Fußball

Eine dramatische Heldenreise Wie Gazprom den FC Schalke 04 enthemmte

Mike Büskens hat das Herz der Schalker geweckt.

Mike Büskens hat das Herz der Schalker geweckt.

(Foto: dpa)

Der FC Schalke 04 kehrt in die Fußball-Bundesliga zurück. Die Euphorie ist grenzenlos - das Team nach einem beeindruckenden Schlussspurt emotional erschöpft. Aber es gibt auch einen kleinen Makel: Mit Mike Büskens verliert die Mannschaft den Trainer, den sie unbedingt gebraucht hatte.

Eine Trainerentscheidung beim FC Schalke 04 ist unmittelbar nach Schlusspfiff zum Aufstieg gefallen: Dimitrios Grammozis bleibt dem Traditionsklub nach dem emotionalen Rausch in der eigenen Arena gegen den FC St. Pauli am Samstagabend ein weiteres Jahr erhalten. Und das zu deutlich verbesserten Bezügen. Sein Jahresgehalt soll sich Medienberichten zufolge zwischen 800.000 Euro und bis zu 1,8 Millionen Euro mindestens verdoppeln. Das Problem an der ganzen Sache (aus Sicht der Schalker) ist: Sie planen längst nicht mehr mit Grammozis, der die Last des Abstiegs nie von seinen Schultern schütteln konnte und immer ein angeknockter Coach war. Schon im März wurde er freigestellt. Die Gelsenkirchener sahen ihr Saisonziel, die Rückkehr in die 1. Bundesliga, in Gefahr. Die Königsblauen hatten den Aufstieg zwar nicht zum Muss erklärt, aber ihn emotional doch zur Pflicht gemacht.

Diese Pflicht haben sie doch noch beeindruckend erfüllt. Weil sie mit Mike Büskens einen alten Veteranen für die schwierige Aufgabe an der Seitenlinie ausgegraben hatten. Der 54-Jährige hat als Trainer nicht die schillernde Vita vieler seiner Vorgänger (Greuther Fürth, Fortuna Düsseldorf, Rapid Wien und DFB-Nachwuchs). Was indes nicht unbedingt ein Kriterium gegen ihn ist. Denn bei der Wahl der Übungsleiter waren die Königsblauen in den vergangenen Jahren eher unglücklich unterwegs. Sie haben sich mit ihren beförderten Co-Trainer Büskens nicht für die taktische Genialität oder die gigantische Innovation entschieden, sondern ganz schlicht für Herz und Mut. Mit dem Geist des "Eurofighters", der immer noch verehrtesten Generation der Vereinsgeschichte, hat "Buyo" - so sein Spitzname - die Mannschaft aus der darbenden Malocherstadt emotional wiederbelebt.

Dass der Aufstieg nun in einem dramatischen Fußballspiel gegen den FC St. Pauli (3:2) vor den Augen der 1997er-Legenden, sie gewannen damals den UEFA-Cup, gelang, macht diese Herzensgeschichte fast schon kitschig. Aber Kitsch hin oder her, Schalke 04 ist ab dem 1. Juli wieder Erstligist - und das löste herzergreifende Emotionen aus. Zum Sinnbild der erschöpften Euphorie wurde Simon Terodde. Der erfolgreichste Stürmer der Zweitliga-Geschichte, der gegen Pauli zunächst beste Chancen liegenließ, um dann per Doppelpack aus einem 0:2-Rückstand ein 2:2 zu machen, stolperte minutenlang heulend über den Rasen, wurde von einem Fan nach dem nächsten geherzt und ins Selfie-Fenster zahlreicher Handys gedrückt.

Mythos Schalke übermannt die Spieler

Der Mythos Schalke hatte seine Protagonisten emotional übermannt. Nicht nur Terodde, der nach 2017 (VfB Stuttgart) und 2019 (1. FC Köln) zum dritten Mal aufsteigt, sondern auch andere Spieler konnten ihren Tränen nicht an sich halten. Teammanager Gerald Asamoah berichtete aus der Kabine: "Alle sind am Saufen, einige am Weinen." Dieses Mal aber halt Tränen des Glücks, nach den Tränen der Verzweiflung vor einem Jahr. Als sich der absurde Fußball-Horror nach anderthalb Spielzeiten im Abstieg manifestierte. Die Geschichte der wundersamen Wiederauferstehung war von zahlreichen Wenden gezeichnet. Die bemerkenswerteste vollzog wohl sich Ende Februar. Mit dem Beginn des Kriegs von Wladimir Putin. Denn der hatte gravierende Auswirkungen auf Schalke.

Der Deal mit dem höchst umstrittenen Sponsor Gazprom konnte endlich gut begründet aufgelöst werden. Die Schalker setzten damit ein bemerkenswertes Zeichen. Für die Verbindung von Klub und Fans war das wie eine Befreiung. Ohne Wurstkönig Clemens Tönnies (bereits in der Abstiegssaison gegangen) und ohne den russischen Hauptsponsor waren zwei omnipräsente Protagonisten nicht mehr da, die den Klub tief gespalten hatten. Mit dem Immobilienkonzern Vivawest aus Essen sprang ein regionales Unternehmen als Sponsor bei. Eine äußerst willkommene Erdung von der internationalen zur wieder regional verankerten Marke. Was fürs Herz. Man kann das als Überzeichnen der Dinge sehen, aber tatsächlich wuchs in dieser Krise wieder etwas zusammen. Und als Büskens nur ein paar Tage später die Mannschaft als Chef übernahm, da mischte sich in die Erlösung auch noch Hoffnung. Und "Buyo" schrieb 25 Jahre nach den "Eurofightern" seine zweite Heldengeschichte in Königsblau.

Es ist eine Geschichte, die sich gerade verdammt gut in die große Erzählung der Bundesliga einfügen lässt. Die Überraschungsmannschaften dieser Saison haben für sich Trainer gefunden, die den Geist des Vereins spüren, manche sogar leben. Christian Streich (schon länger) beim SC Freiburg etwa, Steffen Baumgart beim 1. FC Köln oder Thomas Reis beim VfL Bochum. Alles ganz unterschiedliche Typen, aber voller Leidenschaft für ihre Aufgabe, mit einem verdammt feinen Gefühl für die Bedürfnisse im Klub.

Sandhausen als Schlüsselmoment

Auf Schalke war das in den vergangenen Wochen nicht die Ball-Kunst, sondern Kampf und Mut. Im spannendsten Aufstiegsrennen seit Jahren und einem langen Restprogramm voller Höchstschwierigkeiten, war klar, dass für die Gelsenkirchener unter Büskens' Regie noch der Traum vom Wiederaufstieg noch erreichbar war, dass sie sich aber eigentlich keinen Patzer mehr erlauben dürften. Den gab es - und er flog den Schalkern wie ein krachender Haken an die Schläfe. Am 31. Spieltag ging das Team daheim mit 1:4 gegen Werder Bremen unter. Eine Klatsche, die das Potenzial zum Knockout hatte. Aber Büskens schüttelte seine Mannschaft, richtete sie binnen einer Woche her - und sie stand auf, so wie es die Fans von echten Schalkern erwarten. Mit Herz und Leidenschaft.

Büskens durfte dabei auch das Glück des Malochers bemühen. Denn am Spieltag nach der Klatsche lief alles in die perfekte Richtung. Als perfekt inszeniertes Drama. Schalke gewann in der 91. Minute dank des krächzenden Terodde beim SV Sandhausen, während Bremen gegen Kiel und St. Pauli gegen Nürnberg ganz späte Horrortrips erlebten. Werder verlor tatsächlich nach 2:0-Führung noch 3:2 (mit zwei Eigentoren!), die Hamburger kassierten noch den Ausgleich. Die Weichenstellung für das königsblaue Wunder, mit extrem eingeschränkten finanziellen Ressourcen und einem komplett veränderten Kader nach dem Abstiegs-Horror. Sandhausen als dramatischer Schlüsselmoment. Auch speziell. Aber eine Geschichte fürs Herz, voller Leidenschaft und Überzeugung.

Eine Gabe, die auch der Nachfolger von Büskens unbedingt mitbringen muss. Mehr noch als ein Handbuch voller taktischer Genialität. "Buyo", so war es besprochen, wird sich wieder aus der Hauptverantwortung zurückziehen. Aber nicht vom Verein. "Mike hat einen unfassbaren Job gemacht. Er ist das Gesicht dieses grandiosen Endspurts. Dieser Weg hat aber nicht erst mit dem Trainerwechsel begonnen", bekannte Sportvorstand Peter Knäbel in der "Bild"-Sendung "Lage der Liga XXL" und verkündete: "Wir haben uns für den Schalker Weg entschieden, dazu gehört auch Gerald Asamoah und die beiden bleiben selbstverständlich in diesen Funktionen erhalten. Buyo wird auf der Bank sitzen, aber in anderer Funktion, das ist längst besprochen." Er selbst stellte im "Doppelpass", nach sieben Siegen in acht Spielen, nochmal klar: "Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich weiterhin als Co-Trainer arbeiten möchte."

Wer nun sein Chef wird? Unklar. Im sonst eher unruhigen Umfeld der Königsblauen ist es derzeit erstaunlich still. Zwischendurch geisterte der Name Sandro Schwarz mal durch die verwaisten Schachtanlagen der Stadt, aktuell wird sein Name eher bei der Hertha aus Berlin gehandelt. Vielleicht war und ist es auch so still, weil ein neuer Trainer erstmal Klarheit darüber haben wollte, in welcher Liga er den Klub übernehmen wird. Klar ist dagegen, Schalke sehnt sich endlich nach Konstanz. Nachdem in den vergangenen fünf Jahren, inklusive Büskens, gleich acht verschiedene Trainer an der Seitenlinie standen, soll es mit dem nächsten Coach unbedingt langfristig klappen. "Derjenige, der auf Buyo folgt, muss richtig gut sein", hatte Sportdirektor Rouwen Schröder, der Mann, der mit seiner aufwendigen Kaderarbeit vor der der Saison (über 40 Transfers hatte er im vergangenen Sommer abgewickelt!), das Fundament für den Erfolg gegossen hatte, vor wenigen Wochen betont. Ein Satz, der seit diesem Samstag eine noch größere Fallhöhe bekommen hat.

Quelle: ntv.de

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