Gazprom, Schalke, Schweinemast Wie Tönnies sich Putins Interessen andiente
31.05.2023, 18:07 Uhr Artikel anhören
Von 2006 bis 2022 ließ sich Schalke von Gazprom sponsern. Nicht einmal die Invasion der Krim 2014 und deren Annexion führten zum Bruch.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Der Unternehmer Clemens Tönnies zeigt sich entsetzt vom Krieg Russlands in der Ukraine. Zuvor hatte er jahrzehntelang gute Geschäfte mit dem russischen Staat und dessen Vertretern gemacht. Dem Kreml diente vor allem der Fußballklub Schalke unter Tönnies Führung zur gezielten Lobbyarbeit in Deutschland.
Fast zwei Jahrzehnte lang war der deutsche Fleischmagnat Clemens Tönnies ein Freund Russlands. Er äußerte sich wohlwollend über den russischen Präsidenten Wladimir Putin und überreichte ihm bei jedem Treffen eine gepökelte Schweinshaxe. Das Logo des staatlichen russischen Gasunternehmens Gazprom prangte auf den Trikots des Fußballvereins Schalke 04, bei dem Tönnies lange Aufsichtsratschef war. Auch als andere davor warnten, dass Russland zu einer globalen Bedrohung werde, stellte er sich öffentlich hinter den Kreml.
Die Beziehungen des ostwestfälischen Unternehmers zu Putin und russischen Spitzenbeamten zahlten sich für beide Seiten aus. Während die von Tönnies kontrollierten Firmen über hundert Millionen Euro an Darlehen und Zuschüssen vom russischen Staat erhielten, konnte Russland über Gazproms Sponsoring-Aktivitäten gezielte Lobbyarbeit in Deutschland betreiben. Erst mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 kam es zum endgültigen Bruch.
In einer ausführlichen Stellungnahme zu den Reuters-Recherchen erklärte Tönnies, er sei weder ein Freund noch ein Verbündeter Putins gewesen. Seine geschäftlichen Beziehungen zu Russland hätten sich nicht von denen anderer deutscher Firmen unterschieden. Interviews der Nachrichtenagentur Reuters mit mehr als 40 Personen, die Einblick in die Aktivitäten von Tönnies und Gazprom haben, sowie die Durchsicht Hunderter Seiten an Dokumenten geben Aufschluss darüber, wie Russland diese Verbindung zu seinem Vorteil nutzte und auf welche Weise Tönnies davon profitierte.
Die Geschichte des Schlachthof-Chefs ist in Deutschland kein Einzelfall. Jahrzehntelang pflegte Russland die Beziehungen zu deutschen Industriellen. Deutsche Regierungschefs - beginnend mit Bundeskanzler Willy Brandt in der Zeit des Kalten Krieges - förderten die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Moskau, um Frieden und Wohlstand zu sichern. Deutschland wurde zu Russlands wichtigstem westlichen Partner und zum größten Gasimporteur. Berlins Vertrauen in seine "Ostpolitik" hielt auch dann noch an, als sich Russland unter Putin änderte.
Politprominenz auf der VIP-Tribüne
Eine wichtige Rolle für die russische Einflusskampagne spielte Schalke 04, dessen Aufsichtsratvorsitz Tönnies 2001 übernahm. Der Verein war verschuldet und brauchte einen großzügigen Sponsor. Gazprom war damals ohnehin auf der Suche nach einer deutschen Fußballmannschaft, um sein Image aufzupolieren. Das Vorbild für den Energiekonzern war der Kauf des englischen Klubs Chelsea durch den russischen Oligarchen Roman Abramowitsch im Jahr 2003, wie ein ehemaliger Gazprom-Manager sagte. Tönnies erklärte, er habe im Zuge seiner Mitgliedschaft im Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, einer Lobbygruppe, erfahren, dass Gazprom auf der Suche nach einem Fußballverein war. Er habe daraufhin Gespräche mit mehreren Vertretern im Ostausschuss und der deutschen Politik" geführt, um den Kontakt herzustellen.
Altkanzler Gerhard Schröder - seit 2005 Vorsitzender des Aktionärsausschusses des von Gazprom geführten Pipeline-Konsortiums Nord Stream - brachte die Parteien schließlich zusammen, wie mehrere Personen mit Verbindungen zu Gazprom und Schalke sagten. Das Ergebnis war ein Deal, der den Insidern zufolge ein Volumen von rund 20 Millionen Euro pro Jahr hatte - einer der größeren Sponsorenverträge im deutschen Fußball. Tönnies überreichte Putin zur Vertragsunterzeichnung in Dresden ein Schalke-Trikot mit dem Logo des neuen Sponsors auf der Vorderseite. Schröder nahm auf Anfrage keine Stellung zu seiner möglichen Vermittlerrolle.
Fortan war der VIP-Bereich bei Schalke-Spielen ein Ort, wo Gazprom-Funktionäre auf deutsche Politiker treffen konnten. Im Jahr 2011 sahen etwa der damalige Bundespräsident Christian Wulff und der spätere Außenminister und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das DFB-Pokalfinale Schalke gegen Duisburg in Berlin im VIP-Bereich des Stadions. Hierzu hatten auch Tönnies und Gazprom-Mitarbeiter Zugang. Vertreter von Steinmeier und Wulff erklärten, sie seien auf Einladung des Deutschen Fußball-Bundes gekommen.
Mitarbeiter der deutschen Tochter Gazprom Germania trugen die Namen deutscher Politiker und Geschäftsleute zusammen, um sie in die VIP-Loge von Schalke einzuladen, wie fünf mit dem Vorgehen vertraute Personen sagten. Welche Namen auf dieser Liste standen, konnte Reuters nicht herausfinden. Tönnies sagte dazu, die Verantwortlichen des Klubs hätten keine Kenntnis von möglichen Listen mit Politikern.
Versprechen an Putin
Im Jahr 2018, kurz nach seinem Ausscheiden aus der Bundesregierung, war der ehemalige Wirtschafts- und Außenminister Gabriel in der Gazprom-Loge auf Schalke zu Gast und schaute sich das Derby gegen den Erzrivalen Borussia Dortmund an. Gabriel war nach seiner aktiven Zeit in der Politik kurzzeitig als Berater beim Fleischkonzern Tönnies tätig. Ebenfalls an diesem Tag in der Loge waren Altkanzler Schröder und Matthias Warnig, ein ehemaliger Stasi-Beamter, der Putin seit Jahrzehnten nahesteht und wegen seiner Tätigkeit als Chef des Nord-Stream-Konsortiums mit US-Sanktionen belegt ist. Gabriel, Schröder und Warnig reagierten nicht auf eine Anfrage zur Stellungnahme.
Gazprom zielte auch auf aus Unternehmenssicht entscheidende Regionalpolitiker. So kam es etwa Im Juli 2014 - einige Monate nach der illegalen Annexion der Krim durch Russland - zu einem Freundschaftsspiel zwischen Schalke und dem F.C. Hansa Rostock in Mecklenburg-Vorpommern - in diesem Bundesland sollte die geplante Nord Stream 2-Pipeline anlanden, wofür auch landesbehördliche Genehmigungen benötigt wurden. Der damalige Gazprom-Chefsprecher Burkhard Woelki war persönlich vor Ort, genauso wie der damalige Landesinnenminister Lorenz Caffier, der als Schirmherr des Benefizspiels fungierte.
Einer Gazprom Germania nahestehende Person zufolge war es Ziel, bei dem Freundschaftsspiel für das Pipeline-Projekt zu werben. Auf Anfrage antwortete Caffier, dass mit dem Spiel Geld für eine lokale Anti-Hooligan-Kampagne gesammelt wurde und er es deshalb unterstützt habe. Dass Gazprom das Spiel als Lobby-Möglichkeit sah, sei ihm nicht bekannt gewesen.
Im Jahr 2008, zwei Jahre nachdem Gazprom mit dem Sponsoring von Schalke begonnen hatte, kündigte Tönnies an, eigene Schweinezuchtanlagen in Russland aufzubauen. Er entschied sich für Belgorod nahe der ukrainischen Grenze, das zu den fruchtbarsten Regionen des Landes gehört. "Ich habe Putin versprochen, mich auch in Russland zu engagieren", sagte Tönnies in einem Interview mit dem Wochenblatt für Landwirtschaft und Landleben im Jahr 2013. Die Stadt Belgorod stellte 88 städtische Grundstücke im Wert von mindestens 1,3 Millionen Dollar als Sicherheiten zur Verfügung, um Kredite zu garantieren. Dies geht aus einem Beschluss des Stadtrats von Belgorod hervor.
Der Gouverneur von Belgorod, Jewgeni Sawtschenko, reiste persönlich zum deutschen Hauptsitz von Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Ein Partner Sawtschenkos wurde zum Generaldirektor eines der größten neuen Tönnies-Unternehmen in Russland ernannt. In den folgenden zehn Jahren wuchs das Russlandgeschäft und expandierte in die benachbarte Region Woronesch, wo das von Tönnies kontrollierte Unternehmen die Genehmigung erhielt, große Grundstücke zu pachten.
Ein Schwein als Sicherheit
Bei einem Treffen im Jahr 2012 mit dem Gouverneur von Woronesch und ehemaligem Landwirtschaftsminister, dem deutschstämmigen Alexej Gordejew, dankte Tönnies ihm "von ganzem Herzen" für seine Zusammenarbeit, wie aus einem von der russischen Regierungspartei veröffentlichten Bericht über das Treffen hervorgeht.
Für jeden Rubel, den Tönnies und seine Partner in Infrastrukturprojekte ihres Hauptunternehmens Alexejewski Bekon steckten, liehen sie sich sechs, zeigen regionale Regierungsdokumente. Aus ihnen geht auch hervor, dass die Banken den roten Teppich ausrollten und in einigen Fällen ihre Kreditvergabevorschriften für die Firmen von Tönnies lockerten.
Hauptkreditgeber waren die staatlichen russischen Geldhäuser Rosselchosbank und Sberbank. Ein fünfjähriges Darlehen der Sberbank wurde etwa mit einem einzigen Schwein besichert, wie aus einem Dokument der Spark-Interfax-Datenbank hervorgeht. In einem anderen Kreditdokument wurde der gleiche Lastwagen russischer Bauart als Sicherheit in Höhe von rund 30.000 Dollar für drei Kredite aufgeführt, die die Sberbank an ein von Tönnies kontrolliertes Unternehmen vergab. Die Sberbank lehnte eine Stellungnahme ab, während die Rosselchosbank, das russische Landwirtschaftsministerium und die Regierungen der Regionen Belgorod und Woronesch nicht auf Anfragen reagierten.
In seiner Stellungnahme bezeichnete Tönnies die Sicherung eines Kredits gegen ein lebendes Tier oder ein Fahrzeug als "Trugschluss". Die Kreditaufnahme sei durch landwirtschaftliche Geräte und eine Bareinlage in Höhe von 50 Millionen Euro bei der Sberbank gesichert gewesen. Eine bevorzugte Behandlung durch den russischen Staat habe es nicht gegeben, erklärte er. Preiswerte Kredite und andere Unterstützungen durch den russischen Staat seien normale Praxis gewesen, um Investitionen zu fördern. Anfang der 2000er-Jahre sei es außerdem der ökonomische und politische Wille gewesen, Russlands Wirtschaft zu unterstützen. "Damals waren unsere Investitionen in Russland wirtschaftlich wie politisch eine richtige Entscheidung. Mit dem Wissen von heute und dem rücksichtslosen, menschenverachtenden Angriffskrieg der Russen auf die Ukraine muss man diese Aktivitäten aber ganz klar anders bewerten", erklärte Tönnies.
Späte Distanzierung
2014 hatte das noch anders geklungen: "Wir haben ein gutes Verhältnis", sagte Tönnies der "Bild-Zeitung" über seine Beziehung zu Putin - wenige Tage nach der Annexion der Krim durch Russland. Die Verbindung hielt noch weiteren Proben stand. Als etwa zahlreiche Firmenchefs dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg fernblieben, nahm Tönnies 2017 daran teil. Er schloss sich auch einer deutschen Wirtschaftsdelegation an, die Putin 2019 in der russischen Stadt Sotschi traf. Zudem habe Tönnies die Beziehung zwischen Schalke und Gazprom stets verteidigt, sagte Roman Kolbe, einer der Redakteure des Fanmagazins "Schalke Unser". Einige Fans des Vereins, der im Besitz seiner 165.000 Mitglieder ist, hatten gefordert, das Verhältnis zu Gazprom zu lockern.
Im Jahr 2020 trat der Unternehmer nach 19 Jahren von seinem Posten als Aufsichtsratschef bei Schalke zurück, um sich nach eigenen Angaben auf seine Firma zu konzentrieren. In der Öffentlichkeit war der Manager wegen der Bedingungen in seinen Fleischverarbeitungsbetrieben und in den Unterkünften für seine Beschäftigten in die Kritik geraten. Außerdem wurde ihm Rassismus vorgeworfen, nachdem er in einer Rede mehr Kraftwerke in Afrika gefordert hatte, denn dann würden die Afrikaner aufhören, "wenn's dunkel ist, Kinder zu produzieren". Für die Äußerung entschuldigte er sich später.
Ende 2021, wenige Wochen vor Beginn der Invasion in der Ukraine, verkauften Tönnies und sein Minderheitsgesellschafter ihre russischen Firmen an ein thailändisches Unternehmen für rund 300 Millionen Dollar. Vier Tage nach dem Einmarsch Russlands, am 28. Februar letzten Jahres, beendete Schalke 04 seinen Sponsoringvertrag mit Gazprom und entfernte das Logo des Gasriesen von den Trikots der Spieler. Am nächsten Tag schrieb Tönnies in einem Tweet: "Ich bin schockiert über den Vernichtungskrieg von Putin in der Ukraine und verurteile ihn auf das Schärfste." Er habe sich in ihm getäuscht, wie viele andere auch.
In seiner Heimatstadt Rheda-Wiedenbrück beschäftigt seine Fleischfabrik jetzt Dutzende Ukrainerinnen und Ukrainer, die vor dem Krieg geflohen sind. Eine der Geflüchteten sagte, sie habe nicht gewusst, dass ihr Chef eine enge Verbindung zu Putin hatte oder dass er früher in Russland Geschäfte machte. Das Wichtigste für sie sei gewesen, dass Tönnies ihr einen Job an einem sicheren Ort gab, weit weg von der Gewalt in der Ukraine. Putin habe sich als "guter Mensch" präsentiert, sagte sie. Vielleicht habe Tönnies nicht gesehen, was wirklich geschah.
Quelle: ntv.de, Maria Tsvetkova und Anton Zverev, rts