Angst vor Fake News und Hass Wo sind die Alternativen zu X, Instagram und Facebook?
17.01.2025, 19:41 Uhr Artikel anhören
Meta-Chef Mark Zuckerberg schafft den Faktencheck auf seinen Plattformen ab. Der Kniefall vor Trump lässt viele Facebook- und Instagram-Nutzer ratlos zurück.
(Foto: picture alliance / NurPhoto)
X-Chef Musk hat seine Social-Media-Plattform schon vor einiger Zeit auf Trump-Linie gebracht und damit Nutzer vergrault. Meta-Chef Zuckerberg folgt seinem Beispiel. Kehren genervte User jetzt auch Instagram und Facebook den Rücken? Wenn ja, wo finden sie ein neues digitales Zuhause?
Von X und seinem Firmenchef Elon Musk haben viele Nutzerinnen und Nutzer des Netzwerks längst die Nase voll. Schon als Musk 2022 Twitter, wie es damals noch hieß, übernahm, kehrten sie der Plattform in Scharen den Rücken. Das Fass zum Überlaufen brachte laut dem Kommunikations- und Demokratieforscher Bart Cammaerts, der an der London School of Economics lehrt, dessen Annäherung an den späteren Präsidentschaftskandidaten Donald Trump, wie er gegenüber der Deutschen Welle ausführte. X habe danach kontinuierlich an Relevanz, Reichweite und relevanten Stimmen verloren, sagt der Social-Media-Berater Martin Fuchs gegenüber ntv. Der politische Rechtsruck und die Aufhebung bisheriger Maßnahmen gegen Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen sollen mittlerweile Millionen Nutzer vergrault haben. Dass es Facebook und Instagram ähnlich ergehen könnte, ist nach der jüngsten Kehrtwende von Meta-Chef Mark Zuckerberg nicht auszuschließen.
Auch Zuckerberg kündigte kürzlich laxere Kontrollen der Inhalte auf seinen Portalen Facebook und Instagram an. Seine Erklärung dazu: Man wolle die Meta-Regeln "vereinfachen" und damit "die Meinungsfreiheit wiederherstellen". Konkret heißt das: Statt den Wahrheitsgehalt von Dritten überprüfen zu lassen und der Verbreitung von Fake News frühzeitig einen Riegel vorzuschieben, setzt das US-Unternehmen nun auf die Selbstkontrolle durch die Nutzerinnen und Nutzer. Was wahr und was falsch ist, können sie künftig selbst beurteilen und ihre Meinung dazu in Form von sogenannten Community Notes kundtun. Bezahlte Posts sollen laut Medienberichten wohl davon ausgenommen werden. Falschaussagen würden dann gar nicht mehr kenntlich gemacht. Die neuen Regeln sollen nur für die USA gelten, in Europa bleiben die strengeren Kontrollen bestehen.
Für Insta und Facebook wäre ein Exodus dramatischer als für X
Dass auf X heute Gewaltverherrlichung, Pornografie und rassistische Äußerungen zu finden sind, hat nicht nur Politiker, Journalisten und Künstler verprellt, sondern auch wichtige Werbekunden, was Auswirkungen auf die Profitabilität des Unternehmens hatte. Der Wert des Unternehmens ist dramatisch geschrumpft. Das Beratungsunternehmen Brand Finance schätzte X zuletzt auf 673,3 Millionen Dollar - Musk hatte die Plattform 2022 für 44 Milliarden US-Dollar gekauft. Für Meta wäre eine solche Entwicklung deutlich schlimmer als für Musks X, denn für den Multiunternehmer lassen sich Verluste durch Querfinanzierungen innerhalb seines Imperiums ausgleichen. Zuckerbergs Meta hingegen ist fast vollständig auf das eigene Werbegeschäft angewiesen.
Im dritten Quartal 2024 erzielte Meta einen Rekordumsatz von 40,59 Milliarden US-Dollar, 19 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Ganze 96 Prozent dieses Umsatzes stammten aus Werbeverkäufen. Die laxeren Kontrollen bei Meta könnten Vermarkter vorsichtiger werden lassen, prognostiziert Lia Habermann, die Social Media Marketing an der University of California lehrt. "Ich denke, wir werden das Verschwinden von gesponserten Inhalten auf den Seiten sehen", zitiert das "Wall Street Journal" die Beraterin.
Wie hoch der Schaden sein wird, bleibt abzuwarten. Jasmine Enberg vom Marktforschungsunternehmen eMarketer geht davon aus, dass Zuckerbergs Wandel Liberale und Werbetreibende abschrecken wird. Sie glaubt aber nicht, dass der Exodus die Gewinne von Meta schmälern wird. "Metas enorme Größe und seine starke Werbeplattform schützen das Unternehmen ein wenig vor einem Exodus von Nutzern und Werbetreibenden wie X", sagte sie der britischen Zeitung "The Guardian". Wirklichen Schaden könnte nur ein größerer Rückgang der Nutzerzahlen anrichten.
Marlon Giglinger, Social-Media-Experte und Gründer der Influencer-Agentur Netzschreier, gibt zumindest für Instagram Entwarnung: "Von einem flächendeckenden Meta-Boykott kann bisher definitiv keine Rede sein", sagt er im Gespräch mit ntv.de. "Instagram ist für viele Kreative und Marken unverzichtbar - sei es für Content-Erlöse oder als Werbekanal. Der wirtschaftliche Nutzen überwiegt für viele die Kritik." Schlechter sieht es aus seiner Sicht für Facebook aus: "Facebook hat für viele private Nutzer längst an Relevanz verloren - hier dürfte den Nutzern der Abschied leichter fallen."
X könnte laut Giglinger sogar wieder steigende Zahlen sehen: "Die politische Nähe zur Trump-Administration könnte US-Unternehmen dazu bewegen, ihre Werbebudgets wieder auf X zu lenken - sei es aus strategischem Kalkül oder aus Angst vor Einflussverlust. Dieses Szenario könnte X zumindest wirtschaftlich wiederbeleben und ist keineswegs unrealistisch."
Wohin wandern genervte Nutzer ab?
Für X-Abtrünnige gibt es aus Sicht des Digital-Experten Julian Jaursch von der europäischen Denkfabrik Interface drei Alternativen: Bluesky, Threads und Mastodon. Als Profiteur wird vor allem die amerikanische Social-Media-Plattform Bluesky gehandelt. Hier können Nutzer Nachrichten namens "Skeets" erstellen - eine Kombination aus Sky und Tweet. Die Kurznachrichten sind auf 300 Zeichen begrenzt und können geliked, geteilt, kommentiert, als Text kopiert und übersetzt werden.
Pikant an Bluesky ist, dass es sich um ein Twitter-Projekt handelt, das 2019 von Twitter-Mitbegründer Jack Dorsey ins Leben gerufen und dann ausgegliedert wurde. Im November letzten Jahres zählte es mehr als eine Million neue Nutzer. Der X-Ersatz eroberte zwischenzeitlich sogar den ersten Platz in der Rangliste des Apple Store. Mit 25 Millionen Accounts führte die Plattform aber immer noch ein Nischendasein in den sozialen Medien. Und der erste Wachstumsschub nach dem Wahlsieg Trumps ebbt bereits wieder ab.
Dass sich die einen oder anderen Facebook- und Instagram-Flüchtlinge künftig ebenfalls bei Bluesky wiedertreffen, hält Jaursch trotzdem für denkbar, wie er ntv.de sagt. "Wobei Insta doch etwas stärker auf Bilder und Videos ausgerichtet ist als Bluesky." Auch Mastodon sei "in jedem Fall eine Alternative", so Jaursch. Die Plattform sei "X sehr ähnlich". Ein großer Unterschied sei jedoch, dass es "keine zentrale Instanz" gebe. Menschen könnten sich je nach Interesse bestimmten Gruppen anschließen, die dann alle miteinander kommunizieren können.
Ein Mauerblümchendasein fristet auch die Plattform Threads, die es zwischenzeitlich immerhin auf den zweiten Platz im Apple Store schaffte. Der prominente US-Autor Stephen King, der zu denjenigen gehört, die sich von X verabschiedet und Millionen von Followern zurückgelassen haben, hat hier eine neue digitale Heimat gefunden. Interessanterweise ist auch Threads nicht wirklich unabhängig, sondern wieder nur ein Ableger - diesmal aus dem Hause Meta. Viel gewonnen ist mit einem Wechsel zu Threads nicht. Wie es vor wenigen Tagen hieß, will Meta auch hier die Regeln lockern und auf Community Notes setzen.
Gibt es Alternativen, die keinem Tech-Milliardär gehören?
Ernstzunehmende Social-Media-Plattformen, die die großen Player wie Meta oder X ersetzen könnten, gibt es bislang nicht. Die größte Herausforderung für alle kleineren Plattformen sei die Reichweite, so Giglinger gegenüber ntv.de. "Social-Media-Plattformen funktionieren nur, wenn sie eine kritische Masse an Nutzern erreichen. Sonst fehlen die Verbindungen zu Freunden, die Empfehlungen von Influencern oder der exklusive Blick hinter die Kulissen von Stars."
Der Netzschreier-Gründer hält es aber durchaus für möglich, dass jetzt in der "aktuellen Dynamik" eine "völlig neue Plattform entsteht, die gezielt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Social-Media-Nutzer eingeht". Der beispielhafte Aufstieg von TikTok in den letzten Jahren habe gezeigt, dass neue Plattformen innerhalb kurzer Zeit enorme Relevanz gewinnen könnten. Der Erfolg hänge davon ab, ob sie es schaffen, Nutzerbedürfnisse zu erfüllen.
Der Bedarf ist da. Rückenwind für Alternativen zu Instagram, Facebook und X, die keinem Tech-Milliardär gehören, hat sich eine Social-Media-Initiative auf die Fahnen geschrieben. Die Gruppe, die unter anderem von Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, Schauspieler Mark Ruffalo ("Avengers") und Vertretern der Mozilla Foundation unterstützt wird, startete kürzlich eine Kampagne mit dem Titel "Free our Feeds". Mit einem offenen Protokoll und neuen Plattformen wollen die Initiatoren Instagram, Facebook und Co. den Kampf ansagen. Die Gruppe setzt dabei vor allem auf Bluesky.
Es sei denkbar, auf Basis der Bluesky-Technologie eine ganze Reihe alternativer sozialer Netzwerke aufzubauen, heißt es. Die geplante Stiftung will dafür die finanziellen Voraussetzungen schaffen. Ziel ist es, innerhalb von drei Jahren einen Entwicklerfonds aufzubauen. Ende 2025 will die Initiative mit ihrer Stiftung die Arbeit aufnehmen.
Quelle: ntv.de