Wirtschaft

"Wir neigen immer zum Extrem" Wie steht es wirklich um die deutsche Wirtschaft?

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Fast alle Unternehmen klagen über hohe Energiekosten, Fachkräftemangel oder Inflationssorgen. Die Folge sind Stellenstreichungen und Sparprogramme.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

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Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft bessert sich, das Rezessionsrisiko schrumpft und die DAX-Konzerne schreiben die zweithöchsten Gewinne aller Zeiten. Wie passt das mit den Meldungen über Stellenstreichungen, Sparprogramme und schlechte Aussichten zusammen?

Wer sein Ohr zurzeit an die deutsche Wirtschaft hält, hört vor allem Widersprüche. Auf der einen Seite schreiben gerade die DAX-Konzerne Rekordgewinne. Auf der anderen klagen fast alle Unternehmen über hohe Energiekosten, Fachkräftemangel oder Inflationssorgen. Letztlich, so heißt es, sei die sicher geglaubte Rezession infolge des Ukraine-Kriegs nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Doch auch das wird seit vielen Monaten postuliert, während viele Firmen weiterhin gute Zahlen vermelden. Zeit also für ein Stimmungsbild der deutschen Wirtschaft.

Klar ist: Vielen Unternehmen geht es besser als sie nach außen kommunizieren. Anders ist jedenfalls nicht erklärbar, warum die DAX-Konzerne 2022 voraussichtlich das zweitbeste Ergebnis in der deutschen Wirtschaftsgeschichte erzielt haben. Gegenüber dem kumulierten Rekordgewinn von 129 Milliarden Euro im Jahr 2021 lag die Zahl für 2022 mit 120 Milliarden Euro nur knapp darunter. Bei den kleineren Firmen im S- und M-Dax zeigen sich ähnliche Entwicklungen. Insgesamt geht das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel mittlerweile von einem Wachstum von 0,3 Prozent für 2023 aus, die Bundesregierung immerhin von 0,2 Prozent.

Auch die Aussichten in der Breite hellten sich zuletzt auf - unter 27.000 von der Deutschen Industrie- und Handelskammer befragten Betrieben hat sich die Zahl der optimistischen Unternehmen beispielsweise auf 16 Prozent verdoppelt. Doch wie passt das zusammen mit den vielen Einzelmeldungen über Stellenstreichungen, Sparprogramme und schlechte Aussichten?

BASF kündigt 2600 Stellen

Jüngstes Beispiel war am Freitag BASF. Der Chemiekonzern, der für fast vier Produzent des deutschen Gasverbrauchs steht, kündigte an, weltweit 2600 Stellen zu streichen. Rund zwei Drittel davon sollen auf Deutschland entfallen. Der Konzern spürt die gestiegenen Preise für Energie und Rohstoffe stark. Die Energiekosten für den Konzern erhöhten sich 2022 um 3,2 Milliarden Euro, wovon nach Angaben des Unternehmens 1,7 Milliarden Euro auf das Hauptwerk Ludwigshafen entfielen.

Konzernchef Martin Brudermüller geizte nicht mit Kritik. Neben den hohen Energiepreisen leide Europa vor allem an einer überbordenden Bürokratie: "Die Wettbewerbsfähigkeit der Region Europa leidet zunehmend unter Überregulierung. Sie leidet auch immer mehr unter langsamen und bürokratischen Genehmigungsverfahren." Kurz gesagt: Europa sei wirtschaftlich kaum noch attraktiv.

Eine Diagnose, die der Ökonom Rudi Bachmann von der US-amerikanischen University of Notre Dame teilt – vor allem für solche Unternehmen wie BASF: "Sehr energieintensive Industrien dürften auf Dauer in Deutschland nicht wettbewerbsfähig sein", sagt Bachmann gegenüber "Capital". Das gelte aber nicht überall gleich in der EU. "Spanien sehe ich zum Beispiel schon wieder im Vorteil."

IfW-Ökonom Dirk Dohse verweist in diesem Kontext auf Konzerne wie Siemens oder VW, die inzwischen lieber in den USA investieren. "Das sind mehr als Einzelmeldungen. In fast allen Fällen spielen die im internationalen Vergleich sehr hohen Energiepreise in Deutschland und die US-Subventionen aus dem Inflation Reduction Act eine Rolle."

Große Resilienz in Deutschland

Grundsätzlich sei die Entwicklung in Deutschland trotzdem besser als zunächst angenommen, meint Bachmann: "Die Kombination aus einem starken Staat, der wusste, was er tut, und flexiblen Marktdynamiken hat letztlich für ein gutes Ergebnis gesorgt." Und auch Dohse beobachtet eine große Resilienz der deutschen Unternehmen – vor allem bei den großen Dax-Konzernen: "Die Exportwettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist nach wie vor intakt, wenn man sich die aktuellen internationalen Handelsstatistiken anschaut."

Dieser Eindruck verwässert sich aber, umso stärker man kleinere Unternehmen in den Blick nimmt. Zwar hat sich auch für die kleinen Unternehmen zuletzt das IFO-Geschäftsklima verbessert - von minus 11,4 im Dezember auf minus 7,3 Punkte -, allerdings wirken bei diesen Betrieben die Rückschläge der vergangenen Krisenjahre noch stärker nach. Die Existenzbedrohung bei den Solo-Selbstständigen hat im Vergleich zum Vormonat etwas abgenommen, von 16,7 Prozent auf 14,3 Prozent, ist laut IFO-Institut aber immer noch dreimal höher als in der Gesamtwirtschaft.

So deutet vieles darauf hin, dass vor allem diese kleineren und mittelständischen Unternehmen (KMU) besonders leiden. "Insbesondere KMU, die sehr energieabhängig sind, durchleben schwierige Zeiten", erklärt Dohse. Das bestätigt auch der Mittelstandsverband BVMW. Dieser führte noch zum Jahreswechsel eine Umfrage unter seinen Mitgliedsunternehmen durch. Das klare Ergebnis: Die Lage ist schlechter als die der Dax-Unternehmen. Demnach ging ein Großteil der Mitglieder von einer Rezession für 2023 aus.

Die Abweichung von den DAX-Konzernen sei leicht zu erklären, meint Vorsitzender Markus Jeger gegenüber "Capital": "DAX-Konzerne sind global aufgestellt und nicht wie die an den Standort Deutschland gebundenen klein- und mittelständischen Unternehmen von den Rahmenbedingungen vor Ort abhängig – den Steuern, den Abgaben und der Bürokratie in allen ihren Ausprägungen." Aktuelle Gewinne, die trotz der gestiegenen Kosten erzielt wurden, würden im Wesentlichen zur Verbesserung der Eigenkapitalsituation sowie für Ersatzinvestitionen verwendet.

Bereits gestiegene Erzeugerpreise konnten lediglich 22 Prozent der Unternehmen größtenteils weitergeben. Fast die Hälfte der Unternehmen konnte die gestiegenen Preise nur in Teilen und die restlichen knapp 30 Prozent nicht oder nur in geringem Ausmaß an ihre Kunden überwälzen. Über die Hälfte der Unternehmen rechnet mit weiteren Preissteigerungen.

Dienstleistungssektor weniger stark betroffen

Nichtsdestotrotz gebe es auch bei KMU Abstufungen. Manche treffe es härter als andere, so Jeger: "Energieintensiv produzierende Unternehmen sind beispielsweise stärker betroffen als der gesamte Dienstleistungssektor". Was den Unternehmen aktuell besonders zu schaffen mache, seien gar nicht mal die Energiepreise - sondern vor allem das Geschäftsgebaren der Banken. "Selbst aus langjährigen Geschäftsbeziehungen heraus werden reduzierte Kreditlinien und Zinserhöhungen für die Inanspruchnahme der Kreditlinie angekündigt", kritisiert Jeger. "Der Eindruck verfestigt sich zusehends, Banken würden es darauf anlegen, ihre Renditen über Gebühr auf Kosten kleiner und mittlerer Unternehmen zu steigern." Er fordert die Kreditinstitute daher auf, "Maß und Mitte beizubehalten".

Doch auch der BVMW-Vorsitzende sieht seine Mitgliedsunternehmen grundsätzlich gut aufgestellt. Viele der Maßnahmen zur Kostensenkung hätten funktioniert, seien es Investitionen in Energieeffizienz, Schulungen der Mitarbeiter oder Speicherung erneuerbarer Energien. "Trotz der multiplen Krisen konnte der Mittelstand seine Widerstandsfähigkeit unter Beweis stellen und die Umsätze in 2022 wieder steigern", sagt Jeger.

Auch BASF-Chef Brüdermüller ist gar nicht so pessimistisch, was die Zukunft angeht. Den Begriff einer "De-Industrialisierung" in Deutschland halte er beispielsweise für übertrieben. "Wir neigen in Deutschland immer zum Extrem. Wir werden Strukturveränderungen sehen, aber das ist auch etwas Normales, vielleicht sogar etwas Gutes", sagte Brudermüller am Freitag gegenüber ntv. "Stillstand ist nämlich Rückschritt. Wir brauchen den Mut zur Veränderungen – da geht mal was weg, da kommt mal was dazu. Und ich bin optimistisch, dass wir diese Transformation in Deutschland hinkriegen."

Der Artikel erschien zuerst bei Capital.de

Quelle: ntv.de

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