensverwaltung. "Es ist offensichtlich, dass die Ausweitung der Profite in den letzten sechs Monaten eine größere Rolle bei der Entstehung der Inflation gespielt hat", sagt er. Die EZB sieht dabei nicht gut aus. Denn bislang hat sie öffentlich das Gegenteil erzählt - und ihre drastischen Zinserhöhungen mit steigenden Löhnen gerechtfertigt. Wenn nun aber eher die Gier der Konzerne statt die Gier der Gewerkschaften die Preisexplosion treibt, nimmt ihr das die Argumente für noch höhere Zinsen. Denn die nützen gegen die Profitgier rein gar nichts.

Stattdessen dürfte wohl bald ein anderes, umstrittenes Instrument gegen die Inflation auf den Tisch kommen: Preiskontrollen. Die Übergewinnsteuer auf exorbitante Energiepreise zur Finanzierung der Strom- und Gaspreisbremse ist ein erster Schritt in diese Richtung. Société-Générale-Analyst Edwards argumentiert übrigens, dass sie nötig sein könnten. Weil "etwas am Kapitalismus kaputtgegangen ist".

Quelle: ntv.de

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